Einblicke in die Oldtimer-Werkstatt von Mercedes

Besitzer historischer Edelkarossen mit Stern konnten bei der Retro Classics den Könnern des Handwerks über die Schultern schauen.

Die  Rohkarosserie des Mercedes 300 SL W19 war einer der Höhepunkte der Retro Classics.

© Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttg/Andreas Rosar/Fotoagentur-Stuttgart

Die Rohkarosserie des Mercedes 300 SL W19 war einer der Höhepunkte der Retro Classics.

Von Torsten Schöll

Stuttgart - Die Massen zieht es auf der Retro Classics zu den vielen Ikonen der Automobilgeschichte, die die Oldtimer-Messe in Stuttgart jedes Jahr präsentiert. Wer selbst eine historische Edelkarosse sein Eigen nennt, streift aber oft aus ganz anderen Gründen durch die Messehallen. Für Besitzer klassischer Fahrzeuge können Einblicke in die Arbeit professioneller Oldtimer-Werkstätten Gold wert sein.

Für Fahrer von Klassikern mit Stern ist Halle 1 an diesem Wochenende die erste Anlaufstelle. Es ist eine durchaus anspruchsvolle und manchmal vermutlich auch gut betuchte Klientel, die sich am Stand der Mercedes-Benz Heritage GmbH einfindet. Hier kann mit den Fachleuten des Mercedes-Benz Classic Centers über Ölpumpen, Getriebewellen oder Zahnradlagerungen intensiv gefachsimpelt werden.

Dass an dem Stand echte Könner des Handwerks anzutreffen sind, symbolisiert für jeden gut sichtbar eine silberglänzende Rohkarosserie. Der Mercedes, zu der die Hülle gehört, ist ein 300 SL W198, Baujahr 1955. Auch Flügeltürer genannt. Ein Fahrzeug, das das Herz jedes Oldtimer-Fans höherschlagen lässt.

Thomas Armbrecht, Leiter der Werkstatt des Mercedes-Benz Classic Centers in Fellbach, erklärt, dass dieses Fahrzeug bereits verkauft worden sei und aktuell für den Kunden von Grund auf restauriert werde. Abgesehen davon, dass man sich ein solches Fahrzeug erst einmal leisten können müsste, ist es also nicht mehr zu haben.

„Bei der Wiederherstellung des Fahrzeugs handelt sich um eine sogenannte Frame-off-Restaurierung“, so der Experte. Soll heißen: Bei dieser Rundumerneuerung wird die Karosserie vom Rahmen separiert und alle anderen Teile des Autos, wie Motor und Getriebe sowie die komplette Innenausstattung parallel durch die jeweiligen Gewerke bearbeitet. Kurzum: Der Mercedes wird in alle seine Bestandteile zerlegt und von Grund auf neu zusammengebaut.

„Die Radlaufkanten waren weggerostet“, beschreibt Marvin Kappich, Karosseriebauer des Classic Centers einen kleinen Teil der Schäden. „Die mussten alle neu eingeschweißt und verzinnt werden. Außerdem wurden die Türen neu laminiert.“ In einem nächsten Schritt werde die Hülle angeschliffen, bevor sie lackiert werden könne.

„Wenn alles gemacht ist, wird sich das Fahrzeug nahezu im Neuzustand befinden“, sagt Armbrecht. Was das gute Stück inklusive der am Ende rund ein bis eineinhalb Jahre dauernden Prozedur in der Werkstatt kostet, will das Mercedes Benz Classic Center nicht verraten. Nur so viel: Je nach Zustand schlagen Exemplare dieses Modells am Markt mit 1,5 bis zwei Millionen Euro zu Buche.

Gleich nebenan am Stand liegen zur Anschauung auf einer Werkbank eine ganze Palette an Einzelteilen: Jede Menge Zahnräder, Distanzscheiben, Wellen. Es ist das zerlegte Getriebe eines Flügeltürers, diesmal Baujahr 1956. „Wir wollten hier die Besonderheiten des Getriebes gegenüber anderen Modellen darstellen“, erklärt Bernd Fritz, Gewerkeleiter für die mechanische Instandsetzung in der Classic Center-Werkstatt einigen Zuhörern. „Die Anlaufstücke im Getriebe sind aus Hartmetall, das gibt es nur beim SL,“ beschreibt er die Besonderheiten.

Der Grund für diese sehr solide Bauweise: Durch die hohen Kräfte, die auf das Getriebe wirken, könnten sich ohne diese Abstützung die Zahnräder verschieben. Wer als Oldtimer-Besitzer plant, ein solches Getriebe selbst zu reparieren, müsste neben jeder Menge Know-how einige Spezialwerkzeuge besitzen.

Ein älterer Besucher aus Ditzingen, der derzeit eine sogenannte Heckflosse aus den 1960er-Jahren fährt, hat bereits selbst, wie er erzählt, ein ähnliches Getriebe zerlegt und wieder zusammengesetzt. „Den beschädigten Deckel habe ich aber einfach getauscht“, sagt er. Der 200er Diesel mit 55 PS, bekannt auch unter dem liebevollen Namen „Wanderdüne“, sei zwei Jahre lang ohne Öl gefahren. „Das ging gut im normalen Stadt- und Landstraßenverkehr“, schmunzelt er. An einem Alpenpass sei dann aber Schluss gewesen.

Auch die Arbeit der eigenen Sattlerei hat das Mercedes-Benz Classic Center am Stand in Halle 1 vorgeführt. Auf der Werkbank stehen zwei Sitze aus einer E-Klasse S124, Baujahr 1994. „Das Problem hier: „Die Federleistung hat im Laufe der Jahre nachgelassen, die Sitzflächen sind eingesunken“, erklärt Werkstattleiter Armbrecht. Zusätzlich müsse bei dem Fahrzeug die Sitzheizung instandgesetzt werden. Bis zum Messeende, so der Plan, soll die komplette Innenausstattung repariert und gereinigt sein.

Für seine Klassiker hält Mercedes auch eine weltweit agierende Ersatzteileabteilung vor. Dessen Leiter Thomas Euchner betont, dass sie für insgesamt 57 Baureihen zuständig seien. „Wir versorgen alle Fahrzeuge, die älter als 15 Jahre sind, bis ins Jahr 1886 zurück“, erklärt er. „Unser Anspruch ist, dass wir nur Teile auf den Markt bringen, die zu hundert Prozent den ursprünglichen Maßgaben entsprechen.“ In Zahlen heißt das: Allein im Zentrallager in Germersheim liegen knapp 2,2 Millionen durchnummerierte Ersatzteile, die die klassischen Fahrzeuge von Mercedes-Benz am Laufen halten sollen.

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Erstellt:
2. März 2025, 22:12 Uhr
Aktualisiert:
2. März 2025, 23:56 Uhr

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