Wohnungsmarkt

Ein Pulverfass, dessen Lunte brennt

Die Brisanz der Wohnungskrise in Deutschland wird noch immer unterschätzt, denn es trifft längst auch die Mittelschicht. Der Frust ist schon jetzt groß. Die Politik muss dafür sorgen, dass er nicht zu Wut wird, meint Hauptstadtkorrespondent Tobias Heimbach.

In vielen Großstädten kommen auf eine Wohnung häufig Hunderte Interessenten.

© dpa/Oliver Berg

In vielen Großstädten kommen auf eine Wohnung häufig Hunderte Interessenten.

Von Tobias Heimbach

Das soziale Drama unserer Zeit lässt sich in Zahlen ausdrücken: Mehr als 300 Anfragen gibt es durchschnittlich für eine Zwei-Zimmer-Mietwohnung in den acht größten Metropolen in Deutschland – allein am ersten Tag. Das verriet kürzlich die Chefin einer Immobilienplattform. Die Rechnung dahinter ist einfach: Nur einer kann die Zusage bekommen, 299 gehen leer aus.

Es zeigt einmal mehr, wie dramatisch die Lage am Wohnungsmarkt ist – und wie wenig passiert ist. 400.000 Wohnungen pro Jahr versprach Olaf Scholz (SPD) im Wahlkampf 2021, konnte aber nicht liefern. Eigentum ist vielerorts unerschwinglich, nun droht auch noch die Mietpreisbremse auszulaufen. All das sorgt dafür, dass Wohnen für wirtschaftliche Ängste sorgt, bis weit in die Mittelschicht hinein. Die Lage am Wohnungsmarkt gleich längst einem Pulverfass, dessen Lunte brennt.

Deutschlands Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren gewachsen, der Wohnraum konnte nicht Schritt halten. In vielen Großstädten beklagen Wirtschaftsvertreter, dass sie nicht ausreichend Fachkräfte bekommen, weil die keine Wohnung finden.

Mancher mag einwenden, es kann eben nicht jeder in einer Großstadt oder Umgebung wohnen. Doch dort sind nun einmal viele attraktive Arbeitsplätze. Zudem ist es längst nicht nur ein Phänomen der Metropolen. Universitätsstädte und in wirtschaftlich starken Regionen auf dem Land besteht das Problem ebenfalls. Selbst im ländlichen Raum ist das Suchvolumen bei Mietwohnungen in den vergangenen zwei Jahre um 30 Prozent gestiegen, berichten Branchenkenner.

Eigentum zur Selbstnutzung können sich Familien selbst mit überdurchschnittlichen Gehältern vielerorts nicht mehr leisten. Doch wer als Rentner noch Mieten muss, bei dem steigt das Risiko von Altersarmut.

All das gärt zu einer toxischen Mischung. Denn die Lage am Wohnungsmarkt hat reale Auswirkungen. Familien entscheiden sich gegen weitere Kinder, weil sie keine größere Wohnung finden oder diese nicht bezahlbar wäre. Wer einen hohen Anteil seines Einkommens fürs Mieten ausgeben muss, kann sich weniger leisten, weniger für das Alter oder irgendwann für eine eigene Immobilie ansparen. Rund dreiviertel der Menschen haben Angst, ihre Wohnung zu verlieren, ergab eine ältere Umfrage. Die Zahl der Wohnungslosen ist in den vergangenen Jahren gestiegen.

Besonders stark betroffen sind junge Menschen. Laut einer Jugendstudie machen sich 54 Prozent der 14- bis 29-Jährigen Sorgen um „teuren und knappen Wohnraum“. Größere Sorgen sind nur Inflation und der Krieg in Europa. Bei vergangenen Wahlen war die AfD bei den jungen Menschen bereits die stärkste Partei.

Was also tun? Es gibt keine einfachen Lösungen, sondern viele kleine Räder, die ineinandergreifen müssen. Bauen muss einfacher, schneller und damit günstiger werden. Vorschriften zum Klimaschutz müssen pragmatischer ausgelegt werden. Der Staat muss Genossenschaften massiv fördern und den sozialen Wohnungsbau.

Doch wenn all das nichts bringt, wird der Ruf nach radikalen Lösungen lauter werden. Schon heute ist der Frust groß, die Politik muss aufpassen, dass sie nicht zu Wut wird. Das Potenzial ist längst da. In Berlin sprach sich die Mehrheit der Menschen 2021 in einer Volksbefragung für eine Enteignung großer Wohnungsunternehmen aus. Viele Parteien ziehen in den Bundestagswahlkampf wollen einen radikalen Mietendeckel. Der Deutsche Gewerkschaftsbund nannte das Wohnungsproblem mit Recht „demokratiegefährdend“. Die nächste Bundesregierung muss dringend handeln. Die Lunte brennt.

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Erstellt:
29. Dezember 2024, 18:16 Uhr

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