Bollwerk an der Grenze zu Griechenland
Erdogans neue Mauer: ein Beton-Gruß an die EU
Die Türkei baut eine Mauer an der Landgrenze zu Griechenland. Der Beschluss hat mit der künftigen Bundesregierung zu tun. Die Grenzmauer ist nicht die erste, aber die erste, die Geflüchtete im Land halten soll – und fluchtwillige Gegner der Regierung Erdogans.

© Petros Giannakouris
Schon heute verhindern Zäune und Soldaten den Übergang von Flüchtlingen aus der Türkei nach Griechenland und damit in die EU.
Von Susanne Güsten
Die Türkei will einen wichtigen Transitweg für Geflüchtete nach Europa schließen: Eine zwei Meter hohe Betonmauer entlang der Landgrenze zu Griechenland im Nordwesten der Türkei soll Migranten und Regimegegnern den Weg ins Nachbarland und damit in die Europäische Union versperren. Der Mauerbau ist eine Geste von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegenüber EU-Ländern wie Deutschland und Österreich, in denen der Streit um die Migration zu innenpolitischen Verwerfungen geführt hat. Erdogans Kritiker werfen dem Präsidenten deshalb einen Kotau vor den Europäern vor.
Yunus Sezer, Gouverneur der nordwesttürkischen Grenzprovinz Edirne, gab den Beginn des Mauerbaus bekannt. In einem ersten Schritt soll ein 8,5 Kilometer langes Teilstück entlang der Maritza errichtet werden, dem Grenzfluss zwischen der Türkei und Griechenland; insgesamt ist die Landgrenze rund 200 Kilometer lang.
Im vergangenen Jahr kamen nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR knapp 8000 Flüchtlinge über die Maritza aus der Türkei nach Griechenland, das waren rund 13 Prozent der Gesamtzahl von mehr als 60 000 Menschen; die meisten Geflüchteten setzen über die Ägäis auf griechische Inseln über.
Im Flüchtlingsabkommen mit der EU, das im Jahr 2016 unterzeichnet wurde, hatte sich die Türkei dazu verpflichtet, Migranten auf dem Weg nach Europa aufzuhalten. Seitdem hat die Türkei drei Millionen Syrer und hunderttausende Afghanen aufgenommen. Erdogan setzte das Flüchtlingsthema mehrmals als Druckmittel ein.
Erdogan bemüht sich um Entspannung
Vor fünf Jahren ermunterte der Präsident Zehntausende Flüchtlinge, über die Landgrenze nach Griechenland auszureisen, um die EU zur Unterstützung für den geplanten Bau von Wohnungen für heimkehrende Flüchtlinge in Syrien zu zwingen. Derzeit bemüht sich Erdogan um Entspannung im türkisch-europäischen Verhältnis, weil er sich davon wirtschaftliche und außenpolitische Vorteile für die Türkei verspricht.
Erdogan signalisiere mit dem Mauerbau, dass er das Thema Migration in Zukunft nicht mehr als Druckmittel gegen die EU einsetzen wolle, meint Ömer Murat, ein ehemaliger türkischer Diplomat, der im deutschen Exil lebt. „Zweifellos ist das eine Geste an Europa“, sagte Murat unserer Zeitung.
Zusammenarbeit mit der Merz-Regierung
Der türkische Präsident wisse, dass die irreguläre Migration eines der wichtigsten Themen für die neue Bundesregierung in Deutschland sein werde, und er verspreche dem mutmaßlichen künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz mit der Mauer, mehr gegen die unkontrollierte Zuwanderung unternehmen zu wollen. „Die Botschaft lautet, dass Erdogan bei diesem Thema zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Merz-Regierung bereit ist“, sagte Murat.
Die neue Mauer ist allerdings vor allem ein Symbol. Denn schon jetzt schreckt die Landgrenze viele Flüchtlinge ab, die nach Europa wollen, denn Migranten werden von griechischen Soldaten regelmäßig wieder über die Maritza in die Türkei zurückgetrieben, obwohl dies völkerrechtswidrig ist. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte Griechenland im Januar wegen dieser illegalen „Pushbacks“ verurteilt. Die griechischen Behörden haben an Teilabschnitten entlang der Grenze zudem bereits einen Zaun errichten lassen.
Flüchtlingszahlen bisher schon rückläufig
Auch aus der Erklärung von Gouverneur Sezer in Edirne ergibt sich die Frage, wozu die Mauer überhaupt gebraucht wird. Sezer betonte, der Ausbau von Patrouillenwegen und eine bessere elektronische Grenzüberwachung hätten die Zahl der Flüchtlinge an der Landgrenze schon um 93 Prozent im Jahresvergleich gesenkt.
Aktuelle Zahlen des UNHCR bestätigen, dass die Flüchtlingszahlen zurückgehen, wenn auch nicht so drastisch, wie Gouverneur Sezer sagt. In den ersten zwei Monaten des Jahres zählte die UN-Organisation 452 Geflüchtete, die über den Evros nach Griechenland kamen. In Vergleichszeitraum 2024 waren es rund 700.
Erdogan hat entlang der türkischen Grenzen zum Iran, zum Irak und zu Syrien bereits Mauern mit einer Gesamtlänge von mehr als tausend Kilometer bauen lassen, um Geflüchtete aus dem Land zu halten. Im Widerspruche dazu werde nun in Edirne eine Mauer errichtet, die Flüchtlinge nicht an der Einreise, sondern an der Ausreise hindern solle, kritisierte der Politiker Tanju Özcan von der Oppositionspartei CHP auf X: „Herr, gib ihnen Verstand.“ Die Türkei diene Europa als Auffanglager, sagte der regierungskritische Journalist Levent Gültekin auf YouTube. Erdogans Regierung handele „im Namen des Westens“.
Viele Straftäter gefasst
Ankara will solche Kritik nicht auf sich sitzen lassen. Die Mauer diene der Sicherheit des Landes, erklärte die türkische Migrationsbehörde, die dem Innenministerium untersteht.
Allein seit Anfang des vorigen Jahres seien entlang der Landgrenze mit Griechenland rund 2300 mutmaßliche Straftäter gefasst worden, darunter 887 Menschenschmuggler, 765 andere Kriminelle und 652 Mitglieder von „Terrororganisationen“ – gemeint sind Anhänger der kurdischen PKK und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Das bedeutet, dass die Mauer auch Regimegegner aufhalten soll, die der Verfolgung in der Türkei entgehen wollen.