Eine Ausnahmeerscheinung in der Eliteliga
Erfolgreich in der Fremde (3): Ex-TSG-Fußballer Keven Schlotterbeck hat ohne Nachwuchsleistungszentrum seinen Weg gemacht
Es hört sich nicht so an, als würde Keven Schlotterbeck in Berlin etwas fehlen. Wenn überhaupt, dann die gewohnten Maultaschen mit Kartoffelsalat. „Die sind hier nicht so angesagt“, erzählt der aus dem Remstal stammende 22-Jährige schmunzelnd. Das Problem ist allerdings eher zweitrangig. Viel wichtiger ist dem ehemaligen TSG-Fußballer, dass er beim Erst-Bundesligisten Union Berlin möglichst oft auf dem Platz steht.
Von Uwe Flegel
„Jeder kleine Junge möchte Fußballprofi werden. Dass ich das so spät und mit meiner Ausbildung noch schaffe, das ist geil.“ Eine Feststellung, die unterstreicht, dass Keven Schlotterbeck ist in der deutschen Eliteliga eine Ausnahmeerscheinung. Er ist nicht in einem Nachwuchsleistungszentrum eines Erst-, Zweit- oder Drittligisten groß geworden. TSG Backnang, VfL Kirchheim und noch einmal zwei Jahre TSG Backnang hießen seine Stationen ab der B-Jugend. Der Remstäler kickte immer ein, zwei Klassen tiefer als der Bundesliganachwuchs. Dort aber ragte er nicht nur mit seinen 1,89 Metern heraus. In Kirchheim zum Beispiel war er als Spieler des jüngeren A-Jugend-Jahrgangs bereits Kapitän des Verbandsstaffel-Teams, obwohl er gerader erst neu aus Backnang gekommen war. Sein Talent war also durchaus zu sehen. Für die vielen Scouts der großen Klubs der Republik war er aber offenbar nicht gut genug. Vielleicht sein Glück, sagt er heute doch: „Mein Weg war richtig und ich würde in wieder so gehen.“
Frühzeitiger Wechsel in den Aktivenbereich war ein wichtiger und richtiger Schritt
Zu diesem Weg zählte auch, dass er im zweiten A-Jugend-Jahr wieder zurück nach Backnang ging, um dort schon als 18-Jähriger in der Männer-Verbandsliga Stammspieler zu werden. „Der Schritt war für meine Entwicklung wichtig“, sagt Keven Schlotterbeck viereinhalb Jahre später zur damaligen Entscheidung, auf die letzte Saison im Juniorenbereich zu verzichten. Das sei von Vorteil gewesen, da er sich dadurch früh an die höhere Schnelligkeit und größere Zweikampfstärke im Aktivenbereich anpassen konnte. Schlotterbeck ist deshalb seinen damaligen TSG-Trainern Markus Lang und Darko Milosevic dankbar: „Sie haben mir ihr Vertrauen geschenkt.“ Und: Sie hatten sein Potenzial auf der linken Seite der Innenverteidigung erkannt. „Mein Riesenvorteil war und ist mein linker Fuß“, sagt der 22-Jährige, der dank seiner Schusskraft, seiner Technik und seiner Kopfballstärke sofort einen Stammplatz in der Backnanger Elf hatte.
Nicht ganz zweieinhalb Jahre und 14 Bundesligaspiele später kämpft er nun in Berlin darum, regelmäßig zur Anfangsformation zu zählen. In fünf der bisherigen acht Begegnungen hat es geklappt. Einmal saß er 90 Minuten auf der Bank, bei zwei Partien war er aufgrund einer Roten Karte gegen Augsburg gesperrt. Eine ordentliche Bilanz, in der zuletzt ein kleiner Makel beseitigt wurde. Das 2:0 des Neulings über den SC Freiburg war für den Abwehrmann von Köpenick nicht so wichtig, weil er vom Sport-Club an Berlin ausgeliehen ist, sondern weil es sein erster Sieg als Bundesligaspieler war. Es war wohl nicht der letzte, denn sein Vertrag im Breisgau läuft bis 2022.
Derzeit ist der Defensivspezialist allerdings für Union Berlin am Ball. Beim Aufsteiger hofft er, sich in Deutschlands Eliteliga etablieren zu können, ehe der Leihvertrag im Sommer endet und es für ihn wahrscheinlich von der Bundeshauptstadt wieder zurück nach Baden geht. Noch ist das für den Schwaben Zukunftsmusik, gilt sein Denken doch nur einem: „Ich gebe 100 Prozent für Union.“ Ein Satz, der ihm leicht über die Lippen kommt. Vielleicht auch wegen der dortigen Fans. Schlotterbeck schwärmt: „Freiburg fand ich ja schon extrem klasse, aber das, was hier abgeht, dass ist einfach noch einmal einen Tick krasser, das ist eigentlich fast unglaublich.“
Überhaupt fühlt er sich beim Neuling aus Berlin gut aufgehoben. Auch weil er nicht nur viel Spielzeit bekommt, sondern weil es offensichtlich auch menschlich passt. Über Routinier Neven Subotic zum Beispiel sagt er: „Er ist kein normaler Kollege. Er ist zwar auch ein Konkurrent, doch er hilft seinen Mitspielern. Er hilft uns Jungen, besser zu werden.“ Unterstützung bekommt Keven Schlotterbeck aber nicht nur von Subotic. Mit dem Esslinger Grischa Prömel und dem aus dem Neuffener Täle stammenden Ex-VfB-Kapitän Christian Gentner bildet Schlotterbeck bei Union sogar eine eiserne Schwaben-Connection. Eine, die weiß, wie gut Maultaschen mit Kartoffelsalat schmecken, obwohl die in Berlin noch keinen richtigen Kultstatus genießen.
Mit der Serie stellen wir Sportler vor, die bei Vereinen aus der Region als Kinder und Jugendliche am Ball waren und mittlerweile bei hochklassigen Teams erfolgreich sind.
Keven Schlotterbeck wurde am 28. April 1997 in Weinstadt geboren. Nach dem Aufstieg mit der TSG Backnang in die Oberliga wechselte er im Sommer 2017 zum SC Freiburg II in die Regionalliga.
In der U 23 der Badener wurde er sofort Stammkraft und trainierte bereits nach einem Jahr bei den Profis mit. Zwei Sprunggelenksverletzungen binnen kurzer Zeit bremsten ihn dann etwas aus. Trotzdem feierte er Anfang Februar 2019 nur wenige Kilometer entfernt vom Remstal sein Bundesligadebüt. Beim Freiburger 2:2 beim VfB Stuttgart wurde Schlotterbeck nach 38 Minuten für den verletzten Manuel Gulde eingewechselt.
Vor dieser Saison wurde Keven Schlotterbeck vom SC Freiburg an Aufsteiger Union Berlin für ein Jahr ausgeliehen. Sein zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder Nico gehört weiterhin dem Freiburger Profikader an. Beide Schlotterbecks haben einen Vertrag, der bis zum 30. Juni 2022 läuft.