Entfesselung vom fixen Arbeitsplatz
Homeoffice im Ausland ist eine Spielart des mobilen Arbeitens, die durch die Digitalisierung zumindest für bestimmte Berufszweige möglich wird und nicht zuletzt in Coronazeiten deutlich an Bedeutung gewinnen könnte. Die rechtliche Seite ist dabei nicht zu missachten, weiß die IHK.

Oliver Joest, der Entwicklungsleiter der Sulzbacher Firma L-Mobile, hat auf seiner Weltreise zu 50 Prozent gearbeitet. Als er Station in Algund bei Meran machte, entstand dieses Foto. Foto: privat
Von Bernhard Romanowski
Rems-Murr. Die Füße baumeln von der bunten Schwimminsel ins angenehm temperierte Wasser des Pools, eine attraktive Servicekraft rührt schon den nächsten leckeren Cocktail an und man blickt versonnen den Möwen hinterher, während Laptop und Handy in Griffweite liegen: So oder so ähnlich stellen sich manche das Szenario vor, wenn vom Homeoffice im Ausland die Rede ist – eine traumhafte Vorstellung für so manche Beschäftigte, eine Schreckensvision für nicht wenige Chefs, denen dabei um Arbeitsmoral und Produktivität ihres Unternehmens angst und bange wird.
In der Bezirkskammer Rems-Murr der Industrie- und Handelskammer (IHK) sieht man das ganz nüchtern und pragmatisch: „Die mit der Coronapandemie verbundenen Einschränkungen haben viele Unternehmen gezwungen, ihre gewohnten Betriebsabläufe zu ändern und ihrer Belegschaft das Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen. Nun äußern immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Wunsch, auch außerhalb von Deutschland arbeiten zu können.“ Darum bietet die IHK Region Stuttgart am morgigen Dienstag ein Seminar per Internet dazu an (siehe Infokasten).
„Viele Unternehmen sehen in den neuen Arbeitsformen wie Remote Work auch die Chance, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen jedoch genau geprüft werden, bevor sie Homeoffice im Ausland zusichern“, betont Karin-Franziska Lenhardt als Ansprechpartnerin der IHK. Denn auch eine nur vorübergehende Auslandstätigkeit sei mit einer Vielzahl zu klärender Rechtsfragen verbunden.
Anfragen von Mitarbeitern, die vielleicht ein Haus im Ausland besitzen und von dort aus arbeiten wollen, wurden an Joachim Roth noch nicht gerichtet. Als Personalleiter der Firma Lorch Schweißtechnik GmbH in Auenwald ist die Möglichkeit des mobilen Arbeitens aber freilich kein neues Thema für ihn und seine Mitarbeiter. „In der Pandemie war Homeoffice das Mittel der Wahl und konnte bei uns auch schon vor der Coronakrise praktiziert werden“, berichtet Roth. Theoretisch könnten von den rund 250 Beschäftigten des Auenwalder Unternehmens 150 regelmäßig im Homeoffice arbeiten, so der Personalchef weiter. Für die Mitarbeiter in der Produktion sei das aber nicht machbar. Auch etwa im Bereich Prüftechnik in der Entwicklungsabteilung sei das eher schwierig. Es gab bei der Firma Lorch auch schon den Fall, dass ein Mitarbeiter ein Sabbatical gemacht, sich also eine Auszeit in Form von unbezahltem Sonderurlaub genommen hat und dann über mehrere Monate jeweils ein, zwei Tage pro Woche von einer kanarischen Insel aus via Internet für die Firma arbeitete. „Das hat sehr gut funktioniert“, bilanziert Roth. Eine solche Lösung biete sich an, wenn jemand eine längere Reise macht und trotzdem berufstechnisch an einem Thema dranbleiben muss. Persönlich ist Roth allerdings kein allzu großer Freund des Homeoffice. Roth: „Die Effizienz und das Miteinander leiden, wenn der persönliche Kontakt fehlt.“ Coronabedingt hat auch er phasenweise immer wieder von zu Hause gearbeitet. Eine Dauerlösung sieht er darin aber keinesfalls: „Dafür habe ich zu viele informelle Kontakte im Haus. Es ist mir wichtig, hier zu sein.“
Wie schwierig es ist, den sozialen Kontakt per Internet aufrechtzuerhalten und zu pflegen, weiß auch Christian Gmehling, der die Marketingabteilung der Firma L-Mobile in Sulzbach an der Murr leitet. Dennoch bietet sich im Alltag der Sulzbacher Softwareentwickler mit ihren Außenstellen beispielsweise in Ungarn und Spanien im Grunde keine Alternative.
„Gerade am Donnerstag noch hatte eine Frau in Spanien einen Schnuppertag bei uns, die remote für uns am spanischen Standort arbeiten könnte“, erzählt Gmehling. Dazu musste die Spanierin aber nicht in Sulzbach anreisen. Auch der Schnuppertag findet remote, also von Ferne via Internet statt. „Die Coronaregeln in Barcelona lassen da auch momentan gar nichts anderes zu. Die Büros dort sind geschlossen. Die Beschäftigten müssen per Gesetz im Homeoffice arbeiten“, weiß der Marketingleiter. Ein Schnuppertag in Sulzbach würde normalerweise bedeuten, dass die Bewerber einen Tag dort in der Firma verbringen, die Mitarbeiter und Abteilungen kennenlernen, eine Aufgabe lösen und am Ende des Arbeitstags eine Präsentation abliefern. Das nimmt man bei L-Mobile sehr genau, weil eine falsche Entscheidung im Personalbereich für beide Seiten – Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – eben sehr nachteilige Folgen haben kann. Der Online-Schnuppertag per Video verläuft demnach etwas anders, aber keineswegs laxer, wie Gmehling betont. Die junge Frau in Spanien wurde übrigens eingestellt.
„Ich bin mir sicher, dass Arbeitgeber künftig mehr Flexibilität entwickeln müssen. Warum soll jemand unbedingt hier am Schreibtisch sitzen, wenn die Arbeit auch remote erledigt werden kann?“, so Gmehling, der hierzu auch die Ausrichtung von L-Mobile auf den europäischen Markt als Argument anbringt. „So arbeite ich beispielsweise auch mit einer alleinerziehenden Mutter aus Budapest zusammen, die aufgrund ihrer Kids auch fast ausschließlich von daheim arbeitet.“
Remote Work im Wortsinne war auch ein Jahr lang für Oliver Joest angesagt, der als Entwicklungsleiter bei L-Mobile arbeitet. Er machte eine Weltreise, während der er aber zu 50 Prozent arbeitete. „Er ist also immer einige Tage gereist und hat dann vom jeweiligen Standort aus wieder einige Tage gearbeitet“, beschreibt es sein Kollege Gmehling, der sich sicher ist: „Wir werden das zukünftig noch viel mehr haben. Die Leute können sein auf der Welt, wo sie wollen. Es bringt Herausforderungen mit sich, jedoch auch große Chancen.“
Telearbeit praktiziert auch Holger Zoller öfters, und zwar wenn er mit seinem Wohnmobil zum Beispiel in Kroatien oder Österreich unterwegs ist, wo es ihn und seine Gattin häufiger hinzieht. Dazu hat er ein sogenanntes VPN-Gerät für eine geschützte Netzwerkverbindung an Bord. So kann seine Frau privat im Internet surfen, während er als Geschäftsführer seiner Kernener IT-Firma HZ Soft- und Hardware geschäftliche Dinge im Netz regelt. Von seinen 14 Mitarbeitern hat indessen noch keiner angekündigt, im Ausland ins Homeoffice gehen zu wollen. „Und Bayern zählt ja noch nicht als Ausland“, so Zoller augenzwinkernd. „Im Bayerischen Wald und in Hessen haben wir nämlich auch jeweils einen Mitarbeiter.“
Rechtsfragen Thomas Hey und Martin Nebeling von der Kanzlei Bird&Bird LLP aus Düsseldorf werden den Teilnehmern des IHK-Webinars „Homeoffice im Ausland“ am morgigen Dienstag, 14.30 bis 16 Uhr einen Überblick über wesentliche arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtliche Anforderungen sowie praxistaugliche Tipps zur Vermeidung von Risiken geben. Die Teilnahmegebühr beträgt 49 Euro. Es besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Eine individuelle Rechtsberatung ist jedoch im Rahmen des Webinars nicht möglich, wie die IHK mitteilt. Anmelden kann man sich online unter www.ihk.st/event/175159179.