Diskussion um vegetarisches Essen in Schulen und Kitas

Der Beschluss in Freiburg, in städtischen Kitas und Grundschulen nur noch vegetarisches Essen anzubieten, hat eine Debatte ausgelöst. Der ernährungspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Ralf Nentwich, spricht sich klar dafür aus. Viele andere Akteure sind dagegen.

Die Klasse 9c der Schickhardtrealschule bedient sich an der Salatbar in der Mensa „Schicke Möhre“. Diese Woche gibt es dort an allen Tagen ein fleischhaltiges und ein vegetarisches Menü zur Auswahl. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Die Klasse 9c der Schickhardtrealschule bedient sich an der Salatbar in der Mensa „Schicke Möhre“. Diese Woche gibt es dort an allen Tagen ein fleischhaltiges und ein vegetarisches Menü zur Auswahl. Foto: Tobias Sellmaier

Von Anja La Roche

Backnang. Wie wäre das, wenn es in der Schulmensa nur noch vegetarisches Essen geben würde? „Nicht gut“, findet Luisa, 14 Jahre alt. Es ist Mittagspause und die Schülerin kommt gerade in der Backnanger Mensa „Schicke Möhre“ an. Die liegt bei der Mörike-Gemeinschaftsschule und der Schickhardt-Realschule. „Kinder wollen auch was anderes essen“, findet sie. „Zum Beispiel Kötbullar.“ Die stehen heute auf dem Speiseplan, angerichtet mit Preiselbeerrahmsoße und Kartoffelpüree. Und die Fleischbällchen nach schwedischer Art sind scheinbar beliebt. 110 Schüler haben sie sich bestellt. Nur sechs Schüler haben hingegen die vegetarische Variante geordert, Tortellini mit Ricotta-Spinatfüllung in Kräutersoße.

Eine traurige Bilanz, wenn es nach der Meinung von Umweltschützern geht. Und dass so viele Schüler mittags Fleisch essen, sei die Regel in der „Schicken Möhre“, berichtet eine Angestellte des Cateringunternehmens, die hinter der Theke steht. Anders könnte es künftig in den Mensen in Freiburg aussehen. Dort hat der Gemeinderat beschlossen, dass die Kinder in den städtischen Kitas und Grundschulen nur noch vegetarisches Essen zur Auswahl haben. Und das werde auch für die weiterführenden Schulen in Erwägung gezogen. Der Beschluss gegen fleischhaltiges Essen hat viel Kritik nach sich gezogen. „Wir wollen die Kostensteigerungen im Rahmen halten“, verteidigte ihn die Freiburger Bildungsbürgermeisterin Christine Buchheit (Grüne). Der Anteil an Bio-Produkten soll derweil im Schul- und Kita-Essen von 20 auf 30 Prozent steigen.

Die Backnanger Schüler und Schülerinnen haben ein gleiches Szenario wohl eher nicht zu befürchten. Auch weil der Einfluss der Grünen im Gemeinderat geringer ist als in Freiburg. Der Oberbürgermeister von Backnang, Maximilian Friedrich (parteilos), kritisiert das Vorgehen in der südbadischen Stadt. „Meines Erachtens hat die Entscheidung, ob man sich fleischlos oder fleischhaltig ernähren möchte, jede und jeder selbst zu treffen. Es ist nicht Aufgabe der Stadt, dies vorzuschreiben“, sagt er. „Ungeachtet dessen sollte aber eine Reflexion des eigenen Konsumverhaltens erfolgen. Ein übermäßiger Fleischkonsum steht im Widerstreit zur Nachhaltigkeit, zum Tierwohl und zum Klimaschutz“, ergänzt der OB.

Ralf Nentwich begrüßt rein vegetarisches Essen in den Kantinen

Der Landtagsabgeordnete des hiesigen Wahlkreises Ralf Nentwich (Grüne) wiederum unterstützt rein vegetarisches Essen in Schulen und Kitas – aus Gründen des Klimaschutzes und der Gesundheit. „Auch für die Backnanger Schulen und Kitas wäre das für mich ein gangbarer Weg“, sagt Nentwich, der auch Sprecher für Ernährung im Landtag ist. „300 bis 600 Gramm sollte der maximale Fleischkonsum laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sein. Die Schüler und Schülerinnen kommen wahrscheinlich allein mit dem Wurst-Pausenbrot und dem Fleischkonsum am Wochenende auf diesen Wert.“ Zudem sei das vegetarische Essen für die Stadt Backnang kostengünstiger und es könnten mehr bio-regionale Lebensmittel verwendet werden. „Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten“, resümiert Nentwich.

Zurück zu Kötbullar und Tortellini in der „Schicken Möhre“: Ein paar Schüler der neunten Klasse von der Schickhardt-Realschule halten sich in der Mensa auf, allerdings nicht um zu essen, sondern um Schulaufgaben zu erledigen. Die 14- bis 16-jährigen Jungs und Mädels essen generell nicht in der Kantine. „Zu teuer“, findet Shkelqim – beide Menüs kosten 4,20 Euro. Sie ziehen lieber los und holen sich etwas anderes. Rein vegetarisches Essen finden sie nicht gut. „Man braucht Fleisch für Proteine“, meint Julian zu wissen. Ob sie aber auch gerne Gemüse essen? Die Jugendlichen nicken. „Es schmeckt beides. Es sollte ein gesunder Ausgleich sein“, sagt Shukri. Auch Mark und Efi stimmen dem zu. Geht es nach ihnen, sollten die Schüler zwischen einem veganen, einem vegetarischen und einem fleischhaltigen Menü auswählen können.

Drei Schülerinnen von der Mörike-Gemeinschaftsschule haben sich gerade mit ihrem Mittagessen an den Tisch in der modernen Mensa gesetzt. Die 10-Jährigen besuchen die fünfte Klassenstufe. Für Evelyn wäre es in Ordnung, nur vegetarisches Essen in der „Schicken Möhre“ zu erhalten. „Das wäre kein Problem“, sagt sie. Zu Hause esse sie ab und zu Fleisch, je nachdem, was auf den Tisch kommt. Ariadni isst sehr gerne Fleisch. „Mein Papa grillt oft“, erklärt sie. Aber auch sie und Hanna, die Dritte im Bunde, fänden es nicht allzu schlimm, wenn es in der Schule nur vegetarische Gerichte geben würde.

Ein weiteres Argument bringen Birgit Spachmann und Ursula Knödler ein. Die beiden Frauen passen während der Essenszeit auf die jungen Besucher der „Schicken Möhre“ auf und sehen immer wieder aufs Neue, wie viel Essen weggeworfen wird, darunter hauptsächlich vegetarische Nahrungsmittel. Besonders die jüngeren Schüler würden viel Salat und Gemüse auf ihren Tellern zurücklassen. Das liege allerdings auch daran, dass sich die Kinder an der Salatbar selbst bedienen können und sich dabei mehr schöpfen, als sie tatsächlich essen – ein Problem anderer Natur. Der Inhaber des Cateringunternehmens, das die Backnanger Kantinen „Schicke Möhre“ und die in der Sportkita Plaisir mit frisch gekochtem Essen versorgt, hat allerdings denselben Eindruck wie Spachmann und Knödler. „Die Gesellschaft ist noch nicht so weit“, sagt Michael Schmitt. „Man darf es nicht diktieren.“ Der gelernte Koch, der seit elf Jahren in der Schulverpflegung tätig ist, sieht dabei auch ein Problem für die Pädagogen, die dann mit heulenden Kindern vor Gemüsetellern zu kämpfen hätten. Schmitt würde die Zusammenarbeit mit der Stadt Backnang sogar stoppen, würde diese nur vegetarisches Essen fordern. Gleiches hat er in Stuttgart gemacht, weil die Stadt laut ihm den Bioanteil verdoppeln wollte, ohne dabei auch die Regionalität der Produkte zu beachten. „Wenn ich nicht mit gutem Gewissen dahinterstehe, mache ich das nicht“, sagt Michael Schmitt.

Im Elternbeirat der Mörikeschule gehen die Meinungen auseinander

Ein Wörtchen mitzureden haben schließlich auch noch die Eltern. Immerhin sind sie die Bezahler und manchmal sogar diejenigen, die für ihre Kinder das Menü auswählen. Der Elternbeirat der Mörike-Gemeinschaftsschule ist überwiegend gegen rein vegetarische Kost (neun Stimmen). Drei Personen sind für die vegetarische Variante, zwei enthalten sich. Den von Vorstand Dennis Hummel befragten Eltern fallen zahlreiche Argumente ein. „Manche Eltern sind aufgrund der Arbeitsbelastung darauf angewiesen, dass ihre Kinder an der Schule warm essen und erwarten Ausgewogenheit“, ist eines davon. „Weniger Besucher und daher steigende Preise“, ein anderes. Oder: „Ich stimme zu, wenn die fehlenden tierischen Eiweiße anderweitig ersetzt werden.“ Hummel selbst sagt: „Ich finde es wichtig, dass man die Wahl hat.“ Gleichwohl finde er es richtig, Kinder an fleischarmes Essen zu gewöhnen. „Wenn es fast keine Schüler mehr gibt, die Fleisch essen, kann man ja noch einmal überlegen.“

Kommentar
Ein Kompromiss

Von Anja La Roche

Offensichtlich essen Kinder gerne Fleisch. Dass da mit netter Überzeugungsarbeit nicht alle Schüler ihren Konsum begrenzen, ist klar. Erst recht nicht, wenn sie es von daheim und der Gesellschaft anders vorgelebt bekommen. Gerade die Schulen könnten da ein Vorbild sein und nicht dem entgegenhandeln, was zu ausgewogener Ernährung und Klimaschutz beiträgt. Backnang geht hier bereits einen guten Weg als eine von vier Kommunen im Land, die Teil des Modellprojekts zu nachhaltigem und gesundem Mensaessen sind. Es ist aber noch mehr möglich. Damit Eltern und Schüler nicht auf die Barrikaden gehen, wäre ein Kompromiss denkbar: Einmal die Woche ein fleischhaltiges Gericht, das etwas teurer ist. Die vegetarischen Gerichte dafür entsprechend günstiger. Dadurch lernen die Schüler auch gleich, dass gutes Fleisch seinen Preis hat.

a.laroche@bkz.de

So läuft’s in der „Schicken Möhre“

Essen Michael Schmitt beliefert die „Schicke Möhre“ und die Plaisir-Mensa. Per Vertrag sei er dabei an die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gebunden, sagt Ulrike Ferenz-Gröninger von der Schulverwaltung. Es wird frisch gekocht und gebe zwei, drei Mal pro Woche Fleisch.

Modellprojekt Die Mensen sind Teil des landesweiten Modellprojekts „Gutes Schulessen mit kommunalem Konzept – nachhaltig und biozertifiziert“. Das Ziel ist gesundes, nachhaltiges und genussvolles Essen.

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Erstellt:
27. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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