Die USA haben eine echte Wahl

Mit der möglichen Kandidatur von Kamala Harris könnte sich der Wahlkampf beleben.

Von Eidos Import

Joe Biden hat das Richtige getan. Er konnte nicht ungeschehen machen, was 51 Millionen Amerikaner bei der Debatte Ende Juni mit eigenen Augen gesehen haben: Dass er nicht mehr die physische und mentale Kraft hat, die Rückkehr des Demagogen ins Weiße Haus zu verhindern. Schmerzhaft musste er realisieren, wie sich Getreue von ihm absetzten, inklusive Ex-Präsident Barack Obama, die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi sowie die Kongressführer Charles Schumer und Hakeem Jeffries. Zudem drehten ihm die Großspender den Geldhahn ab. Die hartnäckig negativen Umfragen taten das ihre dazu.

Dass er in fast letzter Minute einen Generationenwechsel ermöglichte, ehrt Biden, der Historisches geleistet hat. Amerikas Wirtschaft hat sich nach der Coronapandemie schneller erholt als der Rest der Welt. Unter seiner Führung investierte das Land Billionen in die marode Infrastruktur, die grüne Wende und die Produktion von Halbleitern. Sein größtes Verdienst aber bestand darin, die Nato nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zusammengeschweißt, erweitert und handlungsfähig gemacht zu haben.

Erstmals seit 1968 als Präsident Lyndon B. Johnson im März freiwillig auf seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit verzichtete, zeichnet sich nun ein offener Parteitag ab. Nicht das Ergebnis der Vorwahlen bestimmt, wen die Partei auf den Schild hebt, sondern die rund 4000 Delegierten. Sie sind nun frei, zu wählen, wen sie wollen.

Die 59-jährige Kamala Harris ist als Vizepräsidentin in der stärksten Position, im November für die Demokraten gegen Donald Trump anzutreten. Die Unterstützung durch Biden und den Verzicht von Parteistars wie die Gouverneure Gavin Newsom und Gretchen Whitmer stärken ihr den Rücken. Zudem hat sie einen enormen finanziellen Vorteil: Ihr fiele der gesamte Wahlkampfapparat in den Schoß. Sie hat nach den komplizierten Regeln der Wahlkampffinanzierung Zugriff auf die mit Spender-Millionen prall gefüllte Kasse. Und sammelte über Nacht weitere 50 Millionen Dollar an Spenden ein.

Ein Automatismus ist ihre Nominierung aber nicht. Harris hat nicht viel bessere Umfragewerte als Biden und tat sich im Amt der Vizepräsidentin schwer, sich zu profilieren. Das mag an den undankbaren Aufgaben liegen, die ihr der Präsident überließ, vor allem die Migrationskrise an der Grenze zu Mexiko. Sie galt bisher auch nicht als starke Wahlkämpferin. Wenn es ihr aber gelingt, jene Qualitäten zu zeigen, mit der sie eine steile Karriere als Justizministerin in Kalifornien, US-Senatorin und 2020 als Bidens Vize-Kandidatin machte, könnte sie die Nominierung sichern und die Dynamik des Rennens gegen Trump verändern.

Was das für die Präsidentschaftswahlen im November bedeutet, lässt sich nicht sagen. Zwischen der Verurteilung Trumps als Straftäter im Schweigegeld-Prozess von New York zum nicht minder geschichtsträchtigen Rückzug Bidens liegen viele Wendungen. Da war das Urteil des Supreme Court, das dem Ex-Präsidenten Teil-Immunität zusprach. Gefolgt vom Debatten-Desaster Bidens. Das gescheiterte Attentat von Pennsylvania führte dann zur „Heiligsprechung“ Trumps auf dem Krönungsparteitag. Insgesamt gilt: Drei Monate sind in der amerikanischen Politik eine Ewigkeit.

Sicher scheint nur: Die Amerikaner müssen sich nicht mehr zwischen zwei unbeliebten alten weißen Männern entscheiden, sondern bekommen durch den anstehenden Generationswechsel bei den Demokraten eine echte Wahl. Dafür verdient der Amtsinhaber mit seiner Entscheidung höchste Anerkennung. Danke, Mr. Präsident!

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Erstellt:
22. Juli 2024, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
23. Juli 2024, 22:02 Uhr

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