Ein Fest nicht nur für „alte Straßenfest-Hasen“

Das „Koi Zeit: Schdroßafeschd-Festival“ im Autokino ist fast so vielseitig wie das Original. Unter dem Murrtalviadukt gibt es im 50. Jahr dieser Backnanger Institution ein kleines Trostpflaster. Bei sommerlichen Temperaturen und trotz zeitweisen Regens wird fröhlich gefeiert. Vorherrschender Tenor der Besucher: Dankbarkeit.

Drei Stunden Partylaune mit einem Stimmungshitfeuerwerk warteten auf die Festbesucher am Samstagabend. Die Hofbräu-Frauen feuerten stimmgewaltig ihre Gewehrsalven ab. Mit 250 Tickets war dieser Abend komplett ausverkauft. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Drei Stunden Partylaune mit einem Stimmungshitfeuerwerk warteten auf die Festbesucher am Samstagabend. Die Hofbräu-Frauen feuerten stimmgewaltig ihre Gewehrsalven ab. Mit 250 Tickets war dieser Abend komplett ausverkauft. Foto: A. Becher

Von Carmen Warstat

BACKNANG. Das scheinbar unvermeidliche Straßenfest-Gewitter – eine meteorologische Tradition – hatte sich gegen 19 Uhr verzogen, sodass man mit leichter Verspätung starten konnte. Es ist Freitagabend – die Juze-Jugendmeile macht den Anfang. Zuvor mussten die Aktiven von Stadtjugendring und Jugendzentrum die Bühne und die Zelte sichern, manche von ihnen waren klatschnass, aber kein bisschen frustriert. Zu sehr hatte man sich auf diesen Höhepunkt seit Monaten der Funkstille im Juze gefreut, zu enthusiastisch auf diesen Abend vorbereitet, zu viele Karten verkauft, um jetzt nachzulassen.

Das Bier sei „einen Tick wärmer als sonst“, berichtete der Stadtjugendringvorsitzende Markus Schildknecht, weil man vorsorglich die Sicherungen herausgenommen hatte. Er rechnete damit, dass viele Gäste verspätet kommen würden, und so war es dann auch. 200 Tickets hatte das Team um die Universum-Chefin Annegret Eppler bereits vorab verkauft, mehr sogar als beim Konzert des A-cappella-Quintetts „Die Füenf“ seinerzeit, und auch die Abendkasse wurde stark frequentiert. Einige mag das Wetter abgeschreckt haben, vermutete Juze-Mitglied Alexander Wolf, andere kamen dafür spontan auf den Etzwiesenplatz.

Vorschriftsbedingt bis zu 99 Personen konnten auf Bierbänken vor der Bühne Platz nehmen, die anderen hielten sich in oder an ihren Autos auf. Manche saßen auf der Motorhaube, andere hatten Campingmöbel und Decken dabei, wieder andere parkten ihren Kleinbus rückwärts und saßen sozusagen im Kofferraum. Das bunte Juze-Volk hatte seinen Spaß und nahm die Vorschriften gelassen.

„Schwierig, aber man macht das Beste draus“, waren sich Sebastian Perthold und Florian Leyrer einig, und Steven Häußermann wollte unbedingt ein großes Dankeschön an Armin Holp vom Stadtjugendring loswerden. Einen „Schatz für Backnang“ nannte er den fleißigen Mitorganisator der Jugendmeile.

Koi-Zeit-Festival im Backnanger Autokino

Impressionen von den Veranstaltungen des Koi-Zeit-Festivals im Backnanger Autokino als Straßenfest-Trostpflaster

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© Alexander Becher

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An Vielseitigkeit nicht zu überbieten war das Line-up, um das sich Alexander Wolf vom Konzertarbeitskreis des Juze gekümmert hatte: Mit L’Apaka, Therapoda und Pale Heart heizten drei Bands ein, die mit Indie-Rock, Death Metal und Bluesrock unterschiedliche Genres bedienten und hervorragend lieferten. Auch DJ Michael Scholl alias Freak Meccah präsentierte die komplette Bandbreite Juze-tauglicher Musik, und der (in Anlehnung etwa an den Begriff Hardcore als Männercore bezeichnete) Chor aus Männern und verkleideten Frauen sorgte für gute Laune. Dessen Dirigent Bernhard Stefan sprach augenzwinkernd davon, dass ein alter Traum wahr wurde – einmal Headliner sein, einmal auf einer großen Bühne stehen!

Dankbar zeigten sich die Besucher durchweg. Einen guten Kompromiss nannte es Melinda Schachinger, die mit ihrer Schwester Viola Limley gekommen war, und als „eine kleine Alternative“ nahm der einstige Bürgermeisterkandidat „Nopper-Stopper“ Volker Dyken den Abend wahr. „Eine super-super Sache“, schwärmte Hannah Schönfelder, zweite Kassierin des Juze, „und eine Superchance für die Bands!“ Sie fand es „alles sehr spontan. Aber es hat geklappt. Voll geil!“ Steffen Stäudle, der erste Kassier, konnte da nur zustimmen und freute sich auch darüber, „dass wieder ein bisschen Geld in die Kasse kommt“. Denn „die Jugendmeile beim Straßenfest ist eigentlich unsere Haupteinnahme“.

Samstagabend: Das Stuttgarter Hofbräu-Regiment und DJ Thommy

Auch am Samstag spielte das Wetter mit. Pünktlich zum Abend hellte es nach heftigem Regen auf und bereits um 18.30 Uhr bildete sich unter dem Murrtalviadukt eine lange Autoschlange. Bevor DJ Thommy begann einzuheizen, war auf der LED-Wand noch einmal die Straßenfest-Ansprache von Oberbürgermeister Frank Nopper zu sehen und wurde wohlwollend aufgenommen. Mit 250 Tickets war dieser Abend komplett ausverkauft. Einige Fahrzeuge kamen aus Aachen und Berlin, München und Hamburg, Ludwigsburg und Heilbronn, wenn auch ein paar Firmenwagen darunter waren. Die Gäste lobten die „schöne Gegend“ und den „ländlichen Charme“, den beispielsweise Andreas Lovasz in seiner zweifellos wunderbaren Heimatstadt Aachen ein wenig vermisst. Er war nach Backnang gekommen, um Freunde zu besuchen, und hatte „gestern zum ersten Mal vom Hofbräu-Regiment gehört.“ Er würde sich überraschen lassen. Es sei „wirklich out of Alltag“ und „das werden wir unseren Enkeln noch erzählen“, meinte Franziska Merker aus Rudersberg, die ihre Erbstettener Freundin Maike Elzmann mitgebracht hatte. „Voll toll“, war deren Kommentar, „auch wenn wir nicht direkt Fans sind.“

Mit Freundin, Töchtern Lena und Lea sowie ihrem Ex-Mann war Petra Öhler aus Ludwigsburg gekommen. „Endlich ein Event, wo man auch Kinder mitnehmen kann“, lobte sie. Mit einem Glas Sekt in der Hand neben ihrem Auto prostend nannte Adelheid Nick die Stimmung „gut für den Anfang“. Sie war mit Ehemann Matthias, ihrem Sohn und der Schwiegertochter da und fand „toll, dass was geboten wird“. In bester Feierlaune hatte sie schon nach kurzer Zeit die Gäste am Nachbarfahrzeug kennengelernt. „Wenigstens etwas Normalität!“ Mit diesen Worten lobte Oliver Förnzler aus Heilbronn den Abend und erkundigte sich interessiert nach den Organisatoren. Seine Partnerin Sybille Braun lebt seit 1969 in Backnang und ist „Straßenfesterfahren“. „Großartig, dass man nicht so passiv ist wie im klassischen Autokino!“

Zum Einmarsch des Hofbräu-Regiments gegen 19.30 Uhr erhoben sich die Besucher traditionsgemäß und applaudierten mittels „Klatschpappen“ heftig. Claudia Fischer von der Plattform meinbacknang.de hatte diese aus alten Kalendern hergestellt und verteilt, denn „Hupen ist wegen der Anwohner nicht angesagt. Es soll ein Gimmick sein, das Spaß macht.“ Da feuerten die Hofbräu-Frauen schon ihre Gewehrsalven ab, und das Konzert konnte beginnen: „Auf die Plätze, fertig, los – O la la la.“ Die Nummer erklang und riss das großteils textsichere Publikum unmittelbar mit. Frontmann Robin Henderson mischte sich unters Volk und wollte „die Krüge sehn“. Fast drei Stunden Partylaune mit einem „Stimmungshitfeuerwerk“, wie es ein tanzender Besucher formulierte, hatten begonnen.

Am Tisch mit der Nummer fünf direkt vor der Bühne hatten sich Mitglieder des Backnanger Karnevals-Clubs BKC versammelt. „Alles alte Straßenfest-Hasen.“ Präsidentin Gabi Kallfaß: „Heute sind wir nur Zuschauer, was auch mal schön ist.“ Ob das Autokino ein Ersatz für das Straßenfest ist? „Man muss es immer positiv sehen. Es ist schön, dass man mal wieder gemeinsam an einem Tisch sitzen darf!“ Uneingeschränkt wurde diese Ansicht von vielen befragten Besuchern geteilt. Es sei „kein wirklicher Ersatz“, aber „gut, dass überhaupt etwas passiert“.

Markus Schildknecht freut sich über das positive Feedback. Es sei gar nicht der Anspruch gewesen, einen Ersatz zu bieten. „Das ist kaum möglich. Der Reiz der Altstadt fehlt natürlich.“ Es käme aber immer darauf an, überhaupt etwas zu machen. Angelika Fischer, gebürtige Hessin, die seit 43 Jahren hier lebt und leidenschaftlich gern ausgeht, brachte es auf den Punkt: „Ersatz? Net ganz. Aber wenigstens bissl was.“

Koi-Zeit-Festival im Backnanger Autokino
Zumindest etwas Flair vom Backnanger Straßenfest gibt es mit dem BKZ-Video übers Koi-Zeit-Festival im Backnanger Autokino.

Sonntag: Frühschoppen, Kinderprogramm und Filmvorführung

„Endlich mal wieder“, freuten sich Helga Grubbert und Martina Fink, die sich zu einem lockeren Fanklub der Musikvereine Sachsenweiler und Großaspach zusammengefunden hatten. Endlich mal wieder Livemusik, endlich mal wieder feiern und gemeinsam Spaß haben. Auch gestern war das Wetter bis zuletzt unsicher und klarte erst kurz vor Konzertbeginn auf, gegen Ende des Frühschoppens sollte es einen kurzen Regenguss geben – der Atmosphäre tat es keinen Abbruch. Zwar spärlicher besucht als an den Vortagen, gab es in den Etzwiesen jedoch genauso gut gelaunte Besucher. Ausgelassen war die Stimmung am Siebenertisch mit Kirchbergern, die von Johanna Bechtle über eine WhatsApp-Gruppe eingeladen worden waren. Die junge Frau ist internetaffin und weiß bestens, womit sie Eltern, Familie und Freunde begeistern kann.

Karin und Kurt Gellert waren mit Hündchen Marley vor Ort, denn: „So viel Aufwand muss man unterstützen.“ Das Ehepaar war des Lobes voll für die Idee und Realisierung des Ersatz-Straßenfests. Manche der Besucher hatten schon bei der Jugendmeile am Freitag vorbeigeschaut. Michael Maier und Andreas Benschuweit etwa sangen zwei Abende zuvor noch im Juze-Männercore mit, und jetzt genossen sie Blasmusik. „Wir decken alles ab. Wir sind tolerant“, versicherte Michael Maier und sein Freund ergänzte: „Super Sache hier. Es wurde Zeit, dass mal wieder so ein Fest ist.“

Der Musikverein Sachsenweiler grüßte sein Publikum mit der Morgenblütenpolka, dem Stück „Unser Bänkchen“ und dem Böhmischen Traum. Es gab immer wieder „coronabereinigte“ Trinksprüche vonseiten des Dirigenten plus das Goodie „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, und das kam bestens an. Abgelöst wurde der MV Sachsenweiler von den Großaspacher Musikern, die sich äußerst dankbar für diese Auftrittschance zeigten. „Super“ und „absolut genial für die Teambildung und Motivation“ sowie „einzigartig als Erfahrung“ findet Heike Wehrsig, Kassierin und Klarinettistin beim Musikverein, das Projekt Autokino. Mit „O Pretty Woman“, „Sweet Caroline“ oder „Wunder gibt es immer wieder“ ging die Kapelle stärker als ihre Vorgänger in die populärmusikalische Richtung; auch das gefiel dem Publikum ausnehmend gut.

Am Nachmittag dann sollten die Kinder auf ihre Kosten kommen. Professor Pröpstls Kasperl und Seppel hatten zu Puppentheater vom Feinsten eingeladen und zeigten „Zwackilutschku“.

Auch der filmische Abschluss des „Koi Zeit“-Wochenendes unterm Viadukt war ein würdiger: „Der Junge muss an die frische Luft“ nach der gleichnamigen Autobiografie Hape Kerkelings thematisiert dessen Jugenderinnerungen, die keineswegs nur fröhlich daherkommen. Universum-Inhaberin Annegret Eppler kann das Projekt Autokino ebenfalls als großartige Erfahrung verbuchen. Sie schwärmte regelrecht von der Zuverlässigkeit aller beteiligten Organisatoren von Stadtjugendring bis Security. Es sei „eine schöne Etzwiesengemeinschaft“ geworden. „Macht Spaß!“ Jetzt freut man sich auf die definitiv letzte öffentliche Veranstaltung. Das wird das classic-ope(r)n-air am kommenden Samstag um 20 Uhr sein. Zu diesem Finale wird man die Bestuhlung auf 240 Plätze erhöhen.

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Erstellt:
29. Juni 2020, 06:00 Uhr

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