Irrt das Standardmodell der Physik?
Dunkle Energie ist weniger konstant als bisher angenommen
Ein entscheidender Baustein unseres kosmologischen Weltbilds gerät ins Wanken: die Dunkle Energie und ihre ausdehnende Wirkung auf das Universum. Die umfassendste 3D-Kartierung unseres Universums legt nun nahe, dass die Dunkle Energie weniger konstant ist als im Standardmodell vorgesehen.

© International Gemini Observatory/DESI collaboration
Das Dark Energy Spectroscopic Instrument (kurz: DESI) ist ein wissenschaftliches Forschungsinstrument, das am Kitt Peak National Observatory im US-Bundesstaat Arizona errichtet wurde. Es dient der Durchführung spektrografischer astronomischer Durchmusterung weit entfernter Galaxien.
Von Markus Brauer
Der Big-Bang-Theorie zufolge ist unser Universum vor 13,7 Milliarden Jahren aus einem extrem heißen und dichten Zustand hervorgegangen – dem Urknall. „Diese Hypothese geht davon aus, dass die gesamte Materie im Kosmos in ferner Vergangenheit in einem einzigen Big Bang entstanden ist“, erklärte einmal der Astronom und Mathematiker Fred Hoyle (1915-2001).
Kosmische Expansion beschleunigt sich
Seit dem Urknall dehnt sich das Universum rasant aus. Und diese kosmische Expansion beschleunigt sich, wie Astronomen in den 1990er Jahren erstmals erkannten.
Als mögliche Triebkraft für die Expansion gilt die rätselhafte Dunkle Energie – eine bisher unbekannte Kraft, die der anziehenden Wirkung der Gravitation entgegenwirkt. Doch wie schnell sich der Kosmos aktuell ausdehnt, ist strittig – und damit auch der Wert der Hubble-Konstante (H0) – einer der Grundpfeiler des kosmologischen Standardmodells.
- Zur Info: Die Hubble-Konstante, benannt nach dem US-Astronomen Edwin Hubble (1889-1953), ist eine der fundamentalen Größen der Kosmologie. Sie beschreibt die gegenwärtige Rate der Expansion des Universums. Der homogene Vorgang der Expansion wird als Hubble-Fluss (Hubble Flow) bezeichnet.
Irrt das kosmologische Standardmodell?
Dem kosmologischen Standardmodell zufolge hat die Dunkle Energie eine in Zeit und Raum gleichbleibende Dichte. Sie gilt daher als Konstante. Doch in jüngster Zeit deuten astronomische Messdaten darauf hin, dass die kosmologische Konstante nicht so konstant ist wie bisher gedacht.
Die kosmische Expansion verläuft offenbar schneller, als sie es dem Standardmodell nach dürfte. Bereits Anfang 2024 gab es zudem Hinweise darauf, dass auch die treibende Kraft dieser Ausdehnung, die Dunkle Energie, weniger konstant ist als nach dem auf Albert Einsteins Relativitätstheorie beruhenden Modell angenommen.
15 Millionen Galaxien und Quasare mit DESI kartiert
Jetzt scheint sich diese Beobachtung zu verfestigen, wie neueste Ergebnisse des Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI), einem speziell auf die Erforschung der Dunklen Energie ausgelegten Experiments in Arizona, zeigen. Mit DESI haben Astronomen inzwischen mehr als 15 Millionen Galaxien und Quasare kartiert und die bisher größte 3D-Karte des Kosmos erstellt.
Um das Verhalten der Dunklen Energie zu erfassen, analysierte das Team des DESI-Projekts die Rotverschiebung der Galaxien und Quasare, aber auch subtile Muster in der Galaxienverteilung in Form der sogenannten baryonischen akustischen Oszillation (BAO).Diese spiegelt Dichtewellen im frühen Kosmos wider, durch die sich Galaxien und Galaxienhaufen bevorzugt in festen Abständen bildeten. Indem Astronomen diese Abstände in verschiedenen Entfernungen messen, können sie auf die Expansionsrate und damit auch den Effekt der Dunklen Energie zu verschiedenen Zeiten schließen.
Warum wird die Dunkle Energie schwächer?
„Wir haben jetzt mehrere Datensätze, die alle in die gleiche Richtung zeigen“, erklärt Seshadri Nadathur von der University of Portsmouth. „Die Daten legen eine sich verändernde Dunkle Energie nahe – und dies mit größerer Zuverlässigkeit als je zuvor.“
Nach Ansicht der Astronomen verstärken die Daten die Zweifel am kosmologischen Standardmodell. „Was wir hier sehen, ist zutiefst faszinierend. Wir könnten hier an der Schwelle einer bedeutenden Entdeckung stehen – zur Dunklen Energie und der fundamentalen Natur unseres Universums“, erläutert DESI-Co-Sprecherin Alexie Leauthaud-Harnett von der University of California in Santa Cruz.
Hat Einstein Relativitätstheorie etwa Lücken?
Es könnte sogar sein, dass das kosmologische Weltbild und Einsteins Relativitätstheorie nicht in allen Punkten richtig liegen. „Es sieht mehr und mehr so aus, als müssten wir unser Standardmodell verändern“, konstatiert DESI-Sprecher Will Percival von der University of Waterloo.
- Zur Info: Der Astrophysiker Michael Turner prägte für das mysteriöse ksomische Phänomen den Begriff „Dark Energy“ – Dunkle Energie. Daten des Weltraumobservatoriums Planck legen nahe, dass 68,3 Prozent des gesamten Energie- und Materiebudgets im Universum auf diese geheimnisvolle Energieform entfallen. Die nicht weniger rätselhafte Dunkle Materie – eine unsichtbare und bisher unbekannte Materieform – folgt mit 26,8 Prozent. Und lediglich 4,9 Prozent bestehen aus „normaler“ Materie.
Grundlegende Fragen neu aufrollen
Was aber bedeutet dies? Könnten alternative Modelle das Verhalten der Dunklen Energie zutreffender beschreiben? Zu diesen Modellen gehören Theorien, nach denen entweder die Dunkle Energie oder die Gravitation je nach Materiedichte, Größenordnung oder Zeitraum unterschiedlich stark wirken.
Für viele Physiker sind die neuen Erkenntnisse Anlass, um grundlegende Fragen neu aufzurollen. „Unsere Resultate sind fruchtbarer Boden für die Kollegen aus der theoretischen Physik und wir sind gespannt, was sie zutage fördern“, betont DESI-Direktor Michael Levi vom Berkeley Laboratory.
Parallel dazu hoffen die Astronomen auf weitere Informationen unter anderem aus den Messdaten des europäischen Weltraumteleskops "Euclid". Dieses Instrument ist ebenfalls darauf ausgelegt, grundlegende kosmologische Parameter wie die Dunkle Energie und Dunkle Materie genauer zu kartieren.