Eltern in der Rolle des Alltagschauffeurs
Kinder müssen besonders im ländlichen Raum zu den meisten Sport-, Kultur- und Freizeitveranstaltungen gefahren werden
Viele Eltern – vor allem Mütter – übernehmen neben ihren üblichen Haushalts- und Erziehungstätigkeiten im normalen Alltag noch die Rolle des Chauffeurs. Nachmittags eine Fahrt zum Ballett, abends dann zum Fußballtraining und am Wochenende zu Partys und in die Disco. Vor allem in kleineren Gemeinden ohne optimalen ÖPNV-Anschluss obliegt es den Eltern, dem Nachwuchs die gewünschten Freizeitaktivitäten möglich zu machen.

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Fahrdienste gehören für viele Eltern zum Alltag, damit dem Nachwuchs alle Freizeitaktivitäten möglich gemacht werden können. Foto: Adobe
Von Simone Schneider-Seebeck
BACKNANG. Wie gut es die Kinder heutzutage doch haben – ihnen stehen so viele Möglichkeiten offen, vor allem bei der Freizeitgestaltung. Sportvereine, Tanzkurse, Kunstevents und musikalische Förderung – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Mal ganz abgesehen von den größeren Veranstaltungen, beispielsweise einem Konzert, gern auch weiter entfernt. Die Verfasserin dieser Zeilen erinnert sich noch an die 90er-Jahre, als Michael Jackson in Ludwigshafen auftreten sollte und sie und zwei Freundinnen wochenlang ihre Karten gehortet hatten. Das einzige Problem war – wie hinkommen? Mit Bus und Bahn schier unmöglich, hin- und vor allem wieder heimzukommen. Da fieberte man der Führerscheinprüfung umso mehr entgegen, die glücklicherweise auch vor dem Konzert bestanden war. Denn sonst wäre es nichts geworden mit dem Ausflug zum King of Pop. Doch wie sieht es heutzutage aus, wo die Möglichkeiten vielfältiger sind und die Eltern vielleicht auch bereiter dazu, mit ihren Kindern Hunderte Kilometer zurückzulegen, um ihnen ein solches Ereignis zu ermöglichen?
Der ÖPNV ist außerhalb von Städten oft keine geeignete Alternative
Die Zahl der Autos pro Familie steigt. Und vor allem die Mütter (das zeigt ein kurzer Blick auf den Bekanntenkreis) haben häufig neben ihren üblichen Haushalts- und Erziehungstätigkeiten noch die Rolle des Alltagschauffeurs übernommen. Sie leiten nicht nur das kleine Familienunternehmen, sie sorgen auch für dessen Mobilität. Besonders in kleineren Gemeinden, in denen der ÖPNV naturgemäß nicht so dicht getaktet sein kann wie in einer Großstadt, obliegt es ihnen, dem Nachwuchs die gewünschten Freizeitaktivitäten möglich zu machen. Dabei wird das nicht mal immer positiv gesehen, man denke nur an das Thema Elterntaxi. Andererseits – welche Alternativen gibt es? Kann man Teenies allein zu einer größeren Veranstaltung schicken? Sind Tochter oder Sohn unter 16 Jahre alt, gibt es schon mal ein zeitliches Problem. Um 22 Uhr müssen sie zu Hause sein, länger geht nur in Begleitung eines Erwachsenen, so sieht es das Gesetz vor. Da geht es bei Konzerten erst richtig los. Also bleibt den wohlmeinenden Eltern nichts anderes übrig, als die Kinder zu begleiten. Zwar scheiden sich zumindest bei musikalischen Ereignissen da oft die Geister. Aber sieht man sich beispielsweise bei einem Cro-Konzert mal um, sind da erstaunlich viele Erwachsene mittleren Alters. Eine gemeinsame Aktivität kann also Musikfan und Begleitperson auch gut zusammenschweißen.
Übrigens zeigt es sich gerade auch bei solchen Gelegenheiten, dass hierbei die öffentlichen Verkehrsmittel bevorzugt genutzt werden, da sich mittlerweile wohl die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es so wesentlich entspannter ist, als nachher mit dem Auto stundenlang auf dem Parkplatz im Stau zu stehen.
Etwas anders sieht es da doch bei alltäglichen Aktivitäten aus. Ein Konzert ist eine einmalige Sache, doch zum Fußball- oder Turntraining geht es mehrmals in der Woche, nicht zu vergessen Turniere und Wettkämpfe am Wochenende. Glücklicherweise finden bei Letzterem meistens Absprachen statt und Fahrgemeinschaften finden sich häufig zusammen. Doch wie sieht es mit dem Alltag aus?
Isabelle Arnemann aus Kirchberg an der Murr ist eine engagierte Mutter. Nach der Geburt ihres dritten Kindes hat sie sich bewusst dafür entschieden, ihre Nachmittage frei zu lassen. Vormittags arbeitet sie – sinnigerweise – bei der Führerscheinstelle in Ludwigsburg. Sie ist sich bewusst, dass sie privilegiert und nicht gezwungen ist, Vollzeit zu arbeiten. „Ich finde es super, wenn die Kinder etwas gefunden haben, das sie erfüllt“, so die dreifache Mutter. „Ich habe es mir als Kind gewünscht, aktiver zu sein. Doch das war in einem Haushalt mit vier Kindern und arbeitenden Eltern nicht möglich. Unsere Eltern hatten keine Zeit, uns zu fahren.“ Deshalb gehören die Nachmittage den Freizeitaktivitäten der Töchter, wozu auch das Turntraining der beiden älteren gehört.
Keine Fahrten in den Kindergarten oder in die Schule
Drei- oder zweimal in der Woche geht es dafür nach Aspach. „Die Nachmittage sind so schon gut ausgefüllt“, meint sie. Neben dem Turnen sind die Töchter noch anderweitig aktiv, dies ist jedoch in Kirchberg gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar. „Alles, was innerhalb der Ortschaft liegt, kann ohne Auto erreicht werden. Wir haben den Kindern erklärt, dass kurze Autofahrten nicht gut für die Umwelt sind.“ Zudem sieht sie, dass viele Kinder sich heutzutage nicht genug bewegen. Die Kinder in die Schule oder den Kindergarten am Ort zu fahren, lehnt sie selbst ab. Sie möchte ihre Kinder zur Selbstständigkeit erziehen, dazu gehört auch, innerorts allein unterwegs zu sein. Isabelle Arnemann gibt jedoch zu, dass sie sich nicht vorstellen könnte, ihre Töchter in einer größeren Stadt abends allein zu ihren Aktivitäten gehen zu lassen. Das wäre ihr doch zu unsicher. So ist es jetzt in der kleinen Murrgemeinde optimal. Die Fahrten nach Aspach nimmt sie notgedrungen in Kauf, da es für die Kinder mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr umständlich wäre, hinzufahren.
Da Arnemann direkt an der Quelle sitzt, ist ihr eine Entwicklung aufgefallen. „Der Führerschein ist jungen Leuten nicht mehr so wichtig. Besonders nicht in Gegenden mit einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr.“ Zwar gibt es immer mehr Autos auf den Straßen, doch der jüngeren Generation liegt nicht mehr so viel am eigenen Gefährt. Ob sich Ersteres in ferner Zukunft wieder umkehren wird? Und wie passt das damit zusammen, dass es andererseits Eltern gibt, die ihre Sprösslinge wegen 500 Metern ins Auto packen? Das Auto ist in der heutigen Zeit mit so vielen Möglichkeiten – besonders in ländlichen Gebieten – ein fast unverzichtbares Transportmittel. Doch wie Arnemann sollte man sich bewusst machen, wofür man es benutzt und wann man es auch einmal stehen lassen kann.