Anschlag in München
Ein Amokfahrer mit islamistischer Gesinnung?
Erneut steht ein abgelehnter Asylbewerber im Verdacht, wahllos Menschen auf offener Straße attackiert zu haben.
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© epd/Theo Klein
In München rast ein Asylbewerber in eine Menschenmenge.
Von Patrick Guyton
Auch zwei Stunden nach der Tat steht der ramponierte beigefarbene Mini Cooper noch mit offenem Kofferraum auf der Münchner Seidlstraße, bei Hausnummer 24. Zerfetzte Kleidungsstücke, zerrissene Wärmedecken liegen herum. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot da.
Mindestens zwei Schwerverletzte
Das Auto war am Donnerstagvormittag gegen 10.30 Uhr in eine Demonstrationsgruppe gerast. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte zum Protest aufgerufen, die Beschäftigten verlangen in den laufenden Tarifverhandlungen mehr Geld. Nach vorläufigen Angaben wurden 28 Menschen verletzt, davon zwei sehr schwer. Auch Kinder gehören zu den Opfern. Ein zweijähriges Kind soll schwer verletzt worden sein. Unter den Betroffenen sind viele Beschäftigte der Stadt, etwa von den Stadtwerken und Erziehungspersonal aus den Kitas.
Vor Ort auf der Straße, im kalten Münchner Nieselregen, gibt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als erster Auskunft über den Autofahrer, den mutmaßlichen Attentäter. Es handelt sich demnach um einen 24-jährigen Afghanen. Ein Unfall wird ausgeschlossen, Söder spricht von einem mutmaßlichen Attentat.
Polizeibekannt wegen Drogendelikten und Diebstählen
Ein Polizeischuss war gefallen und traf nicht, der Mann wurde leicht verletzt festgenommen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat nähere Informationen: Der Täter ist abgelehnter Asylbewerber, ist seit mehreren Jahren in München registriert, hat eine Duldung. Er ist polizeibekannt wegen Drogendelikten und Ladendiebstählen. Söder trägt einen schwarzen Hut und sagt: „Es reicht einfach.“ Und: „Wir hatten im Januar Aschaffenburg, und nun München.“ Er spricht von „Betroffenheit, die wir alle spüren“ und von „Entschlossenheit“, die man zeigen müsse.
Der Anschlag in Aschaffenburg hatten in der Bundespolitik jüngst zu harten Diskussionen über das Asylrecht geführt. Die Union ließ zu, dass erstmals die in Teilen rechtsextreme AfD gemeinsam mit ihr für eine drastische Verschärfung in der Migrationspolitik gestimmt hatte. Hier, vor Ort, wird auf direkte und voreilige Schuldzuweisungen in Richtung Bundesregierung, an SPD und Grüne verzichtet.
Die Opfer werden notversorgt, über ihren Zustand ist bis zum Redaktionsschluss unserer Zeitung nichts Näheres bekannt. Sie sind auf verschiedene Münchner Kliniken aufgeteilt. Auch psychologische Kriseninterventionsteam sind da. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) verweist per Mitteilung auf das telefonische Angebot an Menschen, die in dieser akuten Situation psychische Unterstützung benötigen. Rund um die Uhr kann man mit geschulten Helfern reden, sich Hilfe holen in 120 Sprachen.
Noch am Morgen hatte die Polizei ausführlich informiert über ihr Konzept zum Schutz der Münchner Sicherheitskonferenz. Denn diese beginnt am Freitagnachmittag zum 61. Mal in der Bayern-Metropole und dauert bis Sonntag an. Aus aller Welt werden hochrangige Außen- und Verteidigungspolitiker anreisen. Es gilt ein Flugverbot, die Innenstadt ist in verschiedene Sicherheitszonen eingeteilt. Die höchste gilt für den Tagungsort, das Luxushotel Bayerischer Hof, und die unmittelbare Umgebung. Angemeldet ist eine größere Demonstration von linken Gruppen, auch Querdenker wollen sich an einem Platz versammeln.
Motiv ist noch unklar
Und nun, genau ein Tag davor, dieser Anschlag. Hat er mit diesem Treffen etwas zu tun? „Das glaube ich nicht“, sagt Innenminister Herrmann. Aber ausschließen kann das zur Stunde niemand. Vom Anschlagsort bis zum Bayerischen Hof sind es zu Fuß nur 1,5 Kilometer.
Und warum traf es ausgerechnet eine Gruppe von Verdi? Auch das, mutmaßt der Innenminister, dürfte eher Zufall sein. Der Täter war da, eine Menschenmenge war da. Und es hätte alles auch noch viel schlimmer enden können. „Die Demonstration war von der Polizei begleitet“, berichtet Herrmann. Das Auto sei an den Beamten vorbei in die Menschen gerast. Die anwesenden Polizisten hätten blitzschnell reagiert. Über das Motiv für diese erneute Gewalttat eines Geflüchteten ist noch nichts gesichert. Islamismus? Ein krimineller Charakter? Eine psychische Krankheit? Der Täter Farhad H. kam schon 2016 nach Deutschland. Einige Stunden später sagt die Polizei, dass „Anhaltspunkte für einen extremistischen Hintergrund“ vorlägen. Deshalb hat bei der Generalstaatsanwaltschaft München die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus die Ermittlungen übernommen. Laut Sicherheitskreisen, so wird vermeldet, gebe es Hinweise auf eine möglicherweise islamistische Gesinnung.
Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist an den Tatort geeilt und stellt sich den Fragen, spricht in Mikrofone, schaut in Kameras. Einige ausländische Journalistenteams sind ebenfalls da, etwa aus Italien. Sie sind schon wegen der Sicherheitskonferenz in der Stadt. Später steht Reiter noch eine Weile in einer Seitenstraße unter einem Hauseingang. Er sei „entsetzt“, sagt er. „Das ist ein echt schwarzer Tag für München.“ Man merkt ihm an, dass ihn das gerade wirklich belastet. Doch weitere Auskünfte kann auch er nicht geben. Wie viele Demonstranten waren in der Verdi-Gruppe? Woher hatte der Täter dieses Auto, das ja kein billiger Kleinwagen ist? Der OB weiß es in diesen Momenten nicht.
Im fränkischen Fürth sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem Wahlkampfauftritt, er sei an der Seite der Verletzten und der Angehörigen. „Dieser Täter kann nicht mit irgendeiner Nachsicht rechnen“, so Scholz. „Er muss bestraft werden, und er muss das Land verlassen.“ Das gelte auch für Länder, in die Rückführungen schwierig seien – wozu Afghanistan besonders zählt.
Imam Benjamin Idriz verurteilt jegliche Art von Gewalt
Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender und Unionskanzlerkandidat, schrieb auf X: „Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien.“ Und: „Wir werden Recht und Ordnung konsequent durchsetzen. Jeder muss sich in unserem Land wieder sicher fühlen.“
Imam Benjamin Idriz vom „Münchner Forum für Islam“ teilt mit: „Wir verurteilen jegliche Art von Gewalt aufs Schärfste. Wir sind in Gedanken bei den Verletzten, den Angehörigen und allen, die von dieser Tragödie betroffen sind.“ In schweren Zeiten rücke man „noch enger zusammen“.
Faeser in München erwartet
Am Donnerstagabend wurde Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) in der bayerischen Landeshauptstadt erwartet, um sich ein Bild von der Lage zu machen.
Noch stundenlang ist die breite Straße im Stadtviertel Maxvorstadt gesperrt. Ein Polizeiwagen steht hinter dem anderen, ebenso Feuerwehrautos und Rettungssanitäter. Auch der bekannte große Löwenbräukeller mit Biergarten ein paar Meter davor ist von ihnen zugeparkt. Am Tatort liegen noch die gelben Westen der Ordner von der Verdi-Demonstration herum. Und einige rot-weiße Fahnen mit Holzstielen und dem Verdi-Schriftzug wurden dort abgestellt.