Eskalation in Nahost

Ein Fluss soll den großen Krieg verhindern

Seit Beginn der Eskalation vorige Woche wurden bei israelischen Angriffen im Libanon rund 150 Menschen getötet. Israel will den Rückzug der Hisbollah bis hinter den Fluss Litani im Libanon erzwingen.

Rauch steigt nach einem israelischen  Luftangriff auf Khiam im Südlibanon auf.

© AFP/Rabih Daher

Rauch steigt nach einem israelischen Luftangriff auf Khiam im Südlibanon auf.

Von Thomas Seibert

Der Libanon steht vor einem neuen Krieg. Israels Luftwaffe tötete am Montag bei den schwersten Angriffen auf die libanesische Hisbollah-Miliz seit Jahren mehr als 270 Menschen und verletzte mehr als 1000 weitere, wie die libanesische Regierung mitteilte. Zeitweise habe es mehr als 80 Einschläge innerhalb einer halben Stunde gegeben, meldete die libanesische Nachrichtenagentur NNA. Die Hisbollah antwortete nach eigenen Angaben mit Raketen-Angriffen auf israelische Militärposten.

Israels Armee erklärte, es seien mehr als 800 Hisbollah-Stellungen beschossen worden, und kündigte weitere Angriffe an. Mit den Luftschlägen will Israel die pro-iranische Hisbollah zum Rückzug hinter den libanesischen Fluss Litani zwingen, der etwa 30 Kilometer nördlich der israelischen Grenze ins Mittelmeer mündet.

Machtlose UN-Truppen

Der 150 Kilometer lange Litani ist ein Symbol für die Konflikte im Süd-Libanon. Schon der erste Einmarsch Israels in das Gebiet 1978, der sich gegen die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) richtete, trug den Code-Namen „Operation Litani“. Israelische Soldaten stießen damals bis zu dem Fluss vor. Vier Jahre später schickte Israel wieder Truppen in den Libanon und zwang die PLO-Führung zur Flucht aus Beirut ins Ausland. Nach dem Ende des Krieges 1985 kontrollierte Israel noch 15 Jahre lang Teile des Süd-Libanon. Heute kämpft Israel gegen die Hisbollah, die in den frühen 1980er Jahren mit Hilfe des Iran von libanesischen Schiiten gegründet wurde.

Am Montag starben 50 Menschen bei Bombardements durch israelische Kampfjets. Israels Armee warf der Hisbollah vor, Waffen in Wohnhäusern südlich des Litani-Flusses stationiert zu haben, und rief Zivilisten auf, die Umgebung von Hisbollah-Stellungen zu verlassen.

Die israelische Regierung verweist darauf, dass die Hisbollah mit der Waffenstationierung südlich des Litani-Flusses die UN-Resolution 1701 verletzt. Die libanesische Regierung und die Hisbollah erwidern, Israel verstoße selbst gegen die Entschließung. Resolution 1701 des Sicherheitsrates beendete im Jahr 2006 den letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Sie verpflichtete die Miliz, alle Truppen und Waffen aus dem Gebiet zwischen dem Litani und der israelischen Grenze abzuziehen; Israels Armee sollte den Libanon verlassen. Damit entstand eine etwa 30 Kilometer breite Pufferzone zwischen Israel und der Hisbollah, die von UN-Truppen patrouilliert wird. Nord-Israel wurde so zeitweise vor einem Teil der Hisbollah-Waffen geschützt: Viele Raketen der Miliz haben eine Reichweite von weniger als zehn Kilometern.

Die UN-Soldaten konnten nach 2006 nicht verhindern, dass Hisbollah-Kämpfer und -Raketen wieder über den Litani nach Süden verlegt wurden. Die libanesische Regierung wirft Israel vor, die libanesische Souveränität mit Luftangriffen und anderen Aktionen zu verletzen. Dennoch blieb die Lage im Süd-Libanon fast 20 Jahre lang relativ stabil. Das änderte sich im vorigen Oktober, als die Hisbollah zur Unterstützung der Hamas in Gaza mit fast täglichen Raketenangriffen auf Israel begann und Israel zurückschlug. Zehntausende Bewohner von Nord-Israel und Süd-Libanon sind von den Kämpfen vertrieben worden.

Durchsetzung der Resolution 1701

Nun will Israel die Hisbollah mit den neuen Angriffen im Libanon wieder bis hinter den Litani-Fluss treiben, damit die israelischen Zivilisten in den Norden des Landes zurückkehren können. Wenn die internationale Gemeinschaft die Resolution 1701 nicht durchsetze, dann werde Israel das eben selbst tun, sagte Außenminister Israel Katz.

Simon Waldman, Nahost-Experte am King’s College in London, sieht in der Wiederbelebung der UN-Trennlinie am Litani-Fluss die einzige Möglichkeit, die neue Spirale der Gewalt zu stoppen. Wenn die USA den Partner Israel dazu bringen wollten, den Konflikt mit der Hisbollah nicht weiter zu eskalieren, dann müssten sie „irgendeinen Mechanismus finden, die Resolution 1701 umzusetzen“, sagt Waldman. Jede Lösung, die diesen Punkt außer Acht lasse, würde in Israel als Niederlage verstanden.

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Erstellt:
23. September 2024, 14:34 Uhr
Aktualisiert:
23. September 2024, 18:28 Uhr

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