Natalia Wörner war beim Tsunami 2004 in Thailand
„Dieses Leid zu sehen, war für mich kaum zu ertragen“
Schauspielerin Natalia Wörner war vor 20 Jahren in Thailand, als der Tsunami unvorstellbares Leid über die Menschen brachte. Im Interview erzählt die gebürtige Stuttgarterin von dem grausamen Tag und wie sie damit bis heute umgeht.
Von Bettina Hartmann
Es war eine der schlimmsten Naturkatastrophen: der Tsunami in Südostasien an Weihnachten 2004. 20 Jahre später sprechen wir mit der in Stuttgart aufgewachsenen Schauspielerin Natalia Wörner (57), die die grauenhaften Ereignisse vor Ort erlebt hat. Im Interview erzählt sie, wie sie mit den Erinnerungen umgeht.
Frau Wörner, wie fühlen Sie sich, wenn der Jahrestag des Tsunamis ansteht?
Diese Tage sind immer sehr intensiv. Denn natürlich kommen alte Erinnerungen hoch. Furchtbare Bilder von unvorstellbarem Leid. Aber das lasse ich zu, vom Verdrängen halte ich nichts.
Wie haben Sie die Katastrophe damals erlebt? Sie haben ja nur mit viel Glück überlebt.
Mein damaliger Partner und ich waren im Urlaub in Thailand. Die letzten Tage haben wir in Khao Lak verbracht. Am 26. Dezember wollten wir mit einem Mietwagen nach Phuket, um von dort nach Bangkok zu fliegen. Schon nach zehn Minuten Fahrt war nichts mehr wie zuvor - Wassermassen, überall lag Geröll, vor uns war die Küstenstraße weggebrochen, es herrschte Chaos. Menschen kamen aus den Fluten: blutüberströmt, schreiend. Zunächst dachte ich, ein Damm wäre gebrochen. Aber die Einheimischen wussten, was los war, dass noch mehr Monsterwellen kommen. Wir sind dann mit ein paar Überlebenden einen Hügel hoch in den Dschungel geflohen.
Wann und wie kam Hilfe?
Wir mussten uns selbst helfen. Die Handys haben nicht funktioniert. Das Ausmaß der Katastrophe war uns zunächst gar nicht bewusst. Mein Ziel war nur, die Schwerverletzten, die bei uns waren, zu versorgen. Als sich das Wasser beruhigt hatte, versuchten wir, sie in ein Krankenhaus zu bringen. Es war völlig überfüllt. Wir wurden nicht mal auf das Gelände gelassen. Auf dem weiteren Weg sahen wir überall Leichen. Erst in einer Art Busch-Krankenhaus wurden die Verletzten dann notdürftig behandelt. Wir haben mitgeholfen, wo es ging.
Was geht einem da durch den Kopf?
Es ist unvorstellbar. Dieses Leid zu sehen, war für mich kaum zu ertragen. Man ist auf so eine gigantische Naturkatastrophe nicht vorbereitet. Die Schrecken kommen allerdings in Schüben. Und man funktioniert trotzdem, weil man funktionieren muss, von einer Sekunde zur nächsten. Aber als sich auch im Krankenhaus die Leichen stapelten, dachte ich zum ersten Mal: Warum hat es nicht mich getroffen?
Sie hatten Schuldgefühle?
Ja, quälende. Die kamen aber auch erst später und in Schüben. Wieso bin ich verschont geblieben, so viele andere aber nicht? Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Es hat sich absurd angefühlt. Wären wir nur fünf Minuten früher losgefahren, hätte es anders ausgesehen. Ein Zufall hat somit über unser Leben entschieden.
Wie schafft man es nach so einem Albtraum wieder in den Alltag?
Nach meiner Rückkehr war ich völlig überfordert, habe mich gefragt, was ich hier überhaupt mache. Recht schnell haben wir damals die Tsunami-Direkthilfe gegründet und mehr als 300.000 Euro für die Menschen vor Ort gesammelt. Mit dem Geld wurde unter anderem eine Schule wieder aufgebaut und eine Werft in Sri Lanka gebaut. Zu helfen war und ist mir wichtig - und es hat auch mir selbst geholfen.
Haben Sie heute noch Kontakte nach Thailand?
Ich hatte zunächst große Scheu, in die Region zurückzukehren. Als 2008 die erste Reise mit der Kindernothilfe anstand, kostete es mich zunächst große Überwindung, dorthin zu fahren. Mittlerweile bin immer wieder in Südasien und Südostasien gewesen. Im Januar 2025 werde ich mit der Kindernothilfe zwei Projekte in Sri Lanka besuchen. Ein Zentrum für traumatisierte Kinder und eine Selbsthilfegruppe für Frauen, um ökonomisch und politisch in die Ermächtigung zu kommen.
Hat Sie dieses Horror-Erlebnis verändert? Verschieben sich vielleicht auch die Prioritäten?
Der Tsunami hat mein Leben schon maßgeblich mitgeprägt. Rückblickend denke ich heute: Es ist das eine, was einem geschieht - und dann ist es das Entscheidende, was man damit macht.
Ist Positives geblieben?
Sehr viel Positives. Zum einen die Kontakte zu Hilfsprojekten in der Region. Mein Engagement für die Kindernothilfe. Und zum anderen eine innige Freundschaft zu einem deutschen Paar, das ich damals in Thailand kennengelernt habe.