Ein Pünktliche-Bahn-Gesetz muss her

Die Politik nimmt den Bahn-Chef in den Schwitzkasten und lenkt so von ihren eigenen Fehlern ab

Stuttgart

Bis Führungskräfte ihr eigenes Unternehmen verspotten, muss schon einiges geschehen. „Wenn die Deutsche Bahn ein Autohersteller wäre, wären die Lenkräder hinten montiert und die Räder oben“, sagte Klaus-Dieter Hommel, der die Eisenbahnergewerkschaft EVG im Aufsichtsrats des einstigen Staatsunternehmens vertritt. Und der Vizechef des Bahn-Aufsichtsrats, der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner, beschreibt die Stimmung der Mitarbeiter so: „Nicht wenige denken: Es wird eh nicht besser.“ Da spricht er wohl auch im Namen vieler Passagiere, die in den sozialen Netzwerken schier endlos Geschichten über liegen gebliebene Züge, verpasste Anschlüsse und ausgefallene Toiletten teilen.

DerDeutschen Bahnsollte ursprünglich im umweltbewussten Deutschland eine besonders wichtige Rolle zukommen. Doch ihre Verlässlichkeit sinkt immer weiter. Vor zehn Jahren lag die Pünktlichkeit im Fernverkehr noch bei über 90 Prozent, im vergangenen Jahr ist sie auf 75 Prozent abgesackt. Nun aber sprach Andreas Scheuer ein Machtwort. Bis zum Frühjahr müsse es deutliche Fortschritte geben, ließ der Bundesverkehrsminister den neuen Bahn-Chef Richard Lutz per Interview wissen. Doch die Annahme, dass sich auf dem Schreibtisch von Lutz ein Pünktlichkeitsknopf befindet, der nun endlich gedrückt werden muss, geht fehl. Die Dauerprobleme der Bahn haben mehr mit falschen Weichenstellungen der Politik zu tun, als dieser lieb sein kann.

Während der Sozialhaushalt einen immer größeren Anteil der Wertschöpfung in Anspruch nimmt und innerhalb weniger Jahre rasch auf rund eine Billion Euro jährlich angeschwollen ist, muss die Bahn um jede Milliarde kämpfen, die sie benötigt, um Deutschlands unzureichende Schienen-In­frastruktur auf Vordermann zu bringen. Von dem vor über 20 Jahren geplanten und dann abgeblasenen Börsengang hat sich das Unternehmen bis heute nicht erholt. Um die Bilanz für Aktienkäufer zu schmücken, wurde jahrelang die In­frastruktur vernachlässigt, was bilanziell den unwiderstehlichen Charme hatte, eine Zeit lang Kosten zu sparen, ohne auf der anderen Seite die Erträge zu schmälern. Ein Unternehmen, das auf diese Weise seine Gewinne aufbläst, lebt aber aus der Substanz.

Am neuen Bahn-Chef will die Politik nun ein Exempel statuieren: Entweder dieVerspätungenverschwinden oder der neue Chef, so Scheuers markante Botschaft. Doch während die Bundesregierung Rentenpakete schnürt, deren Kosten sich auf atemberaubende zwölfstellige Summen auftürmen, während sie viel Geld für Gute-Kita- und Starke-Familien-Gesetze ausgibt, ist von einem Pünktliche-Bahn-Gesetz ebenso wenig zu sehen wie von einem Schnelles-Internet-Gesetz oder einem Gute-Schüler-Gesetz.

Im Geldausgeben sind die wechselnden Regierungen seit Jahrzehnten stark, während die Frage, was das Land braucht, um mit Technologie-Schwergewichten wie den USA und China oder mit aufstrebenden Schwellenländern mitzuhalten, immer weiter nach hinten verschoben wurde. Mittlerweile bringen Züge aus Deutschland die Fahrpläne in Österreich und der Schweiz durcheinander; und auch die Internet-In­frastruktur oder die Pisa-Schülerleistungen werden den hohen Ansprüchen nicht gerecht, die Deutschland mit dem Ausbau des Sozialstaats an sich selbst stellt.

Ginge die Misere des Unternehmens wirklich vor allem auf dessen Führung zurück, müsste Scheuer den Bahn-Chef sofort entlassen. Doch das unterlässt er bisher tunlichst. Denn wen könnte er dann noch als Prellbock einsetzen?https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.viraler-hit-verspaetungsschal-fuer-7550-euro-versteigert.ae5f45b6-6951-400c-abc4-2f95c734a228.htmlhttps://www.stuttgarter-nachrichten.de/thema/Deutsche_Bahn

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de

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Erstellt:
16. Januar 2019, 03:14 Uhr

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