Difäm Tübingen versucht zu helfen
Die Verlorenen im Kongo
Während aller Augen auf die Konflikte in der Ukraine sowie im Gazastreifen gerichtet sind, bahnt sich im Ostkongo eine humanitäre Katastrophe an: Das Difäm Tübingen versucht Gesundheitseinrichtungen zu unterstützen. Ein Arzt vor Ort berichtet über die tägliche Gewalt auf der Straße.

© AFP/ALEXIS HUGUET
In den Krankenhäuser in Goma drängen sich die Verletzten, die von Gewehrkugeln oder Granatsplittern getroffen worden sind. Darunter auch viele Kinder.
Von Regine Warth
Es ist zwischen ein und drei Uhr nachts als bewaffnete Rebellen am 3. März das Ndosho-Krankenhaus im Westen der Stadt Goma überfallen. Bis zuletzt wurden in dem von der Baptistengemeinde geführten Hospital Kriegsverwundete und Zivilisten behandelt, die in dem ausufernden Konflikt verletzt worden sind. Das ist nun kaum noch möglich: Die Rebellen haben Patienten und Krankenhausmitarbeiter terrorisiert und verschleppt. Die wenigen Medikamente und Verbandsmaterialien, die noch vorrätig sind, sind geplündert worden. „Der Krieg muss endlich aufhören“, schreibt der kongolesische Arzt Amiri, der per Whatsapp über die aktuellen Vorkommnisse in den kirchlich geführten Einrichtungen in der Provinz rund um Goma berichtet.
Verloren fühlen sich die Menschen im Osten der Demokratischen Republik Kongos, seitdem die Miliz M23 große Gebiete eingenommen hat, darunter die Provinzhauptstädte Goma und Bukavu. Nach Regierungsangaben wurden bei den Kämpfen seit Jahresbeginn mehr als 7000 Menschen getötet. Den Vereinten Nationen zufolge unterstützt Ruanda die Miliz mit mindestens 4000 Soldaten. Es geht um Rohstoffe, aber auch Ländereien. „Doch wir, die hier zuhause sind, kämpfen nur noch um das Überleben“, sagte Amiri noch wenige Tage zuvor, als der 29-jährige Mediziner per Videocall aus seiner Klinik in die Tübinger Zentrale des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm) zugeschaltet ist.
Difäm Tübingen unterstützt Gesundheitszentren in Goma
Der Arzt, dessen Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt wird, ist Leiter eines Netzwerkes von Gesundheitseinrichtungen der evangelischen Kirche in der Provinz rund um Goma, einer Grenzstadt zu Ruanda mit rund zwei Millionen Einwohnern. Seit drei Jahren wird diese vom Hilfswerks Difäm Weltweit, einem Arbeitsbereich der Tübinger Einrichtung, unterstützt. „Es geht uns darum, die Mitarbeiter der Gesundheitszentren medizinisch zu schulen, ihnen psychologisches Rüstzeug mitzugeben, um ihre seelische Widerstandskraft für die Arbeit mit traumatisierten Binnenflüchtlingen zu stärken“, sagt Gisela Schneider, die in den vergangenen 18 Jahren das Difäm geleitet hat. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen vor Ort gefestigt werden. Auch richte sich die Hilfe an die vielen Vertriebenen im Land, die in Lagern rund um Goma Schutz suchen.
Auch richte sich die Hilfe an die vielen Vertriebenen im Land, die in Lagern rund um Goma Schutz suchen. „Die Kinder sind oft unterernährt“, sagt Amiri. Es wurden kleine Ackerflächen geschaffen, auf denen die geflüchteten Familien schnell wachsendes Gemüse wie Bohnen, Lauch oder Karotten anpflanzen. Das ging viele Monate gut, bis die Rebellen kamen und alles zerstörten.
In Goma gibt es täglich Plünderungen, Überfälle und Vergewaltigungen
Als die Kämpfe Ende Januar die Millionenstadt im Ostkongo erreichten, traute sich seine eigene Familie nicht mehr aus dem Haus – aus Angst auf offener Straße getötet zu werden. Selbst in den eigenen vier Wänden sind die Menschen nicht sicher, weil Artilleriegeschütze in die Häuser fliegen. Die M23-Rebellen haben Goma inzwischen unter Kontrolle. Doch die Gewalt auf der Straße geht weiter. Es gibt Plünderungen, bewaffnete Überfälle und Vergewaltigungen.
Zahlreiche Krankenstationen in und um Goma haben ihren Betrieb eingestellt – auch weil das Personal aus Angst dem Klinikbetrieb fernbleibt. Es sind nur noch zwei kirchliche Hospitäler in Goma, die versuchen, mit den verbleibenden Mitarbeitern den Dienst aufrecht zu erhalten. „Hier wurden in den vergangenen Tagen mehr als 1200 Menschen mit Schusswunden versorgt.“ Dabei strömen ohnehin schon immer mehr Patienten mit tropischen Krankheiten wie Affenpocken oder Malaria sowie Frauen, die ihre Kinder entbinden wollen.
In den Kliniken gibt es keinen Platz mehr für die vielen Opfer
Teils müssen die Patienten in aufgestellten Zelten vor den Einrichtungen ausharren, weil die Kapazitäten der Kliniken erschöpft sind: „Es gibt keine Medikamentenlieferungen mehr“, sagt Amiri. „Ein Warenlager mit medizinischen Hilfsgütern wurde vor wenigen Tagen geplündert.“ Inzwischen wird daher nach einer Art Triage vorgegangen: Wer muss sofort versorgt werden? Wer kann noch warten? „Häufig sind wir gezwungen, lediglich Rezepte für Medikamente auszustellen , die dann der Patient von irgendwo her selbst besorgen muss.“ Völlig verloren sind Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Krebs, Rheuma oder Diabetes sowie diejenigen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. „Wir haben nicht die Mittel und auch zu wenig qualifiziertes Personal.“
Gisela Schneider von Difäm sorgt sich zudem um die Ausbreitung von HIV, Cholera und vor allem den Affenpocken. Die Ausbreitung einer neuen Variante des Mpox-Erregers wurde schon im Sommer 2024 von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ bezeichnet. Der aktuelle Konflikt behindere die Bekämpfung massiv, sagt sie. Dort hätten schon Impfungen begonnen. „Aufgrund der Flüchtlingsbewegung sind die Impfprogramme alle abgebrochen worden.“ Zudem fehle es immer noch an Geld.
Difäm Tübingen befürchtet Ausbruch von Cholera
Die hygienischen Missstände verschlimmern die Lage: So verfügen selbst Krankenhäuser nicht immer über Frischwasser. Schon werden die ersten Durchfallerkrankungen gemeldet. „Wir befürchten, dass sich eine Cholera-Epidemie anbahnt“, sagt Amiri und stellt klar, wenn sich nicht bald etwas ändere, sei keine medizinische Arbeit mehr möglich. „Die Rebellen schnüren uns nach und nach die Luft ab.“ Sie nutzten das Leid der Bevölkerung aus, um ihre eigene Position im Kampf zu stärken.
Der Flughafen der Stadt ist geschlossen. Auch Medikamentenlieferungen über Land sind kaum möglich: Es gibt keinen gesicherten Korridor für humanitäre Hilfe. Zwar hat die UNO von den USA 2,54 Milliarden Dollar (2,45 Milliarden Euro) an humanitären Hilfen für dieses Jahr erbeten – auch um rund 1,5 Millionen akut unterernährten Kindern zu helfen sowie Trinkwasser bereitzustellen. Die Pläne der UNO werden jedoch möglicherweise durch die von US-Präsident Donald Trump vorgenommene Kürzung fast aller von Washington bereitgestellten internationalen Entwicklungshilfen beeinträchtigt.
Difäm Tübingen versucht Medikamente zu liefern
Die EU-Kommission hatte im Januar zunächst 60 Millionen Euro für das laufende Jahr angekündigt. Das reiche nicht aus, fordern Hilfsorganisationen und Kirchen. Sie solle mehr politischen Druck auf Ruanda ausüben. Auch Amiri setzt auf mehr diplomatische Bemühungen.
Inzwischen bemüht sich das Difäm, von Uganda aus Medikamente nach Goma zu bringen. „Wir müssen sehr vorsichtig sein“, sagt Schneider. Weitere Details sollen nicht an die Öffentlichkeit dringen. Geringe Geldbeträge können über den elektronischen Geldbörsenservice Mobile Money oder per Western Union versandt werden.
Benötigt werde viel mehr Hilfe – jahrelang, sagt Amiri. „Wir müssen vor allem auf die Kinder achten – sie dürfen nicht auch noch verloren gehen.“ Die Gewalt auf der Straße gehöre für sie zum Alltag, sie würden mit dem Gefühl aufwachsen, dass ein Menschenleben nichts mehr zählt. Erst unlängst ist in seiner Nachbarschaft ein Mann nach einer Rebellen-Attacke auf der Straße bei lebendigem Leib verbrannt. „Da waren Menschen drum herum“, sagt der Arzt. „Aber die schenkten dem Toten kaum Beachtung.“ Sie seien den Alltagsgeschäften nachgegangen, als wäre alles ganz normal.