Die Welle der Hilfe wogt weiter

Das Engagement zugunsten der Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland fliehen, ist auch in der Backnanger Region ungebrochen. Wir haben einige Beispiele gesammelt, wie die Leute auf jeweils eigene Art helfen.

Lieferung in die Ukraine: Die Mitglieder des Motorradklubs „Biking Nomads“ (von links) Sven Semet, Anette Haug, Annika Gommel, Matthias Hepper, Michael Kraft, Stephan Gerngroß und Christian Breitling bringen Hilfsgüter an die polnisch-ukrainische Grenze und wollen auf dem Rückweg 13 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland mitnehmen. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Lieferung in die Ukraine: Die Mitglieder des Motorradklubs „Biking Nomads“ (von links) Sven Semet, Anette Haug, Annika Gommel, Matthias Hepper, Michael Kraft, Stephan Gerngroß und Christian Breitling bringen Hilfsgüter an die polnisch-ukrainische Grenze und wollen auf dem Rückweg 13 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland mitnehmen. Foto: T. Sellmaier

Von Anja La Roche, Kristin Doberer und Bernhard Romanowski

Backnang. Die Hilfsbereitschaft auch in Backnang und Umgebung für die Menschen in der Ukraine ist ungebrochen und nach wie vor hoch. Gestern erst haben sich zwei Neunsitzerbusse mit Hilfsgütern auf den Weg an die polnisch-ukrainische Grenze gemacht. Dort werden die Sachen dann an ukrainische Hilfsorganisationen weitergegeben. „Wir haben uns mit den Hilfskräften abgesprochen, was gebraucht wird“, erzählt Sven Sammet, der vor zehn Tagen schon mal mit einem Lastwagen dort war und dabei einige Kontakte mit Helfern geknüpft hat. Gebraucht werden gerade vor allem Medizin, Hygieneartikel und Lebensmittel.

Organisiert und durchgeführt wird die Aktion hauptsächlich vom Motorradklub „Biking Nomads“ aus Backnang. Gesammelt haben viele Freunde und besonders unterstützt hat auch der Asylkreis „Aspach zeigt Herz“. Denn auf dem Rückweg sollen gleich 13 ukrainische Flüchtlinge von der Grenze mitgenommen werden. Auch dazu habe man sich mit den Helfern vor Ort abgesprochen. „Aber wer dann mit zurückfährt, wissen wir nicht. Im Endeffekt halten wir ein Schild mit Zielort Stuttgart und 13 Sitzplätzen als Aufschrift hoch“, sagt Sammet. Für 13 Personen sei aber bereits eine Unterkunft organisiert. Die Bürgerinitiative Awia habe dabei unterstützt.

In der Alten Vogtei in Backnang leben bereits seit Samstag eine Mutter und ihre 14-jährige Tochter, die aus dem ukrainischen Charkiw geflohen sind. In dem Hotel mitten in Backnang können sie nun erst einmal bleiben. „In dem Familienzimmer gibt es auch eine kleine Küche“, erzählt Geschäftsführer Fabio Gomez. Für ihn sei schnell klar gewesen, dass er den Menschen helfen will, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Über Hilfsplattformen hat er eine Unterbringungsmöglichkeit in dem Backnanger Hotel angeboten. Der Anruf sei recht spontan gekommen. Deutlich mehr Menschen als von der Hilfsorganisation erwartet seien in Stuttgart angekommen. Für manche musste ganz schnell noch eine Unterkunft gefunden werden. „Die wären sonst am Stuttgarter Bahnhof gestrandet“, sagt Gomez. Er hat die Mutter und ihre Tochter dann am Bahnhof eingesammelt und ihnen zu erklären versucht, dass sie nicht in Stuttgart, sondern in Backnang unterkommen werden. „Die beiden waren total traumatisiert mit einem Wildfremden im Auto – sie sprechen kaum Englisch, ich kann weder Russisch noch Ukrainisch“, schildert der Hotelier. Nach dem ersten Ankommen und Einrichten im Hotel habe er die Frauen dann zum Einkaufen und später auch zu den Behörden begleitet. Für die Stadt hat er dabei viel Lob übrig. Dort habe man ihm, der sich zwar bemüht, aber eigentlich keinerlei Erfahrung in dem Bereich hat, gut weitergeholfen und viele wichtige Informationen gegeben.

Mittlerweile fühlen sich die beiden Neuankömmlinge laut Gomez wohl und sie werden voraussichtlich auch weiter in Backnang bleiben. „Das Zimmer ist nicht mehr buchbar. Seit gestern sind die beiden offiziell bei der Stadt Backnang angemeldet“, sagt Gomez. Die Tochter soll in den nächsten Tagen an einer Backnanger Schule angemeldet werden. Zu allen Terminen begleitet Gomez die beiden Ukrainerinnen, auch wenn er selbst kein Russisch oder Ukrainisch spricht. Mit Händen und Füßen sowie dem Google-Übersetzer klappe das aber schon. „Ich habe Freunde, die Russisch sprechen und die ich auch mal schnell anrufen kann“, sagt er. Und die Frauen seien unglaublich bemüht, etwas Deutsch zu lernen. „Ich werde jetzt schon auf Deutsch begrüßt“, sagt Gomez.

Spontane Flüchtlingshilfe: Seit einer knappen Woche wohnt eine ukrainische Familie (vorne) bei den Backnangern Tobias und Andrea Bertsch (hinten) im Haus. Foto: privat

Spontane Flüchtlingshilfe: Seit einer knappen Woche wohnt eine ukrainische Familie (vorne) bei den Backnangern Tobias und Andrea Bertsch (hinten) im Haus. Foto: privat

Wer etwas Platz im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung hat, überlegt womöglich gerade, diesen ukrainischen Flüchtlingen anzubieten. So hat es auch das Ehepaar Andrea und Tobias Bertsch aus Waldrems gemacht: Seit Sonntag wohnt eine ukrainische Familie in einer freien Wohnung in ihrem Haus. Zunächst hatte das Ehepaar bei der Stadt freien Wohnraum gemeldet, um Flüchtlinge aufzunehmen. Doch dann ging alles überraschend schnell, denn befreundete Flüchtlingshelfer aus Allmersbach im Tal hatten bei einer Fahrt an die ukrainische Grenze mehr Personen mitgenommen als ursprünglich geplant. Eine junge Mutter mit ihren zwei Söhnen und ihrer Schwiegermutter konnte dank der Gastgeber Bertsch nun Unterschlupf in der freien Wohnung finden – sonst wären sie wohl in die Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen gekommen.

Seit einer knappen Woche leben sie nun also zu sechst unter einem Dach. Und Andrea Bertsch ist zufrieden. Denn zum einen funktioniere das Zusammenleben reibungslos und zum anderen sei die Zusammenarbeit mit den Behörden unkompliziert. Von Vorteil ist dabei auch, dass die ukrainische Mutter Englisch sprechen kann. Bertsch möchte anderen hilfsbereiten Menschen die Sorge nehmen, dass die spontane Aufnahme von Geflüchteten mit hohem Aufwand verbunden sei. Die pensionierte Bankangestellte habe nun in einer Woche die Registrierung der Familie auf den Weg gebracht, ihnen – gebührenfrei – ein Sparkassenkonto eröffnen lassen und den Söhnen im Alter von sieben und acht Jahren einen Platz in der Schule vermitteln können. „Wenn man das alles in einer Woche organisieren kann, kann es nicht so schlimm sein“, sagt sie. Besonders betont Andrea Bertsch die große Hilfsbereitschaft in ihrem Bekanntenkreis und dem ihrer Tochter. Viele Leute hätten Kleider und Möbel für die Familie vorbeigebracht, die mit nichts als ihren Klamotten am Leib hier angekommen war. „Wir waren alle überwältigt“, sagt Andrea Bertsch über diese große Geste.

Nächste Woche kommen die zwei Jungs bereits für zwei Stunden am Tag in eine ukrainische Lerngruppe an der Schillerschule und die Mutter beginnt einen Deutschkurs. Die Backnanger Gastgeber kümmern sich derweil um die finanzielle Absicherung ihrer Hilfsbereitschaft. Der Plan sei, die Wohnung an die Stadt zu vermieten, erklärt Andrea Bertsch. Zudem habe ihnen das Sozialamt mitgeteilt, dass sie jeden Monat 100 Euro pro aufgenommenem Flüchtling erhalten werden. Einen monatlichen Betrag zur Grundsicherung wird die ukrainische Familie zudem erhalten, sobald sie ihre Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat. Momentan kommen die beiden Familien jeden Tag zum gemeinsamen Mittagessen zusammen. Das sei „gut für die Gemeinschaft“, wie Andrea Bertsch sagt. Und die Enkeltochter der Backnanger habe mit den gleichaltrigen Jungs aus der Ukraine bereits Spielkameraden zum Versteckenspielen gefunden, freut sie sich.

„Es gibt eine große Solidarität, die sich in den verschiedensten Hilfsangeboten und Aktionen äußert“, berichtet Melanie Schuler von der Stadt Backnang auf Nachfrage. Nachdem die Stadt vorige Woche einen Hilfeaufruf veröffentlicht hatte, lagen am Montag bereits über 30 Wohnraumangebote vor. Daneben kamen auch zahlreiche Angebote für Übersetzungsdienste, überwiegend in russischer und ukrainischer Sprache. Außerdem sind viele Angebote für Alltagshilfen – etwa Begleitung bei Behördengängen, Fahrdienste, Kinderbetreuung, Deutschkurse und Angebote für Sachspenden – bei der Stadt eingegangen.

Derzeit koordiniert und sichtet ein Team der Stadt Backnang die Angebote. „Wir versuchen die Zimmer-, Betten- und Wohnungsangebote unserer Bürgerinnen und Bürger aktiv zu sammeln, damit wir den teils sehr plötzlichen Unterbringungsbedarf stemmen können“, so Schuler weiter. Eine gute Zusammenarbeit innerhalb der Behörden sei dabei wichtig. Die Stadt Backnang wolle diese Menschen in ihrer schwierigen Situation bestmöglich unterstützen. Es hätten sich auch schon Menschen aus der Ukraine in der Stadt offiziell registriert, wie man in der Pressestelle zu berichten weiß. Schuler: „Eine genaue Bezifferung ist derzeit noch etwas schwierig, da sich die Situation stündlich dynamisch verändert.“

So können Sie helfen

Stadt Backnang Die Hilfsangebote aus der Bevölkerung werden von der Stadt Backnang zentral gesammelt und bei Bedarf abgerufen. Hierzu steht Sandra Amofah montags bis freitags von 8 bis 13 Uhr sowie am Dienstag und Mittwoch bis 16 Uhr als Ansprechpartnerin telefonisch unter 07191/894435 oder per E-Mail an helfen@backnang.de zur Verfügung. Auf der Homepage der Stadt findet man auch ein Formular, in das man sein Angebot eintragen kann.

Rems-Murr-Kreis „Wenn Sie uns Behörden im Kreis bei der Unterbringung von Geflüchteten ehrenamtlich unterstützen möchten, freuen wir uns sehr darüber“, heißt es auch bei der Landkreisverwaltung Rems-Murr. Für die Ehrenamtskoordination des Kreises stehen Sandra Kreb montags bis freitags (E-Mail s.kreb@rems-murr-kreis.de, Telefon 07151/5011417) sowie Harald Luttmann dienstags bis donnerstags (E-Mail h.luttmann@rems-murr-kreis.de, Telefon 07154/5011670) zur Verfügung.

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Erstellt:
19. März 2022, 06:00 Uhr

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