Dürre Zeiten im regionalen Streuobst

Apfel, Birne und Co. prägen im Rems-Murr-Kreis das Landschaftsbild und sind Teil der schwäbischen Identität. Dennoch sinkt seit Jahren der Bestand. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie reichen von Krankheiten über die Bürokratie bei der Bewirtschaftung bis hin zum Preisverfall.

Der Gartenbaufachmann Alexander Weißbarth (rechts) gibt in Rietenau Baumschnittkurse und Schulungen. Vereinsvorstand Michael Reichert, die Mitglieder Klaus-Dieter Schnaithmann und Rainer Stark sowie Marion Widy und Andreas Rikker von der Firma Streker (von rechts) schauen interessiert zu. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Der Gartenbaufachmann Alexander Weißbarth (rechts) gibt in Rietenau Baumschnittkurse und Schulungen. Vereinsvorstand Michael Reichert, die Mitglieder Klaus-Dieter Schnaithmann und Rainer Stark sowie Marion Widy und Andreas Rikker von der Firma Streker (von rechts) schauen interessiert zu. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Aspach. „Wenn es so weitergeht, wird es in zehn Jahren keine Streuobstwiesen mehr geben“, mahnt Michael Reichert und deutet auf die Apfelbäume am Ortsrand des Aspacher Teilorts Rietenau. Zusammen mit Gleichgesinnten hat er hier im Jahr 2018 den Verein Rietemer Epflbutza gegründet, in erster Linie mit dem Zweck, das eigene Bioobst zu vermarkten. „Die Idee kam mir, weil rund um Rietenau die Streuobstwiesen teilweise wirklich vergammelt waren. Für viele Eigentümer, die nur eine Handvoll Bäume haben, hat sich die Pflege und Bewirtschaftung einfach nicht gelohnt.“

Rund zehn Prozent der Flächen im Rems-Murr-Kreis sind Streuobstwiesen, nach Esslingen ist es der Landkreis mit der höchsten Streuobstdichte Baden-Württembergs. Erhebungen der Landesanstalt für Umwelt zufolge ist der Baumbestand zwischen 2009 und 2020 landesweit jedoch um 17 Prozent gesunken, wovon auch der Rems-Murr-Kreis massiv betroffen ist. Zwar gilt seit der Novellierung des Landesnaturschutzgesetzes in Baden-Württemberg im Jahr 2020 ein Erhaltungsgebot für Streuobstbestände ab einer Größe von 1500 Quadratmetern, doch die Entwicklung ist weiterhin alarmierend, zumal es insbesondere die Eigentümer kleinerer Grundstücke sind, für die sich eine Bewirtschaftung, geschweige denn der bürokratische Aufwand um die Zertifizierung kaum noch rentiert. Gerade am Bio-Streuobstmarkt seien Verwerfungen erkennbar, stellte der bundesweit tätige Verein Hochstamm in seinem Ergebnisbericht zur Saison 2022 fest. Im Vergleich zur Vorsaison sei der mittlere Bio-Preis überregional gesunken und habe sich dem Preis für nicht biozertifiziertes Mostobst angenähert – eine Entwicklung, die dem Verein zufolge seit Längerem beobachtet wird und die dazu führe, dass der Stundenlohn für die Arbeit im Streuobst mittlerweile unter dem Mindestlohn liege.

Pflegerückstand und Trockenstress

In Rietenau folgt man dem Konzept einer Streuobstinitiative. Die Mitglieder bringen ihre Grundstücke in Form einer Verpachtung in den Verein ein und müssen sich somit nicht einzeln mit der Bio-Zertifizierung herumschlagen. Auch die Kontrollkosten werden dadurch gesenkt. Die Pflege und den Obstertrag übernimmt weiterhin jeder Eigentümer selbst und hält sich dabei an die Vorgaben für Bio-Obst – ein Arrangement, das großes Vertrauen erfordert, sich aber bislang auszahlt. „Wir haben mittlerweile knapp 30 Mitglieder, manche mit kleinerem, andere mit größerem Baumbestand. Insgesamt bewirtschaften wir 45 Hektar mit 1400 Streuobstbäumen, davon sind 1035 Apfel- oder Birnbäume, der Rest Zwetschge, Nuss und anderes“, erklärt Michael Reichert. Schon frühzeitig wurde als Partner das lokal ansässige Unternehmen Streker Natursäfte gewonnen, welches das Projekt begleitet und ebenfalls davon profitiert, einen zentralen Ansprechpartner zu haben.

Die düstere Prognose, die Reichert den Streuobstwiesen in der Region ausstellt, hat allerdings nicht allein mit der fehlenden Wirtschaftlichkeit zu tun. Alexander Weißbarth steht als Fachmann für Gartenbau und Streuobstwiesen dem Verein mit Rat und Tat zur Seite und gibt auch Kurse und Schulungen. Als eine der größten Bedrohungen für die hiesigen Streuobstbestände benennt er den Schwarzen Rindenbrand, eine durch Pilze der Gattung Diplodia verursachte Erkrankung: „Eine Verletzung der Rinde reicht aus, dass der Pilz eindringen kann, zumal die Bäume ohnehin schon Trockenstress und Pflegerückstand ausgesetzt sind.“ Die zunehmenden Hitzeperioden und die Trockenheit machten sich in den vergangenen Jahren nämlich immer stärker bemerkbar. Seit den frühen 2000ern sei der Pilz, der in wärmerem Klima besonders gut gedeiht, daher auf dem Vormarsch. Die fehlende Pflege spiegelt sich außerdem in der nahezu flächendeckenden Ausbreitung von Misteln wider. „Die Beseitigung wird völlig vernachlässigt, weil sich einerseits hartnäckig das Gerücht hält, dass sie unter Naturschutz stünden, und weil die Pflege einer Streuobstwiese andererseits sehr viel Arbeit bedeutet und wenig Ertrag bringt“, erklärt Alexander Weißbarth. Dabei mangle es nicht am Interesse, sich stärker einzubringen, glaubt Michael Reichert. „Ich habe den Eindruck, dass junge Familien wieder mehr Wert auf natürlichen Saft legen, auf eigene Marmelade und so weiter. Wenn die Hürde, vor allem in Form der Zertifizierung, geringer ist, steigt auch die Motivation, sich damit zu beschäftigen.“ Der Verein fordert daher mit Nachdruck Bürokratieabbau.

„Es ist dringend notwendig, diese Prozesse deutlich zu vereinfachen“, stimmt der Landtagsabgeordnete der Grünen Ralf Nentwich zu. Er ist auch im Vorstand des Vereins Schwäbisches Mostviertel, dem die Gemeinden Allmersbach im Tal, Aspach, Auenwald, Weissach im Tal, Sulzbach an der Murr sowie die Stadt Backnang angehören und dessen Zweck der Erhalt und die Förderung der Streuobstwiesen ist. Im Rahmen des Förderprogramms zur integrierten ländlichen Entwicklung (ILE) des Landes Baden-Württemberg verfügt der Verein über ein Regionalbudget von 200000 Euro, mit welchem Kleinprojekte bis 20000 Euro innerhalb der Region gefördert werden können. Zudem bemüht er sich durch Weiterbildung, den Ausbau touristischer Angebote, die Entwicklung von Marketingmaßnahmen und die Akquise von Finanzmitteln um mehr Bewusstsein und Verantwortungsgefühl in der Bevölkerung für die heimischen Streuobstwiesen.

Sind die Anstrengungen zielführend?

Michael Reichert beobachtet das mit Skepsis. Anstatt Geld in einen Erlebniswanderweg wie ’sÄpple oder andere Marketingmaßnahmen zu investieren, würde er eine Bezuschussung der Obstbauern bei der Zertifizierung oder die Förderung eines gemeindeeigenen Maschinenparks begrüßen. Ein entsprechender Antrag des Vereins beim Schwäbischen Mostviertel erfuhr jedoch eine Absage. „Das Geld kommt bei uns auf dem Feld nicht an“, klagt Reichert.

Der Vorstandsvorsitzende des Schwäbischen Mostviertels Stefan Setzer bestätigt, dass man den Antrags zähneknirschend habe ablehnen müssen. „Der Fördermittelgeber hat uns mitgeteilt, dass entgegen der ersten Aussagen die direkte Beschaffung von Maschinen und Werkzeugen durch die Streuobstwiesenbesitzer nicht förderfähig ist. Insofern ist die Enttäuschung bei den Streuobstwiesenbewirtschaftern für uns nachvollziehbar.“ Die sogenannte Urproduktion, also all jene Schritte, die mit der konkreten landwirtschaftlichen Erzeugung zusammenhängen, seien von der Förderung im Rahmen des ILE nämlich ausgeschlossen. Wieso bleibt aber ausgerechnet dem Kerngeschäft die Förderung versagt? Hintergrund dafür scheint zu sein, dass die Urproduktion bereits durch EU-Gelder in Form von Agrarsubventionen unterstützt wird, mit denen man nicht in Konflikt geraten möchte. Eine offizielle Begründung durch das Land steht allerdings noch aus.

Ralf Nentwich hat Verständnis für die Enttäuschung der Obstbauern und spricht sich ebenfalls für eine direkte Förderung der Urproduktion aus. „Trotzdem ist es ein riesiger Erfolg, dass das Mostviertel im Rahmen des ILE gefördert wird und ich glaube, dass wir damit viel bewirken können, wovon der Streuobstbereich in indirekter Weise sehr profitieren wird.“ Auch darüber hinaus werde bereits sehr viel in das Streuobst investiert, betont er und verweist unter anderem auf Forschungsprojekte, etwa im Bereich Klimaresilienz und Sortenzusammenstellung. „Es ist wichtig, dass wir die regionalen, alten Obstsorten bewahren. Es geht aber auch um die Frage, wie wir im Zuge des Klimawandels mit neuen Baumarten die Biodiversität erhalten können. Da gibt es interessante Ansätze etwa im Hinblick auf Mandeln, Nüsse oder auch Feigen.“ Zudem solle idealerweise bereits im kommenden Jahr das Qualitätszeichen Streuobst BW bei Konsumenten im Einzelhandel die Sichtbarkeit von regionalem Obst erhöhen und damit auf lange Sicht zu höheren Erzeugerpreisen beitragen. Zu mehr bürokratischem Aufwand bei den Obstbauern soll das Zeichen aber nicht führen, sagt Nentwich.

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Erstellt:
25. Oktober 2023, 06:00 Uhr

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