Siglinde Eschenauer aus Stuttgart

Ein Leben mit Tupper

Siglinde Eschenauer aus Stuttgart hat vier Jahrzehnte Tupperwaren verkauft, dann kam die Insolvenz. Was macht das aus einem Leben mit und für Tupper?

Siglinde Eschenauer zeigt Bilder aus 39 Jahre Tupper-Leben. Auf dem Bild links ist sie auf der rechten Seite zu sehen.

© /Lichtgut/Ferdinando Iannone

Siglinde Eschenauer zeigt Bilder aus 39 Jahre Tupper-Leben. Auf dem Bild links ist sie auf der rechten Seite zu sehen.

Von Daniel Gräfe

Der Tupperseufzer. Er könnte für Siglinde Eschenauers Innenleben stehen. Kurz hält sie inne, während der Tupperdose in ihren Händen beim Schließen die seufzerhafte Luft entfährt. 30 Jahre sollten die Frischhalteschüsseln ihre Besitzer sorglos begleiten, ganz am Anfang hieß es gar auf Lebenszeit. 39 Jahre lang hat Eschenauer selbst mit diesem Versprechen geworben. Ihr Leben drehte sich um Tupper, jetzt ist das Tupperleben vorbei.

Als Tupperware um die Jahreswende in Deutschland in Insolvenz ging, war der Schock für Eschenauer und die 12 000 Verkäuferinnen und Verkäufer im Land groß. „Ich war den Tränen nahe. Wir wurden komplett im Stich gelassen. Ausgerechnet wir, die an vorderster Front waren, haben nichts erfahren außer Durchhalteparolen.“

Mit 68 Jahren fängt Siglinde Eschenauer nochmals neu an

Jetzt ist sie 68 und fängt nochmals als Rentnerin neu an. Und doch: Bis zum unschönen Ende sei es für sie eine wunderschöne Geschichte gewesen.

Als sie 1985 begann, war ihr Sohn eineinhalb und ihr Mann verdiente bei den Stuttgarter Straßenbahnen das Geld. In die Kita geben wollte Eschenauer nicht, ein Bürojob kam für sie nicht infrage. „Mir hat mein eigenes Geld gefehlt.“ Wie viele der selbstständigen Tupperverkäuferinnen nutzte sie den Direktverkauf, um sich flexibel etwas hinzuverdienen.

Die zuständige Bezirkshändlerin führt sie ein. Eschenauer erhält den Tupper-Vorführkoffer im Wert von rund 500 DM zum halben Preis. Sie arbeitete das Geld ab, wie sie auch sonst ihre ersten Tupperwaren sich selbst ertuppert. Es ist eine Zeit, in der Tupperware für Qualität, aber auch einen hohen Preis steht, wo es die Nachahmerprodukte nicht gibt, die längst massenhaft bei dm, Rossmann und Kaufland stehen.

Es ist auch eine Zeit, in der Eschenauer zu den Tupperpartys in den Wohnzimmern von Stammheim, Zuffenhausen, Kornwestheim oder Ditzingen im Tupper-Schüttelbecher Liköre für die gute Stimmung mischt: ein Becher Sahne, zwei Wichtel Kakao, ein Wichtel Kognak. Danach schüttelt derselbe Becher die Salatsoße in Form. Zeigen, anfassen, probieren und kaufen. Wem es gefällt, bietet selbst das Wohnzimmer für die nächste Party an – oft ist die erste Gästin mit dabei. 500 DM Umsatz macht Eschenauer pro Vorführung im Schnitt, viel Geld in dieser Zeit.

Eschenauer führt in ihre Küche in ihrer Wohnung gegenüber der Stammheimer JVA. Ein Schank ist voller Schüsseln, ein Frischearchiv von Kräutern, Körner, Nüssen, Samen, Gemüse und Gewürzextrakten. Tupper hat sich in allen Schränken und Schubladen ausgebreitet: Aloha Schüsseln, Salatschleudern, Gefrierdosen, Rührschüsseln, der Turbo-Chef zum Schnippeln mit der Aufziehschnur. Aufschnitt-Stapelboxen, Brotdosen, Mikrowellenbehälter, die Kasserolle. Messer und Messermaus.

Tupperpartys sind so wichtig, weil das US-Unternehmen die Waren direkt und nicht in den Läden verkauft, und die sind teuer und oftmals erklärungsbedürftig. 200 Euro koste die Bratpfanne, meint Eschenauer. „Für die musste ich mehrmals beraten, das klappt nicht beim ersten Mal.“ Ihr Mann nutzt die Vesperdose, die Trinkflasche für unterwegs: „Ich war ihr erster Tester.“

69 000 Tupperverkäuferinnen gibt es in Deutschland in den besten Jahren

„Riecht nicht, hält sich, transportiert sich gut.“ Wie die Verkaufssprüche ändert sich für Eschenauer auch am System Tupper drei jahrzehntelang nichts, nur die Preise steigen. Und es kommen ständig neue Produkte hinzu. In der Bezirkshandlung Kornwestheim führt man das Neue Eschenauer und anderen Verkäuferinnen vor, 800 Beraterinnen fasst der Bezirk in der Hochzeit; 69 000 sind es deutschlandweit.

Es ist für Eschenauer eine gute Zeit. Wer viel verkauft wie sie, darf zur Jahrestagung. Mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 000 Euro und der Akquise von gut einem halben Dutzend Verkäuferinnen pro Jahr ist sie dabei. Erhält auf der Bühne Lob, Rose und später das Foto dazu. „Conny“-Beraterin heißt eine der Auszeichnungen. Oder „Gloria“.

Eschenauer breitet Erinnerungen auf den Tisch, Fotos aus vier Jahrzehnten. Eine winterliche Tagung in Finnland, eine in Brüssel, eine andere auf dem Münchner Oktoberfest. Oft sind Gaststars dabei: Howard Carpendale; Sasha, als auch er noch sehr jung war. „Das hat man sonst nicht“, meint sie. „Tupper war mehr als die Hälfte meines Lebens, das kann man nicht mit einer normalen Firma vergleichen. Wir hatten einen guten Zusammenhalt. Wir haben zusammen getrunken, gegessen und Spaß gehabt.“

„Ich habe Tausende von Leuten kennengelernt“, sagt Eschenauer

Immer wieder erzählt Eschenauer von den persönlichen Erlebnissen, von der „Tupperfamilie“, die auch andere Verkäuferinnen am Telefon so nennen, die darüber nicht in der Zeitung berichten wollen. Es ist eine Arbeit, wo sich Beruf und Persönliches vermischen. Wo Kundinnen in die eigene Küche und ins Wohnzimmer kommen, die Toilette benutzen. „Ich habe Tausende von Leuten kennengelernt“, sagt Eschenauer. „Später kamen auch die Kinder der Kundinnen zu den Partys.“

Doch dann kommt Corona. Es ist der erste Riss in Eschenauers Tupperwelt. Mit den Kontaktbeschränkungen kommen Whatsapp-Partys auf, es ist ein kurzer Hype: Videoverkäufe, die vor allem mit den Stammkunden funktionieren, die die Produkte schon kennen. Virtuell kaufen die Leute weniger, dafür können mehr mitmachen. „Einmal habe ich 1500 Euro umgesetzt“, sagt Eschenauer. Dennoch bleibt am Monatsende weniger Geld, aber es reicht. Doch nach Corona kommen die Verkaufspartys nicht in der Häufigkeit zurück.

Es ist nicht der einzige Grund, dass die Geschäfte bei Tupperware inzwischen schlechter laufen. Die günstigeren Konkurrenzprodukte boomen, Tupperware versucht sich viel zu spät und mit mäßigem Erfolg im Onlinehandel. Erlaubt sich überflüssige Strukturen. „Statt eines einheitlichen europäischen Konzepts hatte jede Ländereinheit einen eigenen Geschäftsführer, Einkauf und Vertrieb und auch ein eigenes Marketing“, sagt Marco de Benedetti, der im November 2023 Geschäftsführer von Deutschland wird. „Es hat keine einheitliche Markenführung gegeben.“

Immer wieder wird Tupper der Niedergang prophezeit, im September 2024 stellt Tupperware für die USA-Geschäfte einen Insolvenzantrag. Wenige Monate später geht auch Tupperware Deutschland in die Insolvenz. Die Garantien erlöschen. Verkäuferinnen erhalten für ihre bezahlten Bestellungen oft nur noch einen Teil der Waren.

„Das Aus hat uns alle überrascht“, sagt Eschenauer. „Dass es ein so großes Unternehmen in Europa auf einmal nicht mehr gibt, das ist noch immer unfassbar.“

Kein Abschiedsbrief kam. Keine persönliche Mail aus der Zentrale

Gerne hätte Eschenauer noch einige Jahre weitergemacht, trotz ihrer 68 Jahre. Immer konnte sie selbst bestimmen, wie viel Zeit sie für den Verkauf investierte. Dass sie Knall auf Fall zur Rentnerin wurde, das habe sie mittlerweile verkraftet. Sie macht Sport, fährt Rad, lernt Englisch. Kümmert sich um die Enkeltochter.

Was sie noch immer nicht überwindet, ist, wie es zu Ende ging. Kein Abschiedsbrief, keine persönliche Mail aus der Zentrale. Kein freundliches Wort zum Aus. „Das kreide ich der Führung wirklich an.“

Aufmunternde Worte kommen dafür von ihren Kundinnen und Kunden. Sie tragen es ihr nicht nach, dass 30 Jahre Garantie, dass ein Tupperleben nichts mehr gelten. „Mit einigen habe ich schon gesprochen, dass wir weiterhin in Verbindung bleiben.“

Das unterscheide sie von ihrem Mann und erstem Tester, der lange bei der SSB gearbeitet hat. Er treffe sich vielleicht einmal im Jahr zur Rentnerfeier, die Kontakte seien abgebrochen, meint er. Seine Frau sagt: „Ich bin sehr dankbar, dass bei mir diese Freundschaften bestehen bleiben. Es war nicht nur Tupper.“

Das Gespräch über ihre Tupperleben aber helfe ihr, dass sie endgültig mit Tupper, mit ihrem Leben als selbstständige Verkäuferin abschließen könne, sagt Eschenauer und räumt die Bilder wieder ab. Ihre letzte Urkunde zu 35 Jahren Tupper ist darunter. Es sind drei Plastikschüsseln mit goldenen Deckeln darauf.

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Erstellt:
6. März 2025, 14:00 Uhr

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