Fähigkeit zu komplexer Kommunikation
Einzigartiges Sprach-Gen des Menschen entdeckt
Menschen könnten ihre einzigartige Sprachfähigkeit der Veränderung von nur einem Genbuchstabens verdanken. Diese Mutation im NOVA1-Gen kommt nur beim Homo sapiens vor und beeinflusst die Fähigkeit zu komplexen Lautäußerungen, wie DNA-Analysen und Tests zeigen.
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Die gesprochene Sprache des Menschen und seine Fähigkeit zur komplexen akustischen Kommunikation ist tatsächlich einzigartig im Tierreich.
Von Markus Brauer
Die Sprache ist neben der Schrift der wichtigste Träger von Sinnhaften und Überlieferten, der entscheidende Schlüssel zum Welt- und Selbstverständnis, zentrales Medium zwischenmenschlicher Verständigung. Ohne sie verstummt der Mensch buchstäblich, weil er seine Gedanken und Emotionen, sein Agieren, Interagieren und Reagieren nicht mitteilen kann.
„Die Sprache ist das Haus des Seins“
,,Die Grenzen meiner Sprachen bedeuten die Grenzen meiner Welt“, konstatiert der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein (1889-1951). Sprache ist die Brücke zwischen geistigem Bewusstsein und äußerer Welt. Nur durch sie kann der Mensch sein Inneres nach Außen kehren und die äußere Welt nach innen holen.
Der Philosoph Martin Heidegger (1899-1976) schreibt über die Sprache: „Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch.“ Bevor er darin wohnen kann, muss er dieses Haus allerdings erst bauen.
Sprache: Wichtigster Träger von Sinnhaften und Überlieferten
Die gesprochene Sprache des Menschen und seine Fähigkeit zur komplexen akustischen Kommunikation ist tatsächlich einzigartig im Tierreich. Kein anderes Lebewesen kann so sprechen wie der anatomisch moderne Mensch, der Homo sapiens – auch nicht unsere nächsten Verwandten.
Zwar können Schimpansen lernen, mittels Gebärdensprache oder Symboltasten zumindest Zwei- oder Drei-Wort-Sätze zu bilden. Die meisten Menschenaffen können ihre Atmung und Vokalisation nur in einem sehr begrenztem Rahmen bewusst kontrollieren.
Was macht den Homo sapiens zum sprechenden Primaten?
Wann und wie entwickelten unsere Vorfahren die Fähigkeit zur gesprochenen Sprache?
- Anatomische Vergleiche legen nahe, dass das Gehör des Neandertalers schon auf die Sprachwahrnehmung hin ausgerichtet war. Auch seine Anatomie von Rachen und Kehle war der unsrigen ähnlich. Allerdings waren die Sprachareale im Gehirn der Neandertaler noch wenig ausgeprägt.
- Ob es eine also Ursprache gegeben hat, die Quelle menschlicher Kommunikation war, ist bis heute umstritten. Forscher vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie haben herausgefunden, dass der Urmensch noch nicht über die genetischen Voraussetzungen zu einer eigenen Sprache verfügt hat.
- Der Schritt vom unverständlichen Grunzen und Raunen zum akustisch-zeichenhaft-symbolischem System der Kommunikation, das im Laufe der Zeit immer komplexer wurde, hat sich irgendwann vor 100.000 bis 200.000 vollzogen, erklären die Paläogenetiker. Der Neandertaler hatte demnach noch nicht über die Redseligkeit und Eloquenz des modernen Menschen verfügt.
Erst der Blick ins Genom gibt das Geheimnis der Sprache preis
Fossilien allein nicht, wie gut und flüssig archaische Menschenarten gesprochen haben. Auf der Suche nach dem evolutionären Puzzlestück für die einzigartige humanoide Sprachfähigkeit, müssen Forscher deshalb das Genom in den Blick nehmen.
Zur Info: Das Erbgut des Menschen – auch Genom genannt – besteht aus mehr als 22 000 Genen und enthält sämtliche Erbinformationen. Warum beispielsweise ein Individuum schwarze und keine blonden Haare hat, wieso seine Augen grau und nicht braun sind oder weshalb sein Intelligenzquotient höher ist als der anderer.
Haben Forscher das menschliche „Sprach-Gen“ entdeckt?
Als ein heißer Kandidat für ein „Sprach-Gen“ gilt eine menschenspezifische Variante von FOXP2. Dieses Gen ist beispielsweise auch bei Singvögeln aktiv und beeinflusst die Hirnentwicklung.
Es befindet sich auf dem Chromosom 7q31.1, das erstmals 2001/2003 mit Sprach- und Sprechstörungen in Verbindung gebracht wurde – das sogenannte Mikrodeletionssyndrom 7q31. Bei Betroffenen ist eine kindliche Sprechapraxie (Childhood apraxia of speech/CAS) festgestellt, eine komplexe neurologische Sprechstörung, die zu Schwierigkeiten bei der Planung und Produktion von Lauten und Wörtern führt.
Allerdings war die menschliche Genvariante von FOXP2 auch bei Vor- und Frühmenschen vorhanden und hat sich seither kaum weiterentwickelt, wie DNA-Vergleiche zeigen. Daher kann diese Genvariante allein nicht erklären, warum nur der Homo sapiens ausgeprägte Sprachzentren im Gehirn und eine große Sprachfähigkeit hat.
NOVA1: Nur eine Aminosäure ist anders
Doch jetzt gibt es einen weiteren Kandidaten für das „Sprachgen“: NOVA1. Dieses Gen ist bei allen Säugetieren vorhanden. Es enthält die unverzichtbare Bauanleitung eines Proteins, das im Gehirn wichtige Prozesse der Hirnentwicklung und der neuromuskulären Kontrolle steuert, wie Yoko Tajima von der Rockefeller University in New York und ihr Team erklären.
Menschen tragen eine im Tierreich einzigartige Variante des NOVA1-Gens in ihrem Erbgut. Bei dieser ist die essentielle Aminosäure Isoleucin durch die Aminosäure Valin ersetzt. Diese menschliche NOVA1-Variante beeinflusst die Aktivität einiger für das Sprechen wichtiger Gene.
Ihre Studie ist im Fachmagazin „Nature Communications“ erschienen.
Genetic Link Between Humans and the Evolution of Speech Found A human-specific variant of the NOVA1 protein may have played a key role in the evolution of speech. Researchers introduced this genetic variant into mice and observed significant changes in their vocalizations,… pic.twitter.com/1iHrkNbwda — Neuroscience News (@NeuroscienceNew) February 18, 2025
Mäuse mit Menschen-Gen „sprechen“ komplexer
Um mehr über die Rolle dieser I197V-Mutation herauszufinden, haben die Wissenschaftler jungen Mäusen das menschliche NOVA1-Gen eingepflanzt.
Das Experiment zeigte, dass die menschliche Genvariante die Lautäußerungen von Jungmäusen und Balzrufe von Mäuse-Männchen veränderte „Die Mäuse produzierten komplexere Hochfrequenz-Vokalisationen als die Wildtyp-Mäuse“, berichten Genforscher.
Auch die verwendeten „Laut-Buchstaben“ der Mäusekommunikation veränderten sich. Analysen der Genaktivität bestätigten, dass das menschliche NOVA1-Protein an vielen Genen andockte, die mit der Vokalisation verknüpft sind.
„Diese Mäuse sprechen nun anders“, erklärt Tajimas Kollege Robert Darnell. „Man kann sich vorstellen, welche Auswirkungen solche Veränderungen der Vokalisation für unsere Vorfahren und ihre Entwicklung gehabt haben könnten.“
Sprachkompetenz des Homo sapiens ist einmalig
Doch wann entstand diese menschentypische Mutation? Um das herauszufinden, haben die Forscher DNA-Proben von modernen Menschen mit denen der Neandertaler und Denisova-Menschen verglichen.
Demzufolge besaßen Neandertaler und Denisova-Menschen die veränderte Variante von NOVA1 noch nicht. Sie ist also einzigartig für den Homo sapiens. „Demnach muss eine Vorläufer-Population des Homo sapiens in Afrika diese Variante entwickelt haben“, erläutert Tajima. „Sie wurde dann schnell dominant. Möglicherweise, weil sie Vorteile in der gesprochenen Kommunikation mit sich brachte. Mit der Ausbreitung des Homo sapiens verbreitete sich das menschliche NOVA1-Gen dann um die Welt.“
NOVA1 könnte damit ein echtes ‚Sprach-Gen‘ sein“
De facto gibt es heute fast keinen Menschen ohne diese Genvariante. In einer Vergleichsanalyse von mehr als 650.000 DNA-Proben aus aller Welt fanden die Forscher lediglich sechs Menschen, denen die I197V-Mutation fehlt. „Dies bestätigt, dass die NOVA1-Variante einer starken positive Selektion unterlag und Teil eines evolutionären Wandels war, durch den der Homo sapiens entstand“, schreiben die Experten.
Den Forschern zufolge könnte das mutierte NOVA1-Gen eine entscheidende Rolle für die menschliche Sprachfähigkeit spielen. Der Austausch nur einer Aminosäure in diesem DNA-Abschnitt unterscheidet uns von allen anderen Säugetieren und ermöglicht uns unsere komplexen Vokalisationen. „NOVA1 könnte damit ein echtes ‚Sprach-Gen‘ sein – auch wenn diese Genvariante natürlich nur eine von vielen menschenspezifischen Genveränderungen ist“, sagt Darnell.