US-Pannen-Reaktor geht wieder ans Netz

Die unrühmliche Geschichte von Three Miles Island

1979 ereignete sich im Kernkraftwerk Three Miles Island eine Kernschmelze im Reaktorblock II, der dabei zerstört wurde. Es war der schwerste Atomunfall in der US-Geschichte. Jetzt soll das stillgelegte AKW bei Harrisburg wieder ans Netz gehen, weil der Softwareriese Microsoft Strom braucht.

Das AKW Three Mile Island  war am 28. März 1979 (historische Aufnahme von diesem Tag) Schauplatz des bisher schwersten  Atomunfalls in der Geschichte der USA.

© Imago/Everett Collection

Das AKW Three Mile Island war am 28. März 1979 (historische Aufnahme von diesem Tag) Schauplatz des bisher schwersten Atomunfalls in der Geschichte der USA.

Von Markus Brauer/AFP

Der maßlose Energiehunger von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) lässt nahe der Kleinstädte Middletown und Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania einen fast vergessenen Industriekoloss wieder auferstehen, der auf eine unrühmliche Geschichte zurückblickt: Das Atomkraftwerk Three Mile Island (englisch: Three Mile Island Nuclear Generating Station) wird wieder in Betrieb genommen, weil der Microsoft-Konzern dringend Strom braucht.

Der Fast-Super-Gau

Das Akw war am 28. März 1979 Schauplatz des bisher schwersten Atomunfalls in der Geschichte der USA. Und während die einen den wirtschaftlichen Segen der Atom-Renaissance für die Region feiern, sind viele Anwohner besorgt.

Der Vorsitzende des Gewerkschaftsverbandes BCTC, Robert Bair, sieht in der Atomkraft eine hervorragende Energiequelle. Überall im Land würden Kohle-Kraftwerke abgeschaltet, und Gas als Energieträger sei unter Beschuss, sagt Bair. „Man braucht Grundlaststrom. Und die Kernkraft ist wahrscheinlich die effizienteste Grundlastquelle, die wir haben.“

Die Wiederinbetriebnahme von Reaktor 1 werde ganz Pennsylvania zugute kommen. Bair rechnet mit der Schaffung von 3400 Arbeitsplätzen und drei Milliarden Dollar (2,86 Milliarden Euro) an Steuereinnahmen für die umliegenden Gemeinden.

28. März 1979: partielle Kernschmelze in Reaktor 2

Der Atomunfall im Kraftwerk Three Mile Island (TMI) auf der gleichnamigen Flussinsel nahe Middletown und Harrisburg sorgte vor 45 Jahren weltweit für Schlagzeilen. Am 28. März 1979 kam es in Reaktor 2 zu einer partiellen Kernschmelze, bei der radioaktive Gase austraten. Rund 140.000 Menschen flohen aus der Umgebung oder wurden evakuiert.

Zeitweise bestand die Furcht vor einer Atomkatastrophe beispielloser Dimension, die am Ende ausblieb. Das Schlimmste, das Bersten des Reaktorbehälters, konnte verhindert werden, aber der Störfall verdeutlichte eindringlich die Gefahren der Atomkraft und führte zu einer Verschärfung der Auflagen für die Kraftwerksbetreiber.

Reaktor 1 war bis 2019 in Betrieb

Während der Unglücksreaktor 2 in den Jahren danach zurückgebaut wurde, konnte Reaktor 1 sechs Jahre nach dem Unglück wieder ans Netz gehen. 2019 schließlich wurde auch er heruntergefahren, weil die Anlage seit Jahren rote Zahlen schrieb.

Die KI-Revolution und der Wettkampf von Internet-Giganten wie Microsoft um die Weiterentwicklung der generativen KI sorgen für ein neues Kapitel in der Geschichte von Three Mile Island. Generative KI-Systeme wie Chatbots, Bildgeneratoren oder Sprachmodelle sind extrem stromhungrig, die Rechenzentren der Konzerne verzeichnen einen gigantischen Energiebedarf.

„Guter Nachbar für die Gemeinde Londonderry und für ihre Umgebung“

Im September unterzeichnete der TMI-Betreiber Constellation Energy einen Vertrag mit Microsoft, dem größten Anteilseigner des KI-Pioniers OpenAI. Ab 2028 wird der Konzern für 20 Jahre exklusiv Strom aus dem dann wieder aktivierten Reaktorblock 1 beziehen können.

Bart Shellenhamer von der Gemeinde Londonderry, zu der Three Mile Island gehört, erklärt, die Anlage sei seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 1974 „ein guter Nachbar für die Gemeinde Londonderry und für ihre Umgebung gewesen“.

Für andere ist der Schrecken des Frühjahrs 1979 nicht vergessen. „Die meisten Anwohner wollen, dass die Anlage geschlossen bleibt“, berichtet Matthew Canzoneri vom Stadtrat in Goldsboro, der Gemeinde auf dem gegenüberliegenden Ufer des Flusses Susquehanna, in dem Three Mile Island liegt. „Die dort erzeugte Energie bringt den Gemeinden direkt keinen Nutzen. Und angesichts der Geschichte von TMI gibt es definitiv Grund zur Sorge.“

Noch heute werfen Anwohner den Behörden vor, den Vorfall damals heruntergespielt zu haben. Manche Studien belegen, dass in den Jahren nach dem Störfall die Rate an Lungen-, Schilddrüsen- und Blutkrebs in der Region überdurchschnittlich hoch war. Keine dieser Studien stellte allerdings einen direkten Zusammenhang zu dem Unfall her.

Zwischen Angst und Wirtschaftsinteressen

Die Anwohnerin Maria Frisby war 1979 noch ein Teenager. Sie halte die Wiedereröffnung der Anlage für keine gute Idee, die partielle Kernschmelze in Three Mile Island sei viel schlimmer gewesen als die Behörden damals zugegeben hätten. „Ich habe viele Klassenkameraden durch verschiedene Krebserkrankungen verloren, die in ihren 50ern starben“, erzählt die 60-Jährige. Der Zusammenhang mit dem Unfall steht für sie außer Frage.

Gewerkschaftschef Bair verweist darauf, dass zwischen Reaktorblock 1 und 2 unterschieden werden müsse. Block 1 sei jahrelang die effizienteste Anlage des Landes gewesen. Das Kraftwerk hatte eine Kapazität von 837 Megawatt, genügend für die Versorgung von mehr als 800.000 Haushalten.

Eric Epstein von der gemeinnützigen Organisation EFMR, welche die von TMI ausgehende Strahlung überwacht, weist auf das ungelöste Atommüll-Problem hin. Der Betreiber will die abgebrannten Brennelemente weiterhin auf der Insel lagern. „Es ist ein Pakt mit dem Teufel“, meint Epstein. „Man bekommt Strom für einen Moment und radioaktive Abfälle für immer.“

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Erstellt:
6. Dezember 2024, 13:08 Uhr
Aktualisiert:
6. Dezember 2024, 20:53 Uhr

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