Ein Innenminister im Einstellungsfieber
Die Polizei personell zu stärken ist richtig – aber auch in der von Strobl gewünschten Dimension?
Baden-Württemberg zählt zu den sichersten Bundesländern. Die Kriminalitätsrate pro Einwohner im Südwesten ist so niedrig wie seit 1990 nicht mehr. Zugleich werden immer mehr Fälle aufgeklärt. Und ausgerechnet in diesen Zeiten fordert Landesinnenminister Thomas Strobl 2000 zusätzliche Neustellen für die Polizei in den Jahren 2021 bis 2026. Wie, bitte, passt das zusammen? Auf den ersten Blick gar nicht!
Allerdings kommen auf die Sicherheitsbehörden immer mehr Aufgaben zu. Und die personelle Lage bei der baden-württembergischen Polizei ist durch die Pensionierungswelle ziemlich angespannt. Nirgendwo sonst in Deutschland ist die Polizeidichte so gering wie im Südwesten: ein Polizeibeamter kommt auf 453 Einwohner. In Berlin, beim Spitzenreiter in der Länderrangliste, gibt es 209 Einwohner pro Polizist; in Bayern, einem vergleichbaren Flächenland, sind es 392. Da mag es aus Sicht der Steuerzahler super sein, wenn die Polizei gut arbeitet und vergleichsweise kostengünstig ist. Weil es aber auf Dauer an die Moral und die Substanz der Beamten geht, ständig am Limit arbeiten zu müssen, ist eine personelle Anpassung nötig.
Dass die Lage so ist, wie sie ist, rührt von politischen Fehleinschätzungen und -entscheidungen her. Obwohl klar war, dass zwischen den Jahren 2018 und 2023 rund 6000 Beamte altersbedingt in Pension gehen, hatte die frühere schwarz-gelbe Landesregierung Anfang des letzten Jahrzehnts fast 1000 Stellen abgebaut und kaum neue Polizeischüler eingestellt. In den Jahren 2004 und 2005 waren es landesweit zusammen 352 Anwärter.
Dieser Sparkurs rächt sich jetzt – ist CDU und FDP aber nur bedingt vorzuwerfen. Denn damals deutete alles darauf hin, dass die Bevölkerung im Südwesten altern und die Kriminalität deshalb zurückgehen würde. Niemand konnte ahnen, dass unter anderem die islamistische Terrorgefahr so wachsen und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer naiven Migrationspolitik auch viele (Klein-)Kriminelle anlocken würde. Im Ergebnis litt das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung.
Schon SPD-Innenminister Reinhold Gall versuchte vergangene Legislaturperiode, auf die Entwicklungen mit mehr Einstellungen als in den Jahren zuvor zu reagieren. Galls Nachfolger Strobl setzte mit der größten Einstellungsoffensive in der Geschichte der Polizei noch einen drauf. 2018 und 2019 gibt es je 1800 Anwärterstellen. Bis sie ausgebildet sind, dauert es allerdings: 30 Monate beim mittleren und 45 Monate beim gehobenen Dienst.
Alles in allem ist nichts dagegen einzuwenden, die Polizei personell stärken und dem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen angemessen begegnen zu wollen. Im Gegenteil. Die Dimensionen, in die Strobl vorgestoßen ist, klingen toll und sind politisch nachvollziehbar.
Fachlich ist sein Einstellungsfieber aber fragwürdig. Sehr hohe Einstellungszahlen bergen nämlich auch Probleme und Risiken. Aus dreierlei Gründen. Erstens entsteht so in rund 40 Jahren eine neue Pensionierungswelle. Zweitens mindert ein personeller Aufwuchs binnen kurzer Zeit die Beförderungschancen der nachfolgenden Jahrgänge, worunter das Binnenklima leiden könnte. Und drittens droht insbesondere die Qualität der Neulinge zu leiden, wenn Bewerber zwar gerade noch die Mindestanforderungen erfüllen, es aber keine Bestenauslese gibt. Weitsichtiger und besser wäre es, auf Jahrzehnte hin verlässliche Einstellungskorridore zu schaffen – trotz aller personeller Not. Am Ende sollte immer gelten: Qualität vor Quantität.
nils.mayer@stuttgarter-nachrichten.de