Ein beinahe gebrochenes Weinbergherz
Ein Jahr im Weinberg (7): Mengenreduzierung, Entblättern der Traubenzone und der Schutz vor Insekten stehen an
Redakteurin Silke Latzel liebt Dinge, die wachsen – natürlich auch die Trauben in ihrem Weinberg. Deshalb fällt es ihr sehr schwer, zur Qualitätssteigerung bereits reife Beeren einfach abzuschneiden. Danach steht noch der Schutz vor Wespe, Schmeißfliege und Co. an: Mit Netzen werden die Weinstöcke abgehängt. Ganz schön anstrengend.
Von Silke Latzel
ASPACH. Kennen Sie „Der Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien? Bestimmt. Und bestimmt kennen Sie auch das äußerst sympathische Volk der Hobbits, die in diesem Klassiker der Literatur wie folgt beschrieben werden: „Was uns wirklich am Herzen liegt, ist Frieden und Stille und ein gut bestellter Boden. Denn nichts lieben Hobbits mehr als Dinge, die wachsen.“ In dieser Hinsicht bin ich wie ein Hobbit. Jedes Frühjahr verwandelt sich unser Wohnzimmer in eine Zuchtanlage für Gemüsesetzlinge, die ich liebevoll hege und pflege, bis es endlich so weit ist, die kleinen Tomaten-, Zucchini-, Paprika- und Auberginenpflänzchen in den Garten zu setzen. Und jedes Mal bin ich fasziniert von der Kraft der Natur, freue ich mich über jeden Zentimeter, den meine Pflanzen wachsen. Highlight des Jahres ist dann natürlich, wenn meine Arbeit Früchte trägt – im wahrsten Sinne des Wortes. Freunde und Familie werden dann immer mit Fotos überflutet: „Guck mal, die Tomate blüht. Guck mal, da kommt eine Zucchini. Guck mal, wie groß die Aubergine schon ist...“
Weniger Trauben bedeuten höhere Qualität
Wieso ich so weit aushole und über Tomaten, Hobbits und andere Dinge philosophiere, wenn es in diesem Text eigentlich um mein Jahr im Weinberg geht? Ganz einfach: Ich möchte mit dieser privaten Hintergrundinfo klarmachen, wie nah Freude und Herzschmerz bei meinem aktuellen Arbeitseinsatz zusammenfallen und wie schwer ich mich dieses Mal mit den Dingen tue, die ich machen muss.
Da sind auf der einen Seite die Trauben. Wow! Was für ein Anblick. Sie sind da, sie sind groß und sie haben bereits eine wunderschöne Farbe. Das heißt für mich: Auch wenn mein Einfluss auf die Natur ziemlich gering ist, habe ich in den vergangenen acht Monaten doch nicht allzu viel falsch gemacht, es läuft wie geplant und ich bin schon ein bisschen stolz. Und jetzt soll ich einfach eine Schere in die Hand nehmen und die Trauben abschneiden. Nicht um sie weiterzuverarbeiten, sondern um sie auf den Boden fallen zu lassen. Mir ist schon klar, wieso das sein muss. Wie schon mein ganzes Jahr im Weinberg geht es bei der Reduzierung der Trauben am Ende um Qualität. Zu viele Trauben nehmen dem Rebstock die Kraft. Weniger Trauben bedeuten höhere Qualität. Ich weiß das mittlerweile. Und Günther Ferber, Vorsitzender der Weingärtnergenossenschaft Aspach und mein Lehrer im Weinberg, erklärt es mir auch noch einmal. Aber trotzdem bricht mir fast das Herz, als ich die Schere ansetze.
Meine Sorte Regent ist eine frühe Sorte. Während eine Reihe weiter der Schwarzriesling noch ganz grün ist, haben die Regent-Beeren zum größten Teil schon eine wunderschöne Farbe angenommen. Und das Weinjahr lief bislang ausgezeichnet, das Wetter hat gut mitgemacht und die Weinstöcke hängen voll mit Trauben. Und die, die es bis jetzt noch nicht geschafft haben, Farbe zu gewinnen, müssen jetzt runter. Zack, einfach so – ein kurzer Schnitt und die Beeren liegen am Boden.
„Das ist ein ganz schmaler Grat und es ist auch oft schwer, den Menschen zu vermitteln, wieso wir das machen“, so Ferber. Früher habe man keine Reduzierung betrieben, alle Trauben wurden zu Wein – Abstriche gab es damals also nicht bei der Menge, sondern am Ende bei der Qualität des Weins und beim Geschmack. Das soll meinem Wein nicht passieren. Und trotzdem: Es ist nicht einfach für mich, die zu Hause jede noch so kleine und kümmerliche Tomate pflegt.
Ferber und ich arbeiten uns durch den Regent und schneiden die Trauben ab, die noch grün sind, dünnen aus, wo zu viele reife hängen. Auf meiner Seite der Reihe liegen weniger Trauben am Boden als auf seiner – ich bringe es einfach nicht so leicht übers Herz wie der Profi, der das schon sein ganzes Leben lang macht und sich irgendwie dran gewöhnt hat.
Gleichzeitig entfernen wir an den Reben auf Höhe der Trauben und etwas darüber hinaus alle Blätter – und da hole ich zumindest etwas auf, lasse kein bisschen Blattwerk stehen. Auch das natürlich nicht aus Jux und Tollerei, sondern als Vorbereitung für den dritten Arbeitsschritt, der heute ansteht: Wir müssen die Trauben vor dem Appetit der Wespen und Schmeißfliegen schützen. Klar, wer kann der Süße dieser leckeren Beeren schon widerstehen? Ich kann nachvollziehen, wieso die Insekten sich an ihnen gütlich tun. Doch für meinen zukünftigen Wein ist das natürlich gar nicht gut. Wespe und Fliege verbeißen sich richtiggehend in den Trauben, schädigen die Früchte mit ihren scharfen Beißwerkzeugen oder fressen ganze Reben kahl. Und da die Sorte Regent eben früher reif ist als andere Sorten, stürzen sich die Tierchen natürlich auf meine Trauben. Besonders am Anfang und Ende der Reihe sieht es wild aus, an den Stöcken summt und brummt es regelrecht. Fotograf Tobias Sellmaier hat keine Schwierigkeiten, eine Wespe in Aktion zu finden – ganz im Gegenteil, er hat die Qual der Wahl.
Die Blätter entfernen wir, damit das Netz sie später nicht auf die Trauben drückt und diese somit verdeckt. So würden sie keine Sonne mehr bekommen und der Stock wäre gleichzeitig anfälliger für Pilzkrankheiten, weil die Blätter bei Regen nicht mehr so schnell trocknen könnten. Außerdem: Das Entblättern der Traubenzone ist eine gute Prophylaxe gegen die Kirschessigfliege, denn sie sitzt nicht gerne in der prallen Sonne.
Familie Ferber steht uns helfend zur Seite
Das Netz anzubringen, ist nicht einfach – und eine Arbeit, die zeitlich zu zweit kaum zu schaffen ist. Aber Hilfe ist bereits unterwegs. Während Ferber und ich uns den Weinberg nach oben arbeiten und immer noch die Menge der Trauben reduzieren und die Blätter entfernen, treffen die Helfer ein: Ferbers Frau Silke, seine Söhne Daniel und Luca sowie Angelo, ein Freund der beiden. Aus den Augenwinkeln beobachte ich, was sie in den Nachbarreihen machen und was mir gleich bevorsteht. Die Ferbers sind Weinprofis, die Söhne wie auch meine Namensvetterin Silke kennen die Handgriffe aus dem Effeff – stehen sie Günther jedes Jahr helfend zur Seite.
Nach fast einer Stunde ist mein Regent vorbereitet – das Netz kann drauf. Zuerst darf ich den leichten Part übernehmen. Ferber trägt das aufgerollte Netz, läuft an Weinberg hinunter. Ich folge ihm, befestige alle paar Meter das Nylon an den Pfosten zwischen den Stöcken. So weit, so einfach, ich muss nichts weiter machen als einhaken. Unten tauschen wir. Sofort merke ich, dass meine Arme um ein paar Zentimeter zu kurz sind, ich kann die Rolle kaum halten – geschweige denn meine Hände in die beiden Öffnungen links und rechts stecken. Aber nur so wickelt das Netz sich beim Gehen automatisch ab. Ich versuche, mit den Händen zu helfen und zu drehen. Günther lacht. „Das machst du nicht lang, dann hast du eine Sehnenscheidenentzündung“, sagt er. Es muss also anders gehen – und irgendwie klappt es auch mit Ach und Krach. Die Rolle ist schwer. Und das, obwohl sie gar nicht mehr vollständig ist, Günther ja vorhin schon den schwersten Part übernommen hat und mit 30 Kilo Netz gestartet ist. Ich bin froh, als wir fertig sind – und noch mehr, dass wir Hilfe hatten.
Der letzte Arbeitsschritt für heute ist einfach, vom zeitlichen Aufwand allerdings nicht zu unterschätzen. Alle paar Meter wird das Netz im unteren Bereich mit einer Klammer verschlossen – umklappen, klammern, fertig. Übrigens ist es so engmaschig, dass sich keine Vögel darin verheddern können. Und auch gegen die Wespen ist es kein 100-prozentiger Schutz, „aber sie kommen eben nicht mehr so einfach an die Trauben ran“, erklärt Ferber mir.