Eine wegweisendeSaddsong
Täglich neu: Landestypisches für Einheimische und Reigschmeckte
Der Schwaben-Kenner und Ex-Porsche-Sprecher Anton Hunger hat jüngst in Reutlingen die Verdienste der Mundartgesellschaft Württemberg anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens gewürdigt. Wir veröffentlichen Auszüge aus seinem Festvortrag:
„Gegründet wurde die Mundartgesellschaft Württemberg nicht etwa in einem Hinterzimmer einer Spelunke, sondern – ganz royal – in einem ,Spiegelzimmer‘ – im Spiegelzimmer nämlich des Café Ernst am Leonhardsplatz in Reutlingen. Und der Überlieferung nach kamen die Damen und Herren Gründungsmitglieder nicht etwa im feinen Maß-Zwirn, sondern dort, wo es die körperlichen Ausdehnungen noch zuließen, im wiederverwendeten Konfirmandenanzügle beziehungsweise im inzwischen mehrfach umgearbeiteten Gesellschaftskleid. Schwäbisch halt.
Da saßen sie nun, die 18 Männer und Frauen, mit ernster Miene und entschlossenem Vorsatz, am 17. Dezember 1978 bei Trollinger und Brezeln am Tisch von Wilhelm König, der schon einiges vorgearbeitet hatte, und formulierten die Satzung für den neu zu gründenden Verein. ‚Was in anderen Dialektgebieten längst zum festen Bestandteil des kulturellen Lebens gehört, nämlich Vereine zur Förderung der Mundart, das wollen wir nun auch in Württemberg schaffen‘, schrieb Wilhelm König in die Einladung. Sitz der Gesellschaft sollte Reutlingen sein, das sich durch die ‚Reutlinger Mundartwochen‘ geradezu aufdränge. Und allen Zweiflern über die Sinnhaftigkeit des Vorhabens schrieb Wilhelm König ins Stammbuch: ‚Unterstützung der Mundart heißt nicht nur Unterstützung einer regionalen Kultur, sondern der Kultur überhaupt.‘
Was dann in die Satzung Eingang gefunden hatte, war schon die erste Kulturleistung: Pflege und Verbreitung der schwäbischen und anderer Mundarten in Württemberg. Die Erweiterung des Portfolios diente einerseits der Stammesverständigung, es war aber auch Ausdruck des Dankes an die Pioniere der organisierten Mundartfreunde. Schließlich waren die Bayern um Friedel Brehm Vorbild für den zu gründenden Verein. Aus diesem Verständnis heraus fordert die Satzung, gleichgesinnte Organisationen zu unterstützen sowie Preise und Stipendien für Mundart-Autoren zu vergeben. Das ist in etwa der Kern dessen, was den Geist der Satzung ausmacht: Völkerverständigung im Kleinen.
Die Satzung wurde auf Schwäbisch verfasst mit der chinesisch anmutenden Überschrift ,Saddsong‘. Niemand der Beteiligten glaubte so recht, dass eine im Dialekt formulierte ,Saddsong‘ die in aller Regel etwas sturen Beamten durchgehen lassen würden. Aber mitnichten. Der Amtsrat beim Amtsgericht Reutlingen war nämlich ein gewisser Ewald Kächele aus Hülben, der damit nicht das geringste Problem hatte. Er hatte alles verstanden und erteilte am 5. März 1979 dem neuen Kulturverein seinen Segen (. . .)
Einen Meilenstein setzte die Mundart-Gesellschaft mit der Zeitschrift ‚schwädds‘, die seit November 1980 erscheint und aus der Mundart-Szene nicht mehr wegzudenken ist. Ein weiterer Meilenstein ist das Zentrale Württembergische Mundartarchiv, das 1999 in Bad Schussenried eine Heimat fand und in dessen Bibliothek über 7000 Werke zu allen deutschen Dialekten archiviert sind. Die Friedrich-E.-Vogt-Medaille für Verdienste um die schwäbische Mundart, ebenfalls eine Kreation der Mundart-Gesellschaft, wird seit 30 Jahren unter großer Beachtung der Öffentlichkeit verliehen.
Im Jubiläumsjahr ist für die Mundart-Gesellschaft jedenfalls eines klar: Die Förderung der Dialekte ist ausbaufähig, was ja inzwischen auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann gemerkt hat. Sie wünscht sich deshalb den Aufbau von Foren, von Lesereihen und widmet sich verstärkt der Verständigung über die eigenen Sprachgrenzen hinaus. Bayern und Schwaben beispielsweise ähneln sich ja mehr, als man gemeinhin glaubt, jedenfalls auf der Ebene der Stereotypen und Klischees. Und was dem einen sein ‚Grantler‘, ist dem anderen sein ‚Bruddler‘. Das verstehen beide Volksgruppen.“ Der schwäbische Spruch des Wochenendes kommt von Christa Dietz aus Mühlacker: „Hier ein Spruch meines Großvaters, der als ,dr Aguscht-Vedder‘ bekannt war: „Wer annere net traut, steckt selber ennera schlechda Haut!“ (jan)