Ein Datenleck führt zur festen Freundschaft
Die Leute von nebenan (3): In einem Neubaugebiet ist zunächst alles neu und fremd, gegenseitiges Kennenlernen dauert seine Zeit
In einem Neubaugebiet ist erst mal alles neu und fremd. Jedenfalls für die meisten Bewohner. Es dauert oft seine Zeit, bis man die Nachbarn kennenlernt. Bei sieben Familien im Baugebiet Erpfenfeld in Heutensbach ging das gegenseitige Beschnuppern ratzfatz. Die Familien planen jetzt gemeinsam Freizeitaktivitäten über ihre WhatsApp-Gruppe.
Von Florian Muhl
ALLMERSBACH IM TAL. Diese Nachbarschaft ist voller Leben. Da wird viel gelacht, gescherzt und gute Stimmung verbreitet. Die sieben Familien haben sich zwar nicht gesucht, aber doch gefunden. Die jungen Mütter und Väter gehen herzlich miteinander um. Es scheint, als würden sie sich ewig kennen. Dabei zogen die 14 Erwachsenen und 15 Kinder erst im Laufe des vergangenen Jahres in das 1,5 Hektar große Wohngebiet an der Allmersbacher Straße, in dem einmal laut Planer 95 Menschen in 45 Wohneinheiten eine neue Heimat finden werden.
Auch das Treffen mit dem Fotografen und dem Redakteur der Zeitung wird über die WhatsApp-Gruppe ausgemacht. Es soll ein Abend sein. Ein Freitagabend. Da sind alle, fast alle, beisammen. Und bitte nicht zu früh. Denn die Kinder im Alter von einem Jahr bis neun Jahre sollten schon im Bett sein. Und wo soll der Gesprächstermin stattfinden? Klar, bei Bauers. Nicht unbedingt deswegen, weil dort im Wohnzimmer reichlich Platz ist. Sondern weil das Haus strategisch günstig liegt, etwa in der Mitte von allen befreundeten Familien. Das ist wichtig. Warum? Das Wohnzimmer ist beim Pressetermin gespickt mit Babyphones. Von hier reicht der Empfang fast zu jedem anderen Haus. Nur Steffen Sauermann bleibt zu Hause und wacht über die vier Kinder. Denn Hausnummer 25 ist leider doch um einige Meter zu weit von Nummer 13 entfernt.
Ein erstes Treffen der Bauherrengruppe im Wanderheim
Derweil geht’s in der Runde mit elf jungen Vätern und Müttern im Alter zwischen 30 und 39 bei Wasser und Bier, Tee und Cappuccino, Knabbereien und leckerem Nachtisch munter zu. Und dann lüftet Manuel Senk, warum es bei den Familien in der Straße Samenäcker so gut und rasch mit der Freundschaft geklappt hat: „Also am Anfang gab’s ein Datenleck.“ Nähere Informationen dazu sind aus dem 33-Jährigen nicht herauszukitzeln. Nur so viel: Das Datenleck habe in einer E-Mail bestanden. „Aus dieser E-Mail habe ich verschiedene E-Mail-Adressen isoliert...“ „Gehackt?“, fragt Markus Pfisterer lachend nach. „Ja, gehackt“, schmunzelt Manuel Senk, „und hab gedacht: Aha, das sind also alles meine neuen Nachbarn. Ich hab denen alle eine E-Mail geschickt, von wegen ob man nicht irgendwie über WhatsApp eine Kontaktgruppe gründen wolle...“ – „Eine Bauherren-Gruppe...“, präzisiert seine Frau Sabine. Manuel Senk nickt: „Eine Bauherren-Gruppe, um sich abzustimmen, sich auf dem Laufenden zu halten – und da war die Resonanz überwältigend, und mit ziemlich hoher Schlagzahl. Und dann haben wir ziemlich schnell eingeladen zu einem gemeinsamen Treffen hier oberhalb im Wanderheim.“ Das war bereits im Juli 2017. „Zu dem ersten Treffen kamen fast alle Bauherren, so 40 Personen“, erinnert sich Thorsten Bauer. Baupläne seien ausgetauscht worden und Tipps für die Breitbandversorgung. „Wir alle hatten ja dieselben Probleme“, sagt Markus Pfisterer. Und so kam es, dass sich schon die meisten kannten, bevor sie ins neue Heim eingezogen sind. Zudem haben sich schon vier Frauen über die Krabbelgruppe gekannt.
„Treibende Kraft sind schon Bauers und Senks. Die haben das Festkomitee“, meint Sarah Breiner. Thorsten Bauer erklärt: „Wir haben im Sommer ein Straßenfest gemacht, ein Laternenfest im Winter und dann noch diverse kleinere Veranstaltungen.“ Das Straßenfest haben die Nachbarn innerhalb von vier Tagen auf die Beine gestellt, angeheizt von einem Wetterbericht, der fürs Ende der Woche schlechtes Wetter vorhersagte. „Das war ganz unproblematisch, jeder hat was mitgebracht, drei Grills aufgestellt, einen Kühlschrank hochgeholt und ein Kässle für die Getränke“, schildert Sabine Senk. An Ideen für gemeinsame Aktivitäten mangelt es offensichtlich nicht. „Bei jedem Fest wird sofort eine neue Idee geboren, welches Fest man als Nächstes feiern kann“, sagt Doreen Bauer.
Die Aktivitäten werden oft auch über die WhatsApp-Gruppe vorbesprochen. „Beispielsweise wird gefragt: Treffen wir uns zum Raclette, grillen wir heute Abend oder machen wir Flammkuchen in unserem Garten – ganz spontan“, meint Thorsten Bauer. Und dann zieht der 38-Jährige ein kleines Fazit: „Ich find’s echt krass, wie schnell das doch harmoniert hat mit vielen, und wie eng der Kontakt innerhalb von einem halben Jahr geworden ist und wie sich auch unsere Kinder brutal gut verstehen.“ Markus Pfisterer ergänzt: „Die Kinder haben sich immer bei dem Haus getroffen wo’s ein neues oder interessantes Spielgerät gegeben hat, entweder das Trampolin bei Bauers oder das bei Breiners...“ – „Es gab auch von Anfang an eigentlich keine Barriere, jemanden um Hilfe zu fragen oder Tipps auszutauschen“, sagt Sarah Breiner. „Die Hilfsbereitschaft ist sehr groß“, meint Marc Schwarz. „Egal, ob eine Gasflasche für den Grill oder ein Ei, das hab ich schon alles bei den Nachbarn geholt“, lacht Thorsten Bauer, „oder die Information, wer ein Ei hat.“
Und wie wichtig ist es, eine gute Nachbarschaft zu haben? „Ich find’s brutal viel wert“, sagt Sarah Breiner spontan, „unersetzlich“, meint ihr Mann Christian, und Sabine Senk sagt: „...vor allem in unserer jetzigen Situation, wir haben alle kleine Kinder. Man hat halt abends nicht so viele Möglichkeiten, wegzugehen. Man freut sich einfach, dass man Leute hat, auf der gleichen Wellenlänge liegt und spontan was machen kann.“
„Wie willst du länger in einem solchen Haus wohnen?“
In Sachen Nachbarschaft hat zumindest Familie Bauer schon ganz andere Erfahrungen gemacht. „Wir haben für kurze Zeit in einem Dreifamilienhaus gewohnt, wir ganz oben. Die anderen beiden Parteieien im EG und 1. OG haben sich immer voll gezofft zeitig“, schildert Thorsten Bauer. Und seine Frau Doreen weiß noch: „Sobald die einen Stühle über den Boden gezogen haben, ging’s schon los. Wir haben versucht, ein Schlichtungsgespräch zu machen.“ – „Wir haben alle eingeladen. Aber das war sinnlos, wir haben’s dann irgendwann mal aufgegeben“, bedauert Thorsten Bauer, und fragt sich rückblickend: „Wie willst du länger in einem solchen Haus wohnen?“
Wie gut, dass sich so frühzeitig diese E-Mail mit dem Datenleck in den Haushalt der Familie Senk verirrte.