Die Wut-Weber

Bildertheater: Georg Schmiedleitner inszeniert in Stuttgart Gerhart Hauptmanns Klassiker der Kapitalismuskritik

Theater - Georg Schmiedleitners Regiekonzept für „Die Weber“ besteht darin, den Einzelnen in der Masse aufgehen zu lassen. Das Schicksal des Individuums tritt in den Hintergrund. Dafür hat am Samstag im Schauspielhaus ein Requisit die Hauptrolle übernommen.

Die Wut-Weber

Stuttgart Die Sache ist ganz einfach: Der Mann da oben im Goldanzug ist der Böse. Die Zerlumpten da unten sind die Guten. Er hat das Wort, also die Macht: Das Mikro in der Hand, steht er in seiner Kommandozentrale aus Chrom, Glas und schwarzem Leder und erzählt die Geschichte vom gebeutelten, missverstandenen Unternehmer. Währenddessen recken die Arbeiter die Arme in die Höhe und scheinen die noble Bude des Chefs nach vorne zu hieven.

Natürlich ist es reine Technik, die den Kasten nach vorne in Richtung Publikum schiebt. Kluge Idee: Jeder meint, etwas zu bewegen, doch in Wirklichkeit sind andere Kräfte am Werk – kapitalistische Mechanismen, welche die Menschen unterjochen.

Damit ist der Abend eigentlich erzählt. Doch dies ist kein Tableau vivant, kein Bild in Bewegung in einem Museum, das man sich gern fünf Minuten anschauen darf, sondern ein Theaterstück: Gerhart Hauptmanns immer noch aktueller Klassiker der Kapitalismuskritik „Die Weber“ aus dem Jahr 1892 steht auf dem Premierenprogramm am Samstag imSchauspielhaus Stuttgart. Über Arbeiter schrieb Hauptmann, die unter unmenschlichen Bedingungen in der Textilindustrie kruppen und den Aufstand gegen den Fabrikanten Dreißiger wagen – angeführt von dem ehemaligen Soldaten Moritz Jäger und einem jungen Weber, den man den roten Bäcker nennt.

Der österreichische Regisseur Georg Schmiedleitner entscheidet sich aber dagegen, von den Einzelschicksalen der Weber zu erzählen, die solch einen – zu seiner Entstehungszeit schon historischen – Stoff erst interessant machen. Man sieht einen Weber-Chor, der mit angeschmutzten Gesichtern und grimmen Mienen unentwegt Jeans zusammenfaltet, was einen dumpf rhythmischen Grundton zu ihrem Lamento bildet. Mal ängstlich zagend, mal empört beklagen diese Wut-Weber, was alles schiefläuft: Überstunden ohne Ende, Schlaflosigkeit, Burn-out, ein Hungerlohn, von dem keiner eine Familie durchbringen kann.

Die auf 90 Minuten Spieldauer zusammengestrichene Textfassung verzichtet auch auf das Kunstschlesisch, das der dem Naturalismus verpflichtete Autor verwendet hat. Die Regie verordnet den Akteuren ersatzhalber eine leicht artifizielle Spielweise, große Posen, Grimassen, erstarrte Mienen, Chargenspiel. Damit keine Unklarheiten aufkommen, tragen die Macher Schnurrbärte: Dreißiger (Thomas Sarbacher), der aufständische, von reiner Lust an der Provokation inspirierte Jäger (Peer Oscar Musinowski) und der Weber namens ­Bäcker (Jannik Mühlenweg).

Schauspieler übernehmen zudem mehrere Figuren, Reinhard Mahlberg gibt unter anderem den armen Weber Baumert und den korrupten Polizisten.Christiane Roßbachtritt als Mutter Baumert auf und als Dreißigers Fabrikantengattin – und zeigt mit ihrer ulkigen Interpretation der Gattin als naive Schnapsdrossel ihre komödiantischen Qualitäten. Anne-Marie Lux als Emilie immerhin ist eine Figur, die sich irrlichternd, schön singend, verstört murmelnd zwischen den armen Webern und den reichen Fabrikanten bewegt. Was Schmiedleitner mit den Mehrfachbesetzungen sagen will: Keiner ist schlecht von Natur aus, die Verhältnisse ­bestimmen das Menschsein.

Weder die (neue) Lust am Aufstand, wie man ihn derzeit im linksrheinischen Nachbarland sieht, bekümmert Dramaturgie und Regie, noch die heute deutlich komplizierteren Herr-Knecht-Beziehungen in einer globalisierten Welt. Leute klagen zum Beispiel darüber, dass sie wegen vermeintlich zu hoher Lohnkosten wegrationalisiert wurden und jeder immer nur auf den günstigen Preis achtet. Das hindert sie aber nicht daran, das System zu bestätigen, indem sie selbst haufenweise T-Shirts oder Jeans aus jenen Billiglohnländern kaufen, in die ihre früheren Arbeitgeber abgewandert sind. Da das Regiekonzept darin besteht, den Einzelnen in der Masse aufgehen zu lassen und die Gut-böse-Verhältnisse unmissverständlich klar zu zeigen, ist die Spannung eher gering.

Was dafür entschädigt, ist der Installationscharakter des Abends. Die Bühne vonVolker Hintermeierschafft mit Licht und Nebel eine pathosgetränkte, düstere Atmosphäre. Die Bühnenmaschinerie läuft auf Hochtouren: Die Weber-Menge wird in den (Bühnen-)Untergrund geschickt, während des Aufstands gerät das Luxus-Loft, das zugleich Kommandozentrale von Dreißiger ist, konkret ins Schlingern.

Und: Eine Hauptrolle in diesem visuellen Spektakel gibt’s dann doch. Es ist ein Requisit. Jeans, ein Berg aus Jeans. Dass Firmen heute in Bangladesch und anderswo billig produzieren und in Europa für ein Paar Euro anbieten, ist ein angedeuteter Bezug zum Hier und Heute. Anders als zu Webers Zeiten können die Arbeiter heute aber nicht mehr zur Fabrikantenvilla marschieren, um gegen geringe Löhne und schlechte Arbeitsbe­dingungen zu protestieren, weil die Chefs Tausende Kilometer entfernt in Firmen­zentralen in Europa oder USA residieren.

Von Szene zu Szene formiert sich also das blaue Jeansmeer neu. Es wird zur Arbeitsbank, über die Dreißigers Personalchef Pfeifer (Giovanni Funiati) wie ein ungelenker Zinnsoldat marschiert und den Arbeitern den Marsch bläst. Es wird zum Schlaginstrument, um gegen die Obrigkeit aufzumucken. Es türmt sich auf zum Wohn-Berg, auf dem die armen Arbeiter wacklig balancieren, kopfüber herunterhängen und sich mühsam an einem Hosenbein festhalten.

Abgetragene, verwaschene Hosen sind es, die das Leben der Leute bestimmen und dominieren. Aber vielleicht ist es ja so banal, vielleicht ist es das, was am Ende bleibt vom Menschsein: eine leere Stoffhülle.

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Erstellt:
14. Januar 2019, 03:14 Uhr

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