Debatte über hohe Kosten

Eingebaute Heizung stiehlt Tübinger Radbrücke die Show

Seit in Tübingen eine Radbrücke mit Heizung eröffnet wurde, zerreißt sich die Republik den Mund. Dabei kann das laut Experten eine durchaus schlaue Konstruktion sein.

365 Meter ist die neue Radbrücke über die Gleise lang.

©  

365 Meter ist die neue Radbrücke über die Gleise lang.

Von Judith A. Sägesser

Besonders glücklich wirkt Heike Rueß nicht über die deutschlandweite Aufmerksamkeit für die beheizte Radbrücke. Dabei geht es ihr gar nicht um die Häme, die Tübingen seit einem guten Monat medial entgegenschlägt. Zum Beispiel gab es Schlagzeilen wie: „Palmer klagt bei Lanz über Haushaltsloch – und eröffnet Radbrücke für 16 Mio. Euro“ oder „Tübingen leistet sich beheizbare Radbrücke“. Heike Rueß geht es um etwas anderes. „Ich habe den Eindruck, das Bauwerk wird nur noch an der Heizung gemessen und nicht an seiner eigentlichen Funktion“, sagt die Projektleiterin bei der Stadt.

Über 365 Meter schlängelt sich die vier Meter breite Radbrücke West nahe des Hauptbahnhofs über die Bahngleise und verbindet seit Mitte Oktober den Stadtteil Derendingen mit den Radrouten Richtung Zentrum. Diese Brücke soll noch mit einer Zählstelle ausgestattet werden, um zu wissen, wie viele Menschen hier unterwegs sind. Eine erste 24-Stunden-Messung habe 2300 Radfahrer gezählt, sagt Rueß, mit dem Wert ist sie zufrieden.

Doch im Rampenlicht steht seit der Eröffnung nicht etwa, dass es diese neue Achse jetzt gibt. Sondern dass sie beheizt ist. Die Heizung stiehlt der Brücke sozusagen die Show. Sogar auf landespolitischer Ebene ist die Diskussion angekommen. So sagte Christian Jung (FDP/DVP) unlängst: „Elektrisch beheizbare Radbrücken sind Ausdruck eines unglaublichen Anspruchsdenkens beim Radverkehr und einfach viel zu teuer.“ Zum Radfahren im Winter gehöre Glättegefahr. Dass das Land die Tübinger Radbrücke bezuschusst habe, kritisiert Jung.

Brücke war laut Stadt nicht teurer als andere Bauwerke

Folgt man der Projektleiterin Heike Rueß, so war die Brücke mit ihren Gesamtkosten von 16 Millionen Euro nicht teurer als vergleichbare Bauwerke in der Stadt. Die Heizung wiederum habe vielleicht fünf, sechs Prozent ausgemacht, sagt sie. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass sie in Tübingen eine Brücke mit Heizung ausstatten, sondern bereits das dritte Mal. Der Grund: eine verlängerte Lebensdauer, weil weniger oder gar kein Salz gestreut werden muss. Man müsse den Unterhalt beim Bau mitdenken, sagt Rueß. „Aber das interessiert die Politik nicht, da wird kein Band durchgeschnitten.“ In Einfahrten von Tiefgaragen sei das System längst gängig.

Exotisch sei es jedenfalls nicht, Gehwege oder Plätze zu beheizen, sagt Thomas Rauscher von der Materialprüfungsanstalt an der Universität Stuttgart. Er kenne das aus Österreich. So sei der Hauptplatz in seinem Heimatort seit Jahren beheizt. „Das Beheizen von Bauwerken wie Brücken bringt grundsätzlich interessante Vorteile mit sich“, sagt er. Zum Beispiel der Korrosionsschutz. „Allerdings ist Tausalz nur einer von vielen Faktoren, die die Lebensdauer eines Bauwerks beeinflussen.“ Ob eine Heizung sinnvoll sei, hänge vom Einzelfall ab. Die Tübinger Konstruktion kenne er nicht.

Wer sich nun übrigens vorstellt, dass die Heizung der Tübinger Radbrücke im Winter permanent durchbollert, liegt falsch. Die Prognose sagt: Nach Auswertung und Mittelung der Daten des Deutschen Wetterdienstes der vergangenen zehn Jahre springt die Heizung an 30 Tagen im Jahr an. Und auch dann immer nur phasenweise. Nämlich wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Es darf nicht wärmer als drei Grad sein, und die Fühler müssen eine gewisse Feuchte auf der Fahrbahn messen. Betrieben wird die Heizung mit Ökostrom der Stadtwerke Tübingen.

Zum Artikel

Erstellt:
12. Dezember 2024, 12:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen