Europapolitik
Eine Piazza voller Menschen für die Werte Europas
In der italienischen Hauptstadt Rom kamen rund 50 000 Menschen zusammen, um für Demokratie, Sozialstaat und Bildung zu demonstrieren.

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Alessandro (30) und Gaia (24) auf der Demonstration für europäische Werte in Rom.
Von Almut Siefert
Lucia Covi läuft mit ihrer Bekannten schnellen Schrittes auf die Piazza del Popolo, den Platz des Volkes, zu. Um ihre Schultern trägt die 76-Jährige die Europaflagge wie eine Superheldin ihr Cape. „Wir gehen zu der Demonstration, weil Europa die einzige Lösung ist, die Werte des Westens zu verteidigen“, sagt sie. Demokratie, Sozialstaat, Bildung – das alles sei aktuell in Gefahr. „Wenn nicht wir Bürger was tun, wer denn? Die Regierungen machen es nicht.“
Wie Lucia Covi sind an diesem Samstagnachmittag rund 50 000 Menschen auf den Platz mitten in Rom gekommen. Angemeldet hat diese Demonstration ein Zusammenschluss von Bürgermeistern italienischer Großstädte – mit unterschiedlicher Parteizugehörigkeit. Es geht nicht um rechts oder links, nicht um bestimmte Interessen, nicht um das Klein-Klein der aktuellen Politik. Im Fokus steht nichts geringeres als: das große Ganze.
Deshalb lautete die Ansage auch, es solle nur eine Flagge zu sehen sein soll: Die blaue mit dem Ring aus gelben Sternen. Geboren ist die Idee aus einem Artikel in der italienischen Tageszeitung „la Repubblica“. Am 28. Februar schrieb der Journalist Michele Serra auf der Meinungsseite: „Die Welt verändert sich in unvorhergesehener Schnelligkeit.“ Die Folge: Weit verbreitete Orientierungslosigkeit und Angst, das Gefühl, zwischen Putin und Trump zermahlen zu werden. „Ich frage mich, warum man nicht eine große Demonstration der Bürger für Europa organisiert, für dessen Einheit und Freiheit. Keine politischen Fahnen, nur die europäische“, schreibt Serra weiter.
Dass aus diesem Gedanken rund zwei Wochen später Realität wurde, sich 50 000 in Rom versammeln, dürfte auch der rasanten Entwicklung der letzten Tage geschuldet sein. Der Tag, an dem der Artikel von Michele Serra erscheint, ist jener, an dem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von Donald Trump aus dem Weißen Haus geworfen wird. In der Folge melden sich täglich immer wieder Personen des öffentlichen Lebens zu Wort und kündigen ihre Teilnahme oder Unterstützung an – zuletzt auch der 90-jährige Designer Giorgio Armani.
Es geht um Grundwerte, um die Idee von Freiheit und Frieden
Viele bekannte Köpfe aus Kultur und Zivilgesellschaft sind am Samstag dabei, treten zu den Bürgermeistern und Serra auf die Bühne, unter anderen die Holocaust-Überlebende und Senatorin auf Lebenszeit Liliana Segre, der Architekt Renzo Piano, Sänger Jovanotti, oder die Autoren Dacia Maraini, Antonio Scurati. Auch aus dem Ausland kommen Beiträge, wie von den Schriftsteller Jan Brokken (Niederlande) und Daniel Pennac (Frankreich). Auch in ihren Beiträgen geht es wie in jenem von Roms Bürgermeister Roberto Gualtieri um Grundwerte, um die Idee von Freiheit und Frieden.
Klar wird an diesem Samstag aber auch: Die Politik kann nicht ausgeblendet werden. So gibt es neben den europäischen Flaggen und den Friedensfahnen in Regenbogenfarben auch vereinzelt jene der Ukraine. Manche Teilnehmer halten auch Plakate hoch, auf denen „No ReArm EU“, geschrieben steht – „Nein“ zum gerade in Straßburg beschlossenen Aufrüstungsprogramm von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Auch in den vergangenen Tagen war die Positionierung der politischen Lager Thema. Giuseppe Conte, Ex-Premier und Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, monierte, für Europa zu demonstrieren heiße aktuell eben auch, die Aufrüstung zu unterstützen. Die Fünf-Sterne hatten in Straßburg gegen den Plan gestimmt – und blieben der Demo am Samstag in Rom fern.
Unpolitisch und fern von jeglicher Couleur war das Ganze ohnehin nie. Einen Tag nach dem Appell von Serra erschien in der „Repubblica“ prominent platziert ein etwa doppelt so langer Unterstützer-Text von Elly Schlein, der Chefin der sozialdemokratischen PD. Bürgermeister Gualtieri ist ihr Parteikollege.
Man treffe sich als „Europäer auf der Suche nach Europa“
Es gehe nicht drum, dass alle auf der Piazza einer Meinung sind, betont Journalist Serra. Man treffe sich als „Europäer auf der Suche nach Europa“. Und, so fügt er hinzu: „Vielleicht fühlt man sich auch einfach mit seinen Ängsten und Sorgen nicht mehr so alleine.“ Für Alessandro und Gaia war sofort nach Erscheinen des Artikels klar: Da sind wir dabei. „Wir haben doch alle gesehen, wozu Putin in der Lage ist“, sagt der 30-Jährige. „Der Angriffskrieg gegen die Ukraine könnte nur ein erster Schritt gewesen sein. Es ist wichtig, sich so gut es geht zu vereinen, zusammenzustehen, um da dagegen zu halten.“
Auch er hält eine Flagge der EU in der Hand. „Ja, die habe ich mir extra für heute besorgt. Es geht nicht darum, ob du links oder rechts stehst. Es ist eine Bewegung des Volkes. Das wichtige heute ist, dass wir alle Europäer sind.“