Draußen-Kindergärten sind gefragt
Immer mehr Gemeinden haben oder wollen einen Waldkindergarten. Doch bereitet die Alternative zum normalen Kindergarten die Kleinen genauso gut auf die Schule vor? Oder sind die Draußen-Kindergärten nur eine Möglichkeit für die Kommunen, Geld zu sparen?
Von Melanie Maier
REMS-MURR. Für jeden ist ein Waldkindergarten nichts, das stellt Alexandra Bäuerle von vornherein klar. Weder für alle Eltern, noch für alle Kinder oder Erzieherinnen. „Wenn man sich nicht so gern bewegt oder wenn einem die Natur eher suspekt ist, dann ist ein Waldkindergarten vielleicht nicht das Richtige“, führt die 41-Jährige aus, die den Waldkindergarten „Kleine Füchse“ in Spiegelberg leitet. Er wird dieses Jahr sein 25-jähriges Jubiläum feiern: Im September 1996 wurde er als Pilotprojekt von einer Gruppe Eltern gegründet. So ist es meistens, dass Waldkindergärten von einer Elterninitiative ausgehen und verwaltet werden. In Spiegelberg habe die Verwaltung die „Kleinen Füchse“ aber von Anfang an unterstützt, sagt Alexandra Bäuerle.
Für sie selbst sei die Kinderbetreuung im Freien genau das Richtige, betont sie: „Ich finde das ganz toll. Mein Herz schlägt für die Waldpädagogik.“ Der erste Waldkindergarten wurde bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert, in den 1950er-Jahren, im dänischen Sölleröd, einer Kommune im nördlichen Vorortbereich von Kopenhagen, gegründet. 1968 entstand der erste Wald- und Naturkindergarten in Deutschland, in Wiesbaden. Doch erst in den 1990er-Jahren erfuhr die Bewegung mehr Zulauf. Der erste anerkannte Waldkindergarten startete am 1993 in Flensburg. Heute sind es deutschlandweit mehr als 2000 Waldkindergärten, in Baden-Württemberg allein rund 350.
Auch im Rems-Murr-Kreis bieten viele Städte und Kommunen die Betreuungsform an: In Backnang zum Beispiel werden bis zu 20 Kinder im „Meisennest“im Plattenwald betreut, genauso viele sind es in Althütte und im Waldkindergarten „Wurzelzwerge“ in Oppenweiler. Die Nachfrage ist überall sehr hoch. Auch in Spiegelberg stehen viele Namen auf der Warteliste. Da verwundert es nicht, dass viele Waldkindergärten in der Planung sind; etwa in Allmersbach im Tal oder Burgstetten, wo sich die Gemeinderäte und Verwaltung im Oktober 2020 begeistert über eine solche Einrichtung zeigten. „In der Natur ist’s halt am gesündesten“, sagte beispielsweise die stellvertretende Bürgermeisterin Anja Geldner. Auch die Aspacher Verwaltung überprüft derzeit auf Antrag der Freien Wählervereinigung die Umsetzbarkeit der alternativen Betreuungsform.
Die Betriebskosten sind recht niedrig
Was aus Verwaltungssicht dafür spricht, sind vor allem auch die überschaubaren Kosten. In Aspach zum Beispiel wären für den Umbau eines Bauwagens zum Rückzugsort für die Kinder nur etwa 75000 Euro nötig. Für Umbaumaßnahmen in bereits bestehenden Kitas, die 60 weitere Plätze schaffen, fallen dagegen 353000 Euro an. Pro Kopf ist die Bereitstellung eines Regelkindergartenplatz in diesem Fall somit fast doppelt so teuer: je 3750 Euro entfallen auf jeden Waldkindergartenplatz, je rund 5883 Euro auf den Regelkindergartenplatz – wobei diese simple Gegenüberstellung selbstredend nicht alle Faktoren berücksichtigt.
Dennoch: Da in Waldkindergärten in der Regel wenig oder gar keine Miete gezahlt werden muss, kaum Spielgeräte angeschafft werden brauchen, sind die Betriebskosten vergleichsweise niedrig. Reiner Gauger von der Backnanger Stadtverwaltung relativiert jedoch: „Man kann das nicht eins zu eins vergleichen.“ Zwar seien beispielsweise die Personalkosten bei den Regelkindergärten meist höher, das liege aber oft daran, dass Waldkindergärten nur Halbtagsbetreuung anbieten. Einen konkreten Vergleich habe die Stadt noch nicht aufgestellt, so Gauger.
Dass die Ganztagsbetreuung fehlt, das schreckt auch viele berufstätige Eltern ab. Weitere Vorurteile oder Ängste sind unter anderem, dass die Kinder öfter krank sind, weil sie Wind und Regen ausgesetzt sind. Oder dass sie nicht so gut wie auf die Schule vorbereitet werden, weil sie mit Stöcken und Steinen spielen statt zu malen oder mit Schere und Papier zu basteln. Diese Ängste möchte Ingrid Miklitz den Eltern nehmen. Die Diplom-Sozialwissenschaftlerin gibt die Zeitschrift „Draußenkinder“ heraus, hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben und im Jahr 2000 den Landesverband der Wald- und Naturkindergärten gegründet, deren erste Vorsitzende sie noch immer ist. Waldkindergartenkinder, sagt Ingrid Miklitz, seien weniger anfällig für Infektionen, „das liegt einfach an der geringen Viruslast im Freien.“ Was sie den Eltern allerdings empfiehlt, ist, ihr Kind gegen Tuberkulose und FSME impfen zu lassen. Denn obwohl die Erzieherinnen die Zecken-Hotspots im Wald normalerweise gut kennen, kann ein Biss immer wieder vorkommen.
Der Aufwand für die Eltern ist höher
Dass die Kinder aus dem Wald nicht schlechter auf die erste Klasse vorbereitet sind als die des „Stuben-Kindergartens“, wie sie ihn nennt, bekräftigt Iris Löffelhardt. Die 62-Jährige arbeitet seit 14 Jahren im städtischen Waldkindergarten „Kleine Waldforscher“ in Murrhardt, war aber auch schon zwölf Jahre in einer Regeleinrichtung tätig. „Die Kinder sind zu 100 Prozent genauso gut vorbereitet“, betont sie. „Diese Rückmeldung bekommen wir auch von den Schulen. Die Kinder sind sehr konzentriert, sie haben einen guten Umgang miteinander – darüber gibt es schon viele Studien.“
Nachteile sieht sie an anderer Stelle: „Wir sind recht abgelegen. Die Eltern haben einen erhöhten Aufwand, die Kinder zu uns zu bringen.“ Und: „Morgens liefern sie ein sauberes Kind ab, nachmittags holen sie häufig ein dreckiges ab.“ Mindestens zwei gute Regenjacken und zwei Regenhosen sind Pflicht, damit die Kleider stets trocken sind. Den Kleinen selbst mache das Wetter aber weniger aus als den Erwachsenen, so ihr Eindruck. „Die Kinder lieben es, wenn es regnet oder schneit“, sagt Iris Löffelhardt. „Sie haben ja tausend Ideen, was sie damit anfangen können!“
Genau das schätzt auch Annika Kreutle an ihrem Beruf. Die 30-Jährige ist seit viereinhalb Jahren bei den „Wurzelzwergen“ in Oppenweiler. „Man erlebt die Jahreszeiten hautnah“, sagt sie. „Im Winter sieht man den Tag erwachen – das hat man in einem Innenraum nicht.“ Wenn es sehr kalt ist, bleibt die Gruppe in der Blockhütte, wo sie sich jeden Morgen trifft. Oder auch dann, wenn die Kinder mal keine Lust auf einen Ausflug in den Wald haben. „Das ist ja das Schöne: Wir sind sehr offen und flexibel. Wir richten uns gerne nach der Laune der Kinder“, sagt Annika Kreutle. Und sogar dabei lernen die Kinder etwas: Mal Rücksicht zu nehmen, mal selbst zu bestimmen – das ist Demokratie im Kleinen.
Entdecken Ein wesentliches Ziel der Waldpädagogik ist das direkte Erleben der Natur. Im Wald untersuchen die Kinder Pflanzen und beobachten Tiere. Ihre Umwelt erleben sie so mit allen Sinnen.
Kreativität Statt mit vorgefertigtem Spielzeug beschäftigen sich die Kinder mit dem Material, das sie im Wald finden: Äste, Moos, Rinde, Tannenzapfen. Das fördert nicht nur die Kreativität, sondern auch Sprachkenntnisse: Ist der Zweig nun ein Baby oder eine Pistole? Um sinnvoll miteinander spielen zu können, müssen die Kinder kommunizieren.
Rituale Auch in Waldkindergärten geben tägliche Strukturen wie der Morgenkreis den Rahmen. Zudem werden die Kinder an Vorschultagen auf die Schule vorbereitet.
Notraum Bei extremen Temperaturen oder Sturm haben die Kinder und Erzieherinnen eine Ausweichmöglichkeit nach innen.
Information Weitere Informationen findet man im Internet unter www.bvnw.de und www.waldkindergartenlandesverband.de.