Ein Ort ohne Angst vor Diskriminierung

Erste Gruppe für queere Jugendliche im Rems-Murr-Kreis gegründet – Offene Treffen sollen zunächst einmal monatlich stattfinden

Ein junger Mensch zu sein ist schon nicht einfach. Wer dann aufgrund der eigenen sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität zusätzlich noch diskriminiert wird, hat es gleich doppelt schwer. In Backnang gibt es deshalb jetzt eine Gruppe, die sich an queere Jugendliche richtet und ihnen einen sichern Ort bietet, an dem sie sein können, wie sie sind.

Jako Richter (links) und Lucy Fullen haben die erste queere Jugendgruppe des Landkreises ins Leben gerufen. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Jako Richter (links) und Lucy Fullen haben die erste queere Jugendgruppe des Landkreises ins Leben gerufen. Foto: J. Fiedler

Von Silke Latzel

BACKNANG. In Backnang gibt es ab dem 1. Februar eine neue Jugendgruppe. Sie richtet sich speziell an queere Jugendliche und soll eine Art „Safe Space“ sein, also ein Ort, an dem man sich sicher fühlen und so sein kann, wie man möchte – ohne Angst vor Diskriminierung.

Ins Leben gerufen haben die Gruppe Jako Richter und Lucy Fullen. Während Richter in der Winnender Jugendarbeit tätig ist, absolviert Lucy ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Kreisjugendring des Rems-Murr-Kreises. Durch ihre Arbeit haben die beiden sich kennengelernt. „Unser Gruppe wird sich nicht nur speziell mit queeren Themen beschäftigten“, erklärt Richter. „Jeder ist bei uns willkommen. Queer zu sein ist das, was uns alle verbindet, aber wir wollen vor allem erst einmal eine lockere Runde sein, in der man andere queere Leute kennenlernt. Wir sehen uns auch nicht als Selbsthilfegruppe.“ Das Besondere ist nämlich, dass die Jugendgruppe zwar über den Kreisjugendring finanziert, aber von den Jugendlichen komplett selbst organisiert und geleitet wird. Es gibt dort also auch keine Sozialarbeiter. „In eine queere Jugendgruppe einladen und dann dort mit einem Sozialarbeiter warten, das würden wir als eine Art Vertrauensbruch empfinden. Und deshalb machen wir das auch nicht.“

Doofe Blicke, doofe Fragen: Für queere Menschen oft Alltag

Jako Richter ist 18 Jahre alt und bezeichnet sich selbst als „nichtbinär und asexuell, in bestimmten Kontexten auch queer, denn das ist ja ein Überbegriff für sämtliche Label, die es so gibt“ (siehe Infokasten). Darum lehnt Jako auch die Personalpronomen „er“ und „sie“ ab, sondern bevorzugt ein sogenanntes gender- und geschlechtsneutrales Pronomen: xier. „Die Probleme von queeren Jugendlichen unterscheiden sich nicht von denen anderer Jugendlicher. Die erste Liebe, der erste Sex... Der Unterschied ist einfach das soziale Umfeld, weil man beispielsweise als lesbisches Mädchen gar nicht weiß, wie man mit Eltern oder Freunden darüber sprechen soll.“ Noch „krasser“ sei es allerdings als Transgender. „Viele haben Angst, dass das komplette Umfeld einem mit Hass begegnet“, erklärt Richter. „Man selbst ändert sich ja durch das Outing nicht, aber wie andere auf einen reagieren, das ändert sich oft total.“ Dabei gehe das Spektrum der Reaktionen von Verständnis bis zur totalen Ablehnung. Richters Eltern haben auf xiers Outing „grundsätzlich positiv reagiert. Es war aber trotzdem etwas anderes als bei meinen Freunden.“

Richters eigene Erfahrungen mit dem Thema haben xier gezeigt, dass eine offene Gruppe für queere Jugendliche besonders wichtig ist: „Wer sich mit dem Thema auseinandersetzt, geht zuallererst ins Internet, macht sich dort schlau, lernt Menschen kennen. Aber das Internet kann sehr toxisch sein, dort läuft viel falsch, selbst in der queeren Community. Deshalb ist es wichtig, dass man echte Menschen im echten Leben kennenlernen kann, um zu sehen, dass man nicht allein ist. Es gibt viel mehr von uns, als man denkt und allgemein vermutet.“

Dass die erste queere Jugendgruppe sich in Backnang treffen wird, ist mehr oder weniger Zufall. „Wir haben hier im Juze einfach die passenden Räume gefunden“, erklärt Richter. „Uns war es wichtig, dass es auch im Rems-Murr-Kreis eine Anlaufstelle gibt, denn bis nach Stuttgart zu fahren, um sich dort mit Gleichgesinnten zu treffen, dazu ist die Hemmschwelle oft zu groß.“

Doofe Blicke, doofe Fragen: für queere Menschen oft Alltag. „Das passiert oft aus Unwissenheit und vor allem kommt so etwas von Älteren. Junge Leute sind da ziemlich aufgeschlossen und offener, hinterfragen sich selbst, ihre Identität und Sexualität viel mehr“, weiß Richter aus eigener Erfahrung. Xier würde sich wünschen, dass es in Zukunft „mehr Akzeptanz gibt, eine Enttabuisierung des Themas, also dass auch an Schulen darüber gesprochen wird, und das nicht nur in der Oberstufe.“ Generell fände Richter es schön, wenn die Gesellschaft offener wird und nicht „jedes Mal eine Grundsatzdebatte anfängt, so von wegen ,Muss das denn jetzt sein?‘, so wie damals, als die geschlechtsneutralen Stellenanzeigen eingeführt wurden – was mich übrigens sehr gefreut hat, denn es betrifft meine Lebenswelt ja direkt“.

Die queere Jugendgruppe trifft sich zum ersten Mal am Samstag, 1. Februar, um 11 Uhr im Juze, Mühlstraße 3, in Backnang. Geplant ist, sich in Zukunft immer am ersten Samstag des Monats zu treffen. Sollten die Initiatoren merken, dass mehr Bedarf besteht, können die Treffen auch häufiger angeboten werden. Wer Interesse hat, darf einfach vorbeikommen, eine Anmeldung ist nicht nötig.

Info
Queer, nichtbinär, trans- und asexuell: Was heißt was?

Queer: Im Englischen war „queer“ lange Zeit ein Schimpfwort. Heute wird der Begriff aber meist positiv als Selbstbezeichnung gebraucht, vor allem von Menschen, die ihre Identität als „außerhalb der gesellschaftlichen Norm“ ansehen. Außerdem kann queer als Überbegriff für Menschen genutzt werden, die nicht in die romantischen, sexuellen und/oder geschlechtlichen Normen der Gesellschaft passen.

Transsexuell: Transsexuelle Menschen möchten ihr Geschlecht wechseln, von Mann zu Frau oder von Frau zu Mann. Sie haben das Gefühl, im falschen Körper gelandet zu sein. Manche Menschen entscheiden sich daher zu einer Geschlechtsumwandlung per Hormontherapie und Operation. Die Entwicklung beginnt oft mit dem Kleiden nach den Normen des gegensätzlichen Geschlechts. Transsexuelle möchten als Angehörige des jeweils anderen Geschlechts leben und anerkannt werden.

Asexuell: Asexuelle Menschen verspüren keine oder nur sehr geringe sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. Trotzdem können sie sich natürlich verlieben und emotional binden. Lediglich die sexuelle Komponente fällt weg, da sie schlichtweg keinen Reiz ausmacht.

Nichtbinär: Als nichtbinär bezeichnen sich Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren, sondern als beides gleichzeitig, als etwas zwischen männlich und weiblich oder als weder männlich noch weiblich.

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Erstellt:
29. Januar 2020, 11:30 Uhr

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