Die Vogelwelt tickt europäisch

EU-Serie Die EU wirkt sich im Alltag des Vogelschützers Jost Einstein direkt aus

EU-Serie - Tiere und Pflanzen kennen keine Staatsgrenzen. Deshalb gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der EU, sich für einen europaweiten Schutz der Umwelt einzusetzen. Davon profitiert auch das Naturschutzzentrum am Federsee.

Stuttgart Ruhigen Schrittes kommt Jost Einstein vom Holzsteg des Federsees zurück, das Fernglas um den Hals, eine Kladde mit den Ergebnissen seiner zweistündigen Wasservogelzählung unterm Arm: 18 Vogelarten hat er diesmal auf seiner Liste, darunter ist die große Masse: jeweils eine Hundertschaft von Höckerschwänen, Graugänsen und Blesshühnern, aber da sind auch Raritäten, die man im Binnenland nicht häufig sieht. Je zwei Exemplare der hübschen, hellbraunen Rostgans und der an einer weißen Stirn ­erkennbaren Blässgans, die in arktischen Gefilden zu Hause ist. Einstein sagt: „Die Zahlen sind im Vergleich zum Winter und zur Hauptdurchzugszeit schon relativ gering, der Zug der Wasservögel neigt sich dem Ende zu.“ Ansonsten hat Einstein auf dem Wasser und im Schilf noch jede Menge Enten beobachtet: Stock-, Schnatter-, Löffel- und Pfeifenten sowie Spieß-, Tafel- und Reiherenten. Auch Küstenbewohner waren zu Gast – zwei Lachmöwen und zwei Mittelmeer­möwen. Die Vogelwelt kennt keine Grenzen, sie tickt europäisch – und ihr Schutz ist auch von derEuropäischen Unionorganisiert.

Für den 1954 in Bad Buchau am Federsee geborenen Jost Einstein, der Ökologie studierte, verbindet sich die Leidenschaft des Vogelbeobachtens mit seinem Beruf – und für den hat die EU maßgeblich eine Grundlage geschaffen. Einstein leitet das Naturschutzzentrum am Federsee, ein direkter Nachbar des berühmten Pfahlbautenmuseums, des UN-Weltkulturerbes. Vom Naturschutzzentrum aus wird die ökologisch wichtige Wiedervernässung des teilweise vom Menschen trockengelegten Moores rund um den Federsee organisiert.

Schon zweimal hat die EU mit dem französisch betitelten Umweltförderprogramm Life („L’Instrument Financier pour l’Environnement“) bei der Renaturierung der Moorwiesen geholfen. In zwei Projekte flossen jeweils 1,5 Millionen Euro – eine Hälfte kam von der EU, die andere vom Land. Unter anderem werden alte Entwässerungsgräben zugeschüttet, damit sich wieder nasse Wiesen bilden und das Moor wächst.

Auch das Zählen des Vogelbestandes sowie der Vogelschutz sind eine europäische Angelegenheit. Mit der Schutz-Verordnung für 500 wild lebende Vogelarten hatte die EU 1979 ihr erstes Umweltgesetz beschlossen, später folgte die Ausweisung von Schutzgebieten unter dem Titel Natura 2000, zu denen auch der Federsee gehört und die sich an den Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien der EU orientieren. Die stellen übrigens auch den Wolf unter Schutz.

Die EU sagt, dass ihre Vogelschutzmaßnahmen erfolgreich seien, so habe sich beispielsweise der Bestand des Spanischen Kaiseradlers, der Mitte der 70er Jahre auf 50 Paare gesunken sei, erholt, und heute zähle man dreimal so viele. Jost Einstein kann das bestätigen. Es gebe Erfolge, sagt er, gerade, was fischfressende Vögel anbelange. Die seien als Konkurrenten des Menschen lange gejagt worden, damit sei nun Schluss. So habe sich der Gänsesäger, der fast als ausgerottet galt, wieder „stark vermehrt“ – und auch der Eisvogel war schon totgesagt, er ist beim Naturschutzbund auf einer Vorwarnliste, zeigt sich aber wieder vermehrt.

„Die europäischen Standards sind wichtig“, sagt Jost Einstein, man könne den Schutz von Flora und Fauna „nicht isoliert“ betreiben. Sein Lob für die EU paart der Ökologe aber mit Kritik an der Agrarpolitik. Dieintensive Landwirtschaftmacht er dafür verantwortlich, dass „viele geschützte Tiere und Pflanzen im Sinkflug“ seien. Ein Indikator sei das Braunkehlchen, ein früher weit verbreiteter Brutvogel, ein „Allerweltsvogel“, sagt Einstein, der nun auf der Roten Liste steht. Auf einer Braunkehlchen-Tagung habe er Fachleute aus Polen, Tschechien und Ungarn getroffen, die hätten alle das Gleiche erzählt: „Mit dem EU-Beitritt sei ihre Landwirtschaft intensiviert worden. Der Bestand des Braunkehlchens ging daraufhin zurück.“ Auch der Klimawandel ist in der Vogelwelt ablesbar. „Bei uns im Moor tauchen wärmeliebende Vogelarten auf – der Bienenfresser etwa, ein sehr bunter Vogel“, sagt Einstein. Auch den Wiedehopf und das Schwanzkehlchen, die früher bevorzugt nur rund um den warmen Kaiserstuhl brüteten, habe er in Bad Buchau schon gesehen. „Die gab es hier früher nicht“, sagt Einstein. Er muss es wissen. Er beobachtet die Vögel am Federsee seit 40 Jahren.https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.europaeische-union-ganz-nah-ein-bauer-verliert-den-glauben-an-europa.b414d85e-1eff-4ee6-8403-01f523f751ab.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.europaeische-union-ganz-nah-wenn-man-atome-sehen-kann.022197d9-ee44-4786-bbfe-8956cd08f5bd.html

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Erstellt:
10. Mai 2019, 02:04 Uhr

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