Ein Gespür für Holz, Design und Kunden
Wir schaffen das! Tatsächlich? (4): Der Afghane Mohammad Alizadeh aus Murrhardt und die kurdischen Syrer Adnan Al Bakri und Fawaz Alshekh Ahmad aus Backnang haben ihren Weg gemacht und sind im Job beziehungsweise in der Ausbildung angekommen.
Von Christine Schick
MURRHARDT/BACKNANG. Die Geschichten der drei jungen Männer, auf die hier nur einige Schlaglichter geworfen werden können, sind beeindruckend. Einerseits lassen sich die typischen Suchbewegungen eines jungen Menschen erkennen, für den es darum geht, den passenden Beruf zu finden, andererseits mussten sie durch ihre Flucht so gut wie alles hinter sich lassen und ganz neu anfangen. Es zeigt sich, wie wichtig die Sprache sowie eine Unterstützung und Begleitung genauso wie Eigeninitiative sind.
Mohammad Alizadeh war schon volljährig, als sich seine Familie – Eltern und insgesamt sieben Kinder – entschloss, zu fliehen. Vor Jahrzehnten war sie aus Afghanistan in den Iran geflüchtet, doch in Teheran wurden die Bedingungen für sie immer schwieriger. „Es war dort sehr schwer, ich konnte nur vier Jahre zur Schule gehen“, erzählt der heute 23-Jährige. Weil es ihm nicht mehr erlaubt war, zu lernen, fing er mit elf Jahren an, in einer Schreinerei zu arbeiten, nicht allein wegen des Geldes. Er sammelte dort auch praktische Erfahrung. Es dauerte 20 Tage, bis die Familie nach ihrem gefährlichen Weg über das Mittelmeer in Deutschland Mitte Februar 2016 ankam. Die Kernfamilie landete in Murrhardt-Fornsbach in der Flüchtlingsunterkunft. Anfangs war es für den jungen Mann hart, räumt er ein, sich überhaupt nicht verständigen zu können und eine komplett neue Sprache zu lernen. Doch der intensive Unterricht in der Berufsschule Backnang trug Früchte. Eine Option war dann, den Hauptschulabschluss zu machen, doch eine Murrhardterin, die ihn ehrenamtlich begleitete, schlug ihm vor, sich doch auch bei Ausbildungsmöglichkeiten umzusehen. „Sie hat mir bei den Bewerbungen geholfen und mich zum Gespräch begleitet“, erzählt Alizadeh. Der junge Mann stellte sich bei einem größeren Oberroter Handwerksbetrieb vor, in dem komplette Häuser gebaut werden. Nach einem zweitägigen Praktikum bekam er den Ausbildungsplatz und die Arbeit zeigte ihm, dass er richtig lag. „Es hat mir Spaß gemacht, zu zeigen, was ich kann. Möbel zu bauen, ist wirklich meins“, sagt er. Bei seinem Gesellenstück – einer Kommode mit Schubladen und Intarsien – konnte er entsprechend punkten. Seine Arbeit wird in der Haller Schreinermeisterschule mit dem zweiten Platz ausgezeichnet, im praktischen Teil der Abschlussprüfung erhält er die Note 1,3.
Mittlerweile arbeitet der 23-Jährige als Geselle für seine Firma im Bereich Treppen- und Innenausbau und ist viel auf Montage in Süddeutschland unterwegs. „Ich möchte Erfahrung sammeln und die Zuschläge sind ganz gut“, sagt er. Grundsätzlich könne man ja auch überlegen, in der Industrie eine Arbeit zu suchen, „aber der Beruf Schreiner macht mir einfach Freude, dort will ich bleiben“. Auch seine Geschwister, die noch in Murrhardt leben, sind erfolgreich: Sein Bruder Alireza (20) hat einen Ausbildungsplatz als Zimmerer erhalten, Nasim (26) absolviert eine Lehre als Zahnarzthelferin, Nazanin (24) eine Lehre als Zahntechnikerin.
Adnan Al Bakri (20) aus dem syrischen Aleppo hat erlebt, „wie der Krieg uns auf der Flucht gefolgt ist“. Die kurdische Familie war in der Türkei, als sich der damals 15-Jährige 2015 entschloss, seinem Bruder Hussein nachzufolgen, der nach Deutschland geflohen war und in einer Unterkunft in Backnang lebte. In Istanbul hatte er als Bügler gearbeitet, hoffte aber auf eine Perspektive. Auch er erinnert sich an den schweren Start in einem Land, dessen Sprache er nicht verstand. Geholfen haben ihm sein Bruder, der mittlerweile Sozialarbeit in Weingarten studiert, und eine deutsche Familie, bei der die beiden in der Anfangszeit wohnen durften und wichtige Unterstützung beim Deutschlernen hatten. Nach der Hauptschule schloss Al Bakri die Realschule ab und schaute sich bei Ausbildungsberufen um, schnupperte in verschiedenste Richtungen hinein. Als ein Freund, Fawaz Alshekh Ahmad, von seiner Optikerausbildung erzählt hat, erkundigte er sich, ob ein Praktikum möglich ist, und hat nun im September mit seiner dreijährigen Ausbildung in Backnang begonnen. Er freut sich sehr, weil dort sein Wunsch, mit Menschen, also Kunden, Kontakt zu haben, sich mit filigraner Arbeit, bei der es auch um eine gewisse Eleganz und passendes Design und Outfit geht, verbinden lässt. Auch Fawaz Alshekh Ahmad (25), ebenfalls Kurde, hat seine Heimat Aleppo verlassen. 2014 führte sein Weg zuerst mit der Familie in den Irak, später über die Türkei nach Deutschland, wo er im Juli 2015 mit seinem Onkel ankam. Das Gefühl, sich ohne familiäre Einbettung, Sprache, Geld und Dach über dem Kopf zurechtfinden zu müssen, beschreibt er als wirklich schwer. Umso dankbarer ist er dafür, in Backnang bei einem deutschen Ehepaar aufgenommen worden zu sein. „Sie haben mir sehr viel geholfen.“ Alshekh Ahmad brachte einen Realschulabschluss und Erfahrung aus seiner Arbeit in einer syrischen Apotheke mit. Als er ein Praktikum bei besagtem Optiker absolvierte, erhielt und ergriff er die Chance, eine Ausbildung zu machen. „Im ersten Lehrjahr war es nicht leicht, alles zu verstehen und gleichzeitig mitzuschreiben“, erzählt er. Mitazubis und Lehrer unterstützten ihn aber, und er fühlt sich wohl im Team und mit seiner Arbeit. Ob er übernommen wird, weiß er noch nicht. Die beiden jungen Männer wünschen sich, später finanziell auf eigenen Beinen zu stehen und möglicherweise Familienmitglieder unterstützen zu können. Auch möchten sie etwas zurückgeben: Sie engagieren sich im Verein Kubus, dolmetschen in ihrer Freizeit und sind dort in verschiedenen Projekten aktiv – wie übrigens auch Mohammad Alizadeh.