Handel setzt auf mehr Tierwohl: Abschied vom Billigfleisch
dpa Neckarsulm. Die großen Handelsketten wollen künftig vor allem Schweinefleisch aus Mastställen anbieten, die den Tieren etwas mehr Platz bieten als gesetzlich vorgeschrieben. Tierschützern reicht das nicht.
Der deutsche Lebensmittelhandel verabschiedet sich langsam vom Billigfleisch und setzt stattdessen auf Fleisch aus zumindest etwas tiergerechterer Haltung. Die Handelskette Kaufland kündigte am Donnerstag an, „ab sofort“ kein frisches Schweinefleisch mehr anzubieten, bei dem die Tierhaltung nur die gesetzlichen Mindestanforderungen erfülle. Andere große Handelsketten kündigten bereits ähnliche Schritte an. Dem Deutschen Tierschutzbund reicht der Fortschritt allerdings nicht.
Bei Kaufland soll das verkaufte Fleisch künftig mindestens aus der Stufe 2 „Stallhaltung Plus“ stammen, die den Tieren etwas mehr Platz garantiert. Ausgenommen seien jedoch Schweinefilets, die zum Teil importiert werden. Der Discounter Lidl teile zeitgleich mit, er wolle ebenfalls bis Ende des Jahres nahezu sein gesamtes Schweinefrischfleischsortiment auf die Haltungsformstufe 2 umstellen. Kaufland und Lidl gehören zur Schwarz-Gruppe, einem der größten europäischen Lebensmittelhändler.
Die Handelskette Rewe hatte zuvor angekündigt, ihr Eigenmarkenangebot an frischem Schweinefleisch ab Juli auf die Haltungsformstufe 2 und höher umzustellen. Aktuell liege der Anteil bereits bei über 95 Prozent, sagte eine Rewe-Sprecherin. Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka berichtete, er plane „bereits kurzfristig auf die Haltungsstufe 1 und längerfristig auf die Haltungsstufe 2 bei Frischfleisch zu verzichten“.
Die Haltungsbedingungen der Schlachttiere sind ein großes Thema im Lebensmittelhandel. Die Discounter Aldi Nord und Aldi Süd hatten zuletzt für Aufsehen in der Branche gesorgt, als sie ankündigten, bis 2030 den Verkauf von Fleisch einzustellen, das in reiner Stallhaltung produziert wird, ohne dass die Tiere jemals an der Luft sind und Sonne sehen. 2025 wollen die beiden Ketten kein Fleisch mehr anbieten, bei dem die Tierhaltung nur die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt.
Um dem Verbraucher mehr Klarheit über die Haltungsbedingungen zu verschaffen, hatten Aldi und andere große Lebensmittelhändler bereits 2019 ein vierstufiges System der Haltungskennzeichnung eingeführt. Stufe 1 „Stallhaltung“ entspricht lediglich den gesetzlichen Anforderungen, in Stufe 2 „Stallhaltung Plus“ gibt es etwas mehr Platz. Mehr Raum sowie Frischluft-Kontakt haben die Tiere bei Stufe 3 „Außenklima“. Bei Stufe 4 „Premium“ haben sie außerdem Auslaufmöglichkeiten im Freien. Auch Biofleisch wird in diese Stufe eingeordnet.
Doch blieben die Auswirkungen der Initiative zunächst begrenzt. Zwar prägen beim Geflügel seit einiger Zeit Hähnchen und Puten aus der Stufe 2 „Stahlhaltung plus“ das Angebot. Beim Schweine- und Rindfleisch dominierten jedoch zunächst weiter Angebote aus der Haltungsstufe 1 die Kühlregale und Fleischtheken. Ein Grund dafür war nach Angaben des Handels die Tatsache, dass Fleisch aus höheren Haltungsstufen in der Regel teurer ist. „Die Preissensibilität der Kunden ist nach wie vor hoch“, hieß es im Handel.
Beim Deutschen Tierschutzbund hielt sich die Begeisterung über den Vorstoß der Handelsketten allerdings in engen Grenzen. Auch die Haltungsstufe 2 garantiere noch keine Standards, die aus Tierschutzsicht akzeptabel seien, sagte eine Sprecherin des Verbandes. Hierfür seien schon die Stufen 3 oder 4 nötig.
Dass jetzt dennoch beim Schweinefleisch Bewegung in den Markt kommt ist auch darauf zurückzuführen, dass ab dem zweiten Halbjahr 2021 die Haltungskennzeichnung bei Schweinefleischprodukten flächendeckend im Lebensmittelhandel zu finden sein wird. Bislang blieb die Herkunft des Fleisches für die Verbraucher oft unklar.
„Dadurch wird relativ zeitnah eine sehr große Verschiebung stattfinden“, prognostizierte Patrick Klein von der Initiative Tierwohl. „Während Anfang des Jahres rund 80 Prozent des Schweinefleisches der Stufe 1 entstammten, werde „in absehbarer Zeit“ 60 bis 70 Prozent des Angebots aus der Stufe 2 stammen und weitere 10 bis 15 Prozent aus den Stufen 3 und 4, meint der Branchenkenner.
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