Dubiose Smartwatches
Diese Uhren messen vieles – nur nicht den Blutzucker
Ulmer Wissenschaftler haben Smartwatches aus dem Internet unter die Lupe genommen, die den Blutzuckerspiegel ihrer Träger erfassen sollen. Die Ergebnisse sind ernüchternd.
Von Werner Ludwig
Das Bild zeigt eine Banane mit angelegter Smartwatch. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe sich der Fotograf einen Scherz erlaubt, doch dahinter steckt seriöse Wissenschaft. Im Zoom-Gespräch erklärt Manuel Eichenlaub, wie es dazu kam. „Im Internet werden immer wieder Smartwatches angeboten, die angeblich auch den Blutzuckerspiegel messen können“ sagt der Wissenschaftler vom Institut für Diabetes-Technologie an der Universität Ulm. Deshalb haben Eichenlaub und seine Kollegen mehrere dieser Uhren genauer unter die Lupe genommen.
Der promovierte Medizintechnikingenieur, der selbst unter Typ-1-Diabetes leidet, trug die Uhren mehrere Tage und verglich die Ergebnisse mit den Werten des CGM-Systems, das über einen Sensor unter der Haut permanent seine Zuckerwerte erfasst. Eichenlaub zeigt ein Diagramm, in dem die Messkurven zumindest an einigen Stellen recht nahe beieinander liegen.
Auffällig ist allerdings, dass die Messwerte der Fitnessuhren auch an den folgenden Tagen den gleichen Verlauf aufweisen – mit einem Anstieg des Zuckerspiegels jeweils nach den Uhrzeiten, zu denen üblicherweise die Hauptmahlzeiten eingenommen werden. „Die Vermutung lag nahe, dass die Uhren gar nichts messen, sondern nur vorgegebene Verläufe anzeigen“, so Eichenlaub. In der Beschreibung stehe auch nirgends, wie die Messung technisch funktionieren soll.
Banane als Demonstrationsobjekt
Um möglichst plakativ zu zeigen, wie unrealistisch die Werbeversprechen der Anbieter sind, kam Eichenlaub dann auf die Idee, die Smartwatches aus dem Internet an einer Banane auszuprobieren. Das erwartbare Ergebnis: Die angeblichen Blutzuckerkurven hatten genau den gleichen, offenbar fest vorgegebenen Verlauf wie beim Tragen der Uhren am Handgelenk. Bananen enthalten zwar Glukose, doch die Konzentration verändert sich in Lauf eines Tages nicht.
Eichenlaub verfolgt von Berufs wegen die Forschung zur sogenannten nicht-invasiven Blutzuckermessung, die ohne lästiges Piksen in den Finger und ohne irgendwelche Sensoren unter der Haut funktionieren soll. Daher weiß er, wie anspruchsvoll dieses Ziel ist. Dass ausgerechnet eine Smartwatch für 60 Euro dazu in der Lage sein soll, erschien ihm daher gleich suspekt.
Seit vielen Jahren arbeiten Entwickler weltweit an Methoden zur nicht-invasiven Zuckermessung. Eine Möglichkeit ist die Analyse von Urin, Tränen, Speichel oder Schweiß sowie der Gewebsflüssigkeit, die sich zwischen den Körperzellen befindet. Allerdings seien hier die Glukosekonzentrationen deutlich niedriger als im Blut, was den Nachweis erschwere, so Eichenlaub. Zudem besteht zwischen der Zuckerkonzentration in den Körperflüssigkeiten und jener im Blut teilweise nur ein loser Zusammenhang.
GlucoWatch überzeugt nicht
Am besten schneidet in dieser Hinsicht noch die Gewebeflüssigkeit ab, die auch Grundlage der Zuckermessung mit CGM-Systemen ist. Es gab auch schon Versuche, diese Flüssigkeit ohne Sensor unter der Haut zu analysieren. Dazu muss sie jedoch in ausreichender Menge an die Hautoberfläche befördert werden. Die bereits 2001 vorgestellte uhrenähnliche GlucoWatch nutzte dazu eine elektrische Spannung, konnte sich aber mangels Zuverlässigkeit nicht durchsetzen. Schweiß störte die Messung. Zudem traten Hautreizungen auf.
Vielversprechender ist nach Einschätzung der Ulmer Experten der Ansatz, die Glukosekonzentration in den oberen Hautschichten durch optische und akustische Verfahren zu erfassen. Dazu wird beispielsweise Infrarotlicht eingesetzt, das von den Zuckermolekülen absorbiert wird. Die Moleküle geben darauf ihrerseits Licht ab, dessen Spektrum analysiert wird und eine indirekte Bestimmung des Blutzuckerspiegels erlauben soll. Manche Forscher nutzen auch Ultraschall.
Die Glukosemessung im Gewebe gilt aber nach wie vor als technische Herausforderung. Eichenlaub nennt in einem Fachartikel zwei wesentliche Probleme: zum einen den komplexen Gewebeaufbau, zum anderen den störenden Einfluss anderer Stoffe, die ähnliche optische Eigenschaften wie Glukose haben und die Messung verfälschen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten fünf Jahren praxistaugliche nicht-invasive Geräte mit der für Diabetiker erforderlichen Messgenauigkeit verfügbar sein werden, sei relativ gering, meint Eichenlaub. Zudem gebe es mit den CGM-Systemen bereits jetzt eine komfortable Lösung, mit der sich der Zuckerspiegel zuverlässig überwachen lassen. Bei den meisten Systemen kann man die Sensoren mit einem Applikator selbst unter der Haut anbringen. Nach rund zwei Wochen müssen sie ersetzt werden. „Die Latte für andere Messmethoden liegt schon sehr hoch“, findet Eichenlaub.
Lifestyle-Kundschaft im Visier
Die Entwickler lassen sich davon aber nicht entmutigen – schließlich winkt hier ein riesiger Markt. Denn potenzielle Kunden sind längst nicht nur Menschen, die an Diabetes leiden, sondern auch jene, die ihre Blutzuckerwerte ständig im Auge behalten wollen, obwohl das aus medizinischer Sicht gar nicht erforderlich wäre. Doch Zucker gilt mittlerweile auch einer wachsenden Zahl gesunder Menschen als eines der größten Gesundheitsrisiken.
Dazu tragen Influencer wie die „Glucose Goddess“ Jessie Inchauspé bei, die ihren Followern Tipps zur Dämpfung von Zuckerspitzen gibt. So mancher, der die Ratschläge der französischen Biochemikerin befolgt – sie empfiehlt etwa, verschiedene Lebensmittel in einer bestimmten Reihenfolge zu verzehren oder sich nach dem Essen körperlich zu betätigen – wüsste vermutlich auch gerne, ob sich der Aufwand lohnt. Gerade für diese eher lifestyle-orientierte Klientel könnte die nicht-invasive Blutzuckermessung interessant sein. Doch die Geräte, die dafür bis jetzt angeboten werden, sind – siehe oben – ziemlich Banane.