Ein Land mit zwei Präsidenten
Parlamentspräsident Venezuelas erklärt sich zum Staatschef und wird von den USA unterstützt – Offizieller Amtsinhaber weiß Russland hinter sich
Südamerika - Seit Mittwoch hat das Land zwei Präsidenten und zwei Lager, die hinter ihnen stehen. Das verschärft die Lage.
Caracas Nicolás Maduro sprach vom Balkon des Präsidentenpalastes Miraflores. Sein Kontrahent Juan Guaidó installiere eine Marionettenregierung der USA, rief er seinen Anhängern zu und nahm die venezolanische Fahne in die Hand. Er, nur er, repräsentiere Venezuela, ließ Maduro wissen. Doch draußen in der Stadt versammelten sich seine Gegner. Erst waren es Tausende, dann Zehntausende und schließlich Hunderttausende, die Guaidó und einen Regierungswechsel unterstützen.
Insgesamt 13 Tote soll es laut venezolanischen Nichtregierungsorganisationen in den turbulenten letzten 48 Stunden in Venezuela gegeben haben. Die Organisation Foro Penal berichtet von 175 Festnahmen allein am Mittwoch. Vom Bischof von Maturin stammt die Nachricht, dass die Nationalgarde vorübergehend die Kathedrale umstellte, in die sich Hunderte Gläubige zurückgezogen hatten. Sie konnten verängstigt nach mehreren Stunden die Kirche unbehelligt verlassen.
Der 23. Januar ist wieder einmal ein historischer Tag in der Geschichte des südamerikanischen Landes. Jenes schicksalhafte Datum, an dem im Jahr 1958 Diktator Marcos Pérez Jiménez das Land verließ und in den USA um Exil bat. Und jetzt, seit dem 23. Januar 2019, hat Venezuela gleich zwei Präsidenten.
Zum einen den Sozialisten Nicolás Maduro, dessen Wahlsieg vor ein paar Monaten hochumstritten war, weil alle aussichtsreichen Kandidaten von dem Urnengang ausgeschlossen waren oder sie deswegen boykottierten. Und zum anderen Juan Guaidó, den Ingenieur und Absolventen der Katholischen Universität Andres Bello, dem mit seinen 35 Jahren innerhalb von nur wenigen Wochen nach seiner Wahl zum Parlamentspräsidenten, anschließender Kurz-Verhaftung durch den Inlandsgeheimdienst und Vereidigung zum Gegenpräsidenten, ein kometenhafter Aufstieg aus den hinteren Reihen der Opposition gelang.
Quasi im Stundentakt trafen seit Mittwoch die Meldungen aus den Schaltzentralen der Macht ein: China, Russland, Mexiko, die Türkei und natürlich Kuba stellten sich hinter Maduro. Die USA, Kanada, Brasilien, Kolumbien, Chile und Argentinien hinter Guaidó. Eine Patt-Situation, die kaum auflösbar ist.
Maduro kann sich bislang auf die loyalen Streitkräfte verlassen. Verteidigungsminister Vladimir Padrino Lopez versprach, ihn und die Verfassung verteidigen zu wollen. Und Maduro ist offenbar zum Äußersten bereit: „Hier geht niemand unter, hier gehen wir zum Kampf“, rief er seinen Anhängern in Caracas zu.
Deutschlands Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte: „Die Bevölkerung Venezuelas setzt sich mutig für eine freie Zukunft des Landes ein.“ Dafür brauche es nun einen politischen Prozess, der in freie und glaubwürdige Wahlen münde. Die Europäische Union teilte, sie unterstütze die von Guaidó geführte Nationalversammlung „als demokratisch gewählte Institution, deren Befugnisse wiederhergestellt und respektiert werden müssen“.
Selbst wenn Maduro an der Macht bleiben sollte, wird die Lage für ihn nun erheblich komplizierter, denn sein Gegenpräsident hätte in jenen Ländern, in denen er als rechtmäßiger Staatschef anerkannt wird, theoretisch Zugang zu staatlichen Vermögen. Und dann ist da noch die Bevölkerung, die sich zu großen Teilen von ihm losgesagt hat. Eine weitere massive Fluchtwelle wäre unausweichlich, die würden aber die betroffenen Nachbarn Kolumbien und Brasilien wohl kaum akzeptieren. Sie haben sich ja auf die Seite Guaidós geschlagen.