Mehr Erste Hilfe Kurse
Einfacher zum Lebensretter werden
Jährlich brechen 70 000 Menschen leblos zusammen. Ein Großteil könnte gerettet werden, wenn sofort Erste Hilfe geleistet werden würde. Doch noch scheuen sich zu viele Bundesbürger vor der Wiederbelebung eines Menschen im Notfall. Das wollen zwei große Organisationen nun ändern.
Von Regine Warth
Viermal ist Lisas Herz schon stehen geblieben. Zuletzt im Alter von 16 Jahren, als sie nach der Schule zum Bus gesprintet ist. Da wurde ihr schwindelig und sie fiel an der Haltestelle um. Eine Freundin, die kurz zuvor einen Erste-Hilfe-Kurs besucht hatte, erkannte den lebensgefährlichen Zustand und fing ohne Zögern mit der Wiederbelebung an – bis der Notarzt eingetroffen ist. „Sie hat mir mit der Herzdruckmassage das Leben gerettet“, so Lisa.
Die 30-Jährige ist eine von 70 000 Bundesbürgern pro Jahr, die einen Herzstillstand erleiden. Nur die wenigsten überleben ihn – häufig, weil es an rechtzeitiger Hilfe fehlt, sagt Thomas Voigtländer, Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Der Statistik nach gelingt es lediglich bei fünf bis zehn Prozent, das Herz wieder zum Schlagen zu bringen – so wie bei Lisa oder dem dänischen Fußball-Nationalspieler Christian Eriksen, der im Jahr 2021 mitten in einem Fußballturnier einen Herztod erlitten hat. „Ich habe viel Glück gehabt, dass um mich herum stets Menschen waren, die sich mit Wiederbelebung ausgekannt haben“, sagt auch Lisa.
Nur bei jedem Zweiten wird Erste Hilfe geleistet
Potenzielle Lebensretter sind in Deutschland spärlich gesät: Während in skandinavischen Ländern wie Norwegen die Laien-Reanimationsrate bei 80 Prozent liegt, erreicht die Quote hierzulande knapp 51 Prozent. Das bedeutet, dass nur bei jedem Zweiten, der einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten hat, mit der Wiederbelebung begonnen wird.
Das dies zu wenig ist, darin sind sich nicht nur die Experten der Herzstiftung einig, sondern auch die der Björn-Steiger-Stiftung mit Sitz in Winnenden, Baden-Württemberg, die sich um Verbesserung der Notfallhilfe und des Rettungsdiensts kümmert. Weshalb die beiden Organisationen beschlossen haben, gemeinsam in großen Aktionen mit dem Motto „Herzsicher – Gemeinsam Leben retten“ nicht nur über das Auftreten von einem plötzlichen Herztod aufzuklären, sondern auch die Todesrate zu senken.
Viele haben Angst, etwas falsch zu machen
„Wir müssen Deutschland dringend fit für die Wiederbelebung machen“, sagt Thomas Voigtländer nach der Unterzeichnung des Kooperationsvertrags. Die Bereitschaft zu helfen sei da, doch oft hemmen Nicht-Wissen und die Angst, etwas falsch zu machen, die Menschen davor, Erste Hilfe zu leisten. „Dabei ist Nichtstun angesichts eines Notfalls der einzige Fehler, der gemacht werden kann“, sagt Voigtländer.
Doch es müssen auch politische Hürden überwunden werden. Noch immer werde zu wenig investiert, sagt Voigtländer. „Die Politik gibt für Schulungen und Informationskampagnen kaum Geld aus.“ Wichtig sei es auch, das Thema Wiederbelebung nicht zur Führerscheinprüfung einzuführen, sondern schon im Schulalter: „Kinder sind im Alter von zehn, zwölf Jahren in der Lage, die wichtigsten Schritte der Reanimation auszuführen“, sagt Pierre-Enric Steiger. „Dann würde sich das Wissen auch besser festsetzen“, so der Präsident der Björn-Steiger-Stiftung.
Jeder Schüler sollte regelmäßig Erste Hilfe unterrichtet bekommen
Ein verpflichtender Wiederbelebungsunterricht in Schulen ist daher eines der vorrangigen Ziele, die beide Stiftungen nun gemeinsam erreichen wollen. Auch Schulungen in Vereinen und Unternehmen sollen die Teilnehmer für die Wiederbelebung sensibilisieren – mittels praktischen Übungen wie der Herzdruckmassage und der Anwendung eines Laien-Defibrillators an einer Puppe. „Wir wollen erreichen, dass bei mindestens 80 Prozent aller Menschen, die einen beobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden, eine hochwertige Laien-Reanimation durchgeführt wird“, sagt Steiger. Derzeit führt die Björn-Steiger-Stiftung 3000 bis 4000 Schulungen pro Jahr durch. „In Folge dieser Kooperation wollen wir gemeinsam die Anzahl auf jährlich 75 000 Schulungen erhöhen.“ Dies organisatorisch abgedeckt zu bekommen, sei kein Problem. „Es hapert an der Annahme des Angebots“, sagt Steiger. Auch das soll die neue Zusammenarbeit verbessern.
Schon bei Jugendlichen kann das Herz stehen bleiben
Das Risiko, einen plötzlichen Herztod zu erleiden, tragen viel mehr Menschen in sich, als viele vermuten: In etwa 40 Prozent der Fälle sind die Betroffenen im Alter zwischen 15 bis 65 Jahren. Oft ist der Grund eine Erkrankung des Herzens, die von Betroffenen nicht bemerkt werden konnte oder ignoriert wurde. „Eine koronare Herzerkrankung liegt in 80 Prozent der Fälle eines plötzlichen Herztods zugrunde, es bestehen dann Verengungen und Verschlüsse der Herzkranzgefäße“, sagt Voigtländer. Auch eine Herzmuskelentzündung kann ein solches Ereignis auslösen, ebenso bestimmte Gendefekte, die bei der Reizleitung des Herzens zu Störungen führen können.
Unerkannte Herzfehler sind ein häufiges Risiko
Bei Lisa war es ein angeborener Herzfehler, der unbemerkt geblieben ist. Erst im Alter von 14 Jahren zeigte sich, dass sich aufgrund eines genetischen Defekts ihr Herzmuskel krankhaft verdickt, was zu lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen führen kann. Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie nennen Ärzte diese Erkrankung.
„Erst wurde mittels Medikamenten mein Herz stabilisiert“, sagt Lisa. Nach dem vierten Aussetzer wurde ihr ein Defibrillator implantiert, der im Notfall bei lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen einen Schock abgibt. Heute setzt sich die junge Frau im Namen der Deutschen Herzstiftung ehrenamtlich für eine flächendeckendere Ausbildung von Ersthelfern ein – und nutzt dabei vor allem Social-Media-Kanäle wie etwa Instagram. „Ich hoffe, dass viele an meinem Beispiel erkennen, wie lebensrettend Erste Hilfe sein kann – und so motiviert werden, sich schulen zu lassen.“
Drücken, bis der Notarzt kommt
HerzstillstandHört das Herz auf zu schlagen, dann wird der Mensch innerhalb von fünf bis zehn Sekunden bewusstlos. Er ist dann nicht mehr ansprechbar und atmet
WiederbelebungDie Laienreanimation erfolgt nach dem Prinzip „Prüfen, Rufen, Drücken“. Man spricht den Bewusstlosen an und schaut, ob er reagiert und ob sich sein Brustkorb gleichmäßig hebt und senkt. Ist dies nicht sicher der Fall, wird der Notruf 112 abgesetzt. Dann den Bewusstlosen in Rückenlage bringen, Brustkorb frei machen und den Druckpunkt bestimmen. Dieser liegt in der Mitte der imaginären Linie, die die beiden Brustwarzen bilden. Man beugt sich über den Bewusstlosen, legt die Hände übereinander, streckt die Arme durch – und dann Drücken-Entlasten-Drücken-Entlasten, möglichst im Takt des Bee-Gees-Hits „Stayin’ alive“, Helene
Fischers „Atemlos“ oder dem Song „Highway to Hell“ von AC/DC. Und so lange, bis der Notarzt kommt. Weitere Infos: herzstiftung.de/wiederbelebung