Eltern zeigen in Backnang Verständnis für Kita-Streik
In Backnang waren am gestrigen Verdi-Aktionstag sechs Kindertagesstätten komplett geschlossen, drei weitere Kitas immerhin teilweise. Der Ausfall der Betreuung stellt die wenigsten Eltern vor Probleme, oft sind die Mütter oder Väter in Elternzeit oder die Großeltern bereit, einzuspringen.
Von Anja La Roche und
Matthias Nothstein
Backnang. Die Resonanz auf den bundesweiten Aktionstag der Gewerkschaft Verdi war beeindruckend. Zahlreiche Beschäftigte der kommunalen Kitas sind am gestrigen Internationalen Frauentag im Raum Backnang dem Streikaufruf gefolgt. Allein in Backnang waren sechs Kindertagesstätten komplett geschlossen, drei weitere zum Teil. Die Beschäftigten reagieren laut Verdi mit der Arbeitsniederlegung auf das aus ihrer Sicht völlig unzureichende Angebot der Arbeitgeber aus der zweiten Verhandlungsrunde für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. In Stuttgart haben Tausende Demonstranten ihren Forderungen Nachdruck verliehen. Laut der Gewerkschaft waren in der Landeshauptstadt zwei Drittel der Kitas geschlossen, in Mannheim sogar alle.
Geschlossene Kitas: Da werden die Eltern kräftig fluchen, oder? Das Gegenteil ist der Fall. Bei einer Umfrage unter Eltern am Dienstag vor der Backnanger Kita Waldheim ist die Solidarität der Eltern mit den Erziehern riesig. Tina Schätzberger zum Beispiel hält den Streik für völlig gerechtfertigt. Und sie kann es beurteilen, denn die vierfache Mutter ist selbst Erzieherin. Die Anforderungen an ihren Berufsstand seien in den vergangenen Jahren exorbitant gewachsen, so ihre Argumentation. Nun sei eine leistungsgerechte Bezahlung dringend nötig, um so dem Fachkräftemangel entgegenwirken zu können. Wie vielen anderen Eltern der Kita Waldheim tut auch ihr der Streik nicht besonders weh, weil sie wegen ihres jüngsten Kindes ohnehin zu Hause ist.
Der Sinn des Streiks, jemandem wehzutun, wird nicht wirklich erreicht
Aber genau das – jemandem wehtun – ist eigentlich der Sinn eines Streiks. Im Fall der Kitas hieße das, die Eltern zu treffen. Schätzberger: „Nur so können die Erzieherinnen etwas bewegen. Gleichzeitig tun mir aber auch alle Eltern leid, die ernsthaft von dem Betreuungsausfall betroffen sind und keine einfachen Alternativen haben.“
Würde das Kita-Personal mehr verdienen, „dann hätten wir auch keinen Mangel an Erzieherinnen“, zeigt sich Timo Derenbach überzeugt. Er hat Glück, dass die Großeltern einspringen. Das machen sie zwar immer mittags, aber nun müssen sie auch einmal morgens ran. „Da beide Rentner sind, ist das für sie kein großer Act“, so Derenbach. Er weiß auch, dass er sich damit in einer absoluten Komfortsituation befindet. Deshalb kann er auch alle anderen Eltern verstehen, die anders denken, weil der Streik sie in die Bredouille bringt.
Mütter und Väter unterstützen die Forderungen der Erzieherinnen
Den Streik relativ problemlos verkraften kann auch Nelli Stefan, die derzeit zu Hause ist, weil sie unter anderem ihren Vater pflegt. „Jetzt müssen die Kleinen halt mit zu ihm.“ Da die dreifache Mutter mit der Kita Waldheim restlos zufrieden ist, kann sie die Forderungen der Erzieherinnen nur unterstützen. „Wenn wir wollen, dass die Kindergärten weiter gute Arbeit machen, dann erreichen wir das nur, wenn wir neue Beschäftigte finden und die einen guten Verdienst haben und gerne zur Arbeit gehen.“
Laureen Suhr ist derzeit mit ihrem zweiten Kind in Elternzeit, insofern kann auch sie die betreuungslose Zeit problemlos überbrücken. Sie findet es gut, dass die Kita streikt und so Position bezieht. Ihrer Ansicht nach stimmen die Gehälter der Erzieherinnen nicht, was wiederum der Grund ist für die Unterbesetzung in der Kita-Landschaft. „Wenn die Bezahlung attraktiver wird, dann lässt sich auch eher wieder Nachwuchs finden.“ Sonja Ebert kennt die zu geringe Bezahlung von Erzieherinnen aus dem familiären Umfeld. Deshalb sagt die zweifache Mutter auch Ja zum Streik. Auch sie ist in Elternzeit, ansonsten müsste der Mann am Streiktag zu Hause bleiben, da sie keine Großeltern um die Ecke haben.
Nur eine Befragte schimpft: „Es ist zum Kotzen“
Ina Cilingir gibt vor der Kita Ob der Ekertsklinge Auskunft. Sie hat ebenfalls keinerlei Probleme, einen Ersatz für die Betreuung ihres Sohns ausfindig zu machen. Sie kann ihn bei den Großeltern unterbringen. Daher hat sie auch kein Problem mit dem Streik. Wenn sie hingegen keine Alternative zur Betreuung hätte, würde es sie schon stören, gibt sie zu bedenken. Eine andere Mutter ist in genau dieser Situation. „Es ist zum Kotzen“, macht sie ihrem Ärger Luft. Sie und ihr Partner sind beide tagsüber berufstätig und können weder von zu Hause aus arbeiten noch ohne Weiteres der Arbeit fernbleiben. Die Mutter sagt zwar auch, sie verstehe, dass die Erzieher streiken. „Aber die Arbeitenden müssen es jetzt ausbaden.“ Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, weil sie befürchtet, dass das dem guten Verhältnis zu den Erzieherinnen schaden könnte.
Umfrage Eine nicht repräsentative Umfrage unserer Redaktion zum Streik an den Kindertagesstätten hat auf Instagram ein differenzierteres Stimmungsbild ergeben. Danach haben 35 Prozent der Teilnehmer für „Keine Ahnung, wie ich das schaffen soll“ abgestimmt. 34 Prozent der Nutzer stimmte für „Es war schwierig, für einen Ersatz zu sorgen“. Keinerlei Probleme mit der Betreuung ihrer Kinder zu haben, das haben 31 Prozent der Teilnehmer angegeben. Grundsätzlich lehnen 34 Prozent den Streik ab, „weil die Eltern alles ausbaden müssen“. 55 Prozent hingegen gaben an, den Streik zu akzeptieren, weil sie das von ihm Ziel unterstützen und 12 Prozent stimmten für „Ich habe keine Meinung.“ Als unanständig hoch bezeichnet nur eine Person die Forderungen der Streikenden.
Bestreikt In Backnang waren die Kitas Ob der Ekertsklinge, Heimgarten, Stubener Weg, Schladminger Weg, Waldheim und Schillerknirpse komplett geschlossen, die Kitas Heininger Weg, Waldrems und die Sportkita waren teilweise bestreikt.
Forderungen Verdi will für die bundesweit 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Lohn durchsetzen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Die Arbeitgeber bieten fünf Prozent mehr bei zweijähriger Laufzeit sowie 2.500 Euro Einmalzahlung. Verdi-Bundesvorsitzender Frank Werneke schließt ein Scheitern der Tarifverhandlungen nicht aus. Gewerkschaft und Arbeitgeber lägen in dieser Tarifrunde weit auseinander, sagte er zuletzt. Die nächste Verhandlung beginnt am 27. März.