Ein Baum aus Sulzbach macht Karriere in Stuttgart
Ein kleines Dorf stellt den größten Weihnachtsbaum im Ländle: Die 60 Jahre alte Tanne wurde am gestrigen Morgen im Ort Bushof der Gemeinde Sulzbach an der Murr gefällt. Der Baum hat eine besondere Geschichte: Er wurde zur Geburt des Landwirts Frank Gruber gepflanzt.
Von Ute Gruber
SULZBACH AN DER MURR. Ein kleiner Weiler, knapp unter dem höchsten Punkt des Schwäbischen Waldes gelegen, liefert dieses Jahr den mutmaßlich größten Weihnachtsbaum im Ländle: eine an die 25 Meter hohe Weißtanne. Festlich geschmückt soll sie in der Adventszeit den Stuttgarter Schlossplatz zieren und steht damit sozusagen im Mittelpunkt von Baden-Württemberg.
Im Mittelpunkt stand sie allerdings bisher schon, nämlich in der Ortsmitte von Bushof (Sulzbach an der Murr), einem Ort mit 20 Einwohnern, rund 140 Rindviechern und je einer Handvoll Katzen und Hunde. Seit Jahrzehnten steht sie hier neben der schmalen Straße vor einem alten Bauernhaus, das sie inzwischen völlig in den Schatten stellt, und vis-a-vis zu einer kleinen Wiese, die in den letzten Jahren mit einer improvisierten Feuerstelle gerne zum spontanen Fleckenfest genutzt wurde. Der mächtige Tannenbaum gab den Festen eine urige Waldkulisse – damit ist jetzt Schluss.
Die Tanne hat auch eine besondere Geschichte, denn sie wurde vor genau 60 Jahren hier gepflanzt, zu Ehren der Geburt des Hofnachfolgers der Bauernfamilie: Frank Gruber erblickte 1963 das Licht der Welt und zwar hinter dem Fenster im ersten Stock, vor dem die Tanne bis gestern noch gestanden hat. Anke Weber wohnte schon damals schräg gegenüber und ist heute die einzige Person im Ort, die sich an das Pflanzen des Bäumchens erinnern kann: „Das weiß ich noch genau“, erzählt sie fröhlich, „ich war da 16 Jahre alt. Der Horst hat sich so gefreut über die Geburt von seinem ersten Kind, dass er feierlich das Bäumchen vors Haus gepflanzt hat.“
Im Gegensatz zum Baum wanderte die wachsende Familie wenige Jahre darauf aus den beengten Verhältnissen mitten im Ort aus und baute 100 Meter weiter einen neuen Kuhstall, dazu Wohnhaus und Schuppen. Die alte Hofstelle musste sie verkaufen, um den Neubau finanzieren zu können.
Gut 20 Meter Überlänge
Die Baumpflegefirma Holzwarth aus Althütte liefert schon seit einigen Jahren die großen Christbäume für die Landeshauptstadt: „Das hat sich bewährt“, erklärt ein Mitarbeiter der „in.Stuttgart Veranstaltungs-GmbH“, die unter anderem für die Organisation des Stuttgarter Weihnachtsmarkts zuständig ist. „Holzwarth bietet uns das Komplettpaket, der sucht nach geeigneten Bäumen und organisiert auch selber den Kran und den Transport.“
Und der ist nicht ohne: Der Baum hat mit gut 20 Metern Überlänge, ist zusammengeschnürt noch fast sechs Meter breit und läuft als Schwertransport, der genehmigungspflichtig ist. „Der Baum muss auf dem Tieflader neben der Straße warten bis 22 Uhr, erst dann dürfen wir mit Polizeibegleitung auf der ausgewiesenen Strecke Richtung Schlossplatz“, erklärt Bernd Obertshauser von der Transportfirma Kircher aus Kupferzell. Dabei läuft die Strecke wegen der Baustellen und Tunnel auf der B14 über die B10 Richtung Esslingen und die A8 bis Vaihingen. Die Stadt lässt sich den Baum einen fünfstelligen Betrag kosten. Am Mittwochmorgen dann wird mit großem Bohei und Pressepräsenz das Prachtstück aufgestellt. Möglicherweise wird die Tanne auf diese Weise zum Fernsehstar und kommt in der Landesschau.
Das ganze Jahr wird Ausschau gehalten
So einen Baum überhaupt zu finden, stellt die Firma Holzwarth jedes Jahr vor eine große Aufgabe: „Das kann nicht irgendein Baum aus dem Wald sein, der hätte unten gar keine Äste“, gibt Pascal Holzwarth zu bedenken. Manchmal seien es Nadelbäume aus ehemaligen Christbaumkulturen, häufig aber welche aus Gärten oder vom Waldrand. „Oft müssen die sowieso weichen, weil sie ein Sicherheitsrisiko darstellen.“ Das ganze Jahr über halten die Mitarbeiter deshalb Ausschau, man betrachtet auch die technischen Möglichkeiten und verhandelt mit den Besitzern. Dieses Jahr war es besonders schwierig: Alle ausgeguckten Exemplare waren zu klein für den Schlossplatz. „Ich wüsste da schon einen“, meinte irgendwann zögernd Baumpflegerin Julia Schweikardt aus Hager. „Aber ich glaube nicht, dass der zu haben ist.“ Schließlich kannte sie die Geschichte des Baums in ihrem Nachbarort. Die aktuellen Eigentümer jedoch hatten damit kein Problem und waren froh, dadurch selber keine Umstände zu haben.
Viele Einwohner aus Bushof schauen bei der Fällung der Tanne zu
Die Nachbarn hingegen trauern ihrem Wahrzeichen nach: „Das wird schon kahl jetzt in Bushof“, heißt es. Dennoch ist am Dienstagmorgen das ganze Dorf auf den Beinen und schaut vom Balkon, vom Fenster oder vom Dorfanger aus zu, während zwei Kranwagen und ein Tieflader das Sträßchen blockieren. Laternenkabel müssen ausgehängt werden, der Stamm wird in luftiger Höhe am ausgefahrenen Arm des größten Krans der Firma Merkle Erdbau aus Oppenweiler befestigt, unten abgesägt und baumelt nun frei am Haken. „Komm mal her, Frank“, winkt der Firmeninhaber Bernd Merkle einen Zuschauer zu sich ins Führerhaus: „7,5 Tonnen!“, liest er vom Display ab. Sechs Meter Stamm werden noch abgenommen, dann zieht der zweite Kran den Stamm langsam in die Waagrechte und er wird ganz piano auf dem Tieflader abgelegt. Kein Ästchen sollte geknickt werden, über Funk werden die Kranführer angewiesen.
Schließlich ist der schwierigste Teil geschafft, Jule aus Hager kommt mit einem Vesperkorb und heißem Kaffee dazu: „Ich mach heute das Catering“, lacht sie, bevor sich die Baumpfleger gemeinsam an die mühevolle Arbeit machen, die ausladenden Äste auf die vorschriftsmäßige Breite von 5,90 Metern und 4,45 Metern Höhe zusammenzubinden.
Und was meint der Jubilar dazu, dass sozusagen „seine“ Tanne der Säge zum Opfer gefallen ist? „Schade eigentlich, der Baum ist kerngesund“, bedauert der Landwirt Frank Gruber, der als Waldbesitzer in den vergangenen Jahren in seinen Wäldern ständig ungewollt Bäume fällen musste, die durch die heißen und trockenen Sommer krank geworden sind. „Andererseits konnte der nicht ewig da bleiben, mit seinen Wurzeln hebt der schon die Straße und das Haus zeigt auch schon Risse.“ Es sei vielleicht auch keine so gute Idee seines Vaters gewesen, sich ausgerechnet einen Waldbaum in den Vorgarten zu setzen: „Was Kleineres wäre sinnvoller gewesen“, so Gruber. Auf jeden Fall beschließt er, das Bushofer Gewächs demnächst an seinem neuen Standort zu besuchen.