Eine Frau schreibt Geschichte
Durch die Vinothek ins Museum: Die Weinstadt Bönnigheim präsentiert auf ungewöhnliche Weise das Leben von Sophie La Roche
Im Bönnigheimer Schloss wurde im 18. Jahrhundert Literaturgeschichte geschrieben: Sophie La Roche vollendete dort ihren Roman, mit dem sie zur ersten Bestsellerautorin im Land wurde. Heute informiert dort eine literarische Gedenkstätte über ihr ungewöhnliches Leben.

bönnigheim Ein freundliches Gesicht lächelt den Besuchern entgegen. Das Gemälde zeigt eine hübsche junge Frau, in der Hand hält sie eine Zeichnung. Ihr weit wichtigeres Talent zeigt das Bild allerdings nicht: Sophie La Roche gilt als erste Bestsellerautorin Deutschlands. Ihr Werk „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“, ein Roman in Briefform, fand viele Leser. Begeistert nahmen sie Anteil am Leben der Sophie von Sternheim, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahm. Damit begründete Sophie La Roche 1771 eine ganz neue Gattung: den Frauenroman.
Vollendet hat sie ihn in Bönnigheim, wo sich heute ein literarisches Museum ihrem Leben und Werk widmet. In der von Reben umgebenen Stadt, die auf eine über 1000-jährige Weinbautradition blickt, führt der Weg ins Museum durch die Vinothek. Beides ist im ehemaligen Forsthaus untergebracht, das dem barocken Schloss direkt gegenüberliegt, in dem Sophie La Roche damals lebte und an ihrem Werk schrieb.
Nicht nur das Leben ihrer Protagonistin Sophie von Sternheim, auch ihr eigenes verlief ereignisreich, wie im Museum zu erfahren ist. 1730 kommt Marie Sophie Gutermann von Gutershofen als Tochter eines Arztes in Kaufbeuren zur Welt und wächst in einem pietistischen Haushalt auf. Sie ist begabt, lernt mit drei Jahren lesen und bekommt eine ausgezeichnete Bildung. Als 17-Jährige verlobt sie sich mit Giovanni Ludovico Bianconi, dem italienischen Leibarzt des Augsburger Bischofs. Er ist ihre große Liebe, aber weil er Katholik ist und schon weiß, dass er später die gemeinsamen Kinder nicht evangelisch taufen lassen will, zwingt Sophies Vater sie, die Verlobung zu lösen und all seine Briefe und Bilder zu verbrennen.
Im Bönnigheimer Museum ist sowohl Bianconis Bild als auch das ihres Großcousins Christoph Martin Wieland zu sehen – und nachzulesen, was sie mit ihm verbindet. Sie begegnet Wieland bei einem Besuch seiner Familie in Biberach an der Riß, sie verlieben und verloben sich im Jahr 1750.
Für ihn ist sie eine Seelenverwandte, die ihn zum Schreiben bringt, und beide bleiben ihr Leben lang freundschaftlich verbunden. Als Wieland aber in der Schweiz weilt, fühlt sie sich vernachlässigt, löst die Verlobung und gibt 1753 dem Hofrat Georg Michael Franck La Roche das Jawort. Er wiederum ist Privatsekretär des Grafen Friedrich von Stadion und vermutlich auch dessen unehelicher Sohn.
Gemeinsam leben Sophie und ihr Mann am kurfürstlichen Hof in Mainz und ab 1761 in Stadions Schloss in Warthausen bei Biberach – dem Musenhof des Grafen, der dort aufgeklärte Literaten und Künstler um sich versammelt. Wieland gehört ebenso zum Kreis der regelmäßigen Gäste wie der Maler Johann Heinrich Tischbein der Ältere. Von ihm stammt auch das Gemälde von Sophie La Roche, das bis vor einigen Jahren verschollen war und derzeit als Leihgabe des Archivs der Freiherren von Richthofen im Bönnigheimer Museum hängt. Es zeigt die 24-Jährige kurz vor ihrer Hochzeit. „Das Bild hat eine besondere Magie“, schwärmt Charlotte Nerl-Steckelberg, die Kuratorin des Museums, „ihr Lächeln erinnert mich an das der Mona Lisa.“
In der anregenden Atmosphäre des Musenhofs in Warthausen beginnt Sophie La Roche ihren ersten Roman. Nach Stadions Tod folgt sie 1770 ihrem Mann nach Bönnigheim, wo er Oberamtmann wird. Im Gepäck hat sie ihren Schreibtisch, der sie überall hin begleitet und für sie auch ein Symbol ihrer Eigenständigkeit ist, wie Charlotte Nerl-Steckelberg erklärt. Das Original ist zwar nicht mehr erhalten, aber im Bönnigheimer Museum steht ein restaurierter Tisch aus dem 18. Jahrhundert, der auf ihre Beschreibung passt.
Ihr Mann ist viel auf Reisen, und die Kinder – von ihren acht erreichen fünf das Erwachsenenalter – besuchen Internate. Eine einsame Zeit für Sophie, die das anregende Leben in Warthausen gewohnt ist. Johann Jakob Brechter, ein Freund der Familie und Diakon in Schwaigern, ermuntert sie zum Schreiben und so vollendet die nunmehr 40-Jährige in Bönnigheim ihren Roman, die „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“. Christoph Martin Wieland, inzwischen ein bekannter Dichter, gibt das Werk heraus – zunächst anonym, weil eine Frau als Autorin undenkbar war.
Als der Roman erscheint, hat Sophie La Roche Bönnigheim schon den Rücken gekehrt. Ihr Buch hat Erfolg und macht sie zu einer bekannten und beliebten Schriftstellerin – eine unglaubliche Leistung in einer Zeit, in der man Frauen jegliche literarische Fähigkeiten absprach. Als ihr Mann, der inzwischen in den Adelsstand erhoben war, 1780 durch politische Intrigen sein Amt verliert, ernährt sie mit ihren Honoraren die Familie. Später gründete sie die erste überregionale Frauenzeitschrift und veröffentlicht zahlreiche Reiseberichte.
Sie lebt in Koblenz und Trier und pflegt Kontakte zu einigen Dichtern, darunter auch zu Goethe, der sich in ihre Tochter Maximiliane verliebt. Die wiederum heiratet den Kaufmann Pietro Antonio Brentano und zwei von Maximilianes Kindern – Bettina von Arnim und Clemens Brentano – treten dann in die Fußstapfen der berühmten Großmutter.
Doch das erlebt Sophie nicht mehr: Mit 76 Jahren stirbt sie in Offenbach. In Bönnigheim hält man die Erinnerung an sie wach. Auch in der Vinothek, durch die die Besucher das Museum wieder verlassen: Unter den Flaschen der örtlichen Winzer prangt auf einer ein Sophie-La-Roche-Etikett. Sie ist gefüllt mit einer roten Cuvée, im Barrique ausgebaut – wie man einer Dichterin in einer Weinstadt eben huldigt.