Erinnerungen an frühere Wannenwonnen

Nach dem Krieg fehlten in Wohnungen Bäder. Wer ein heißes Bad nehmen wollte, besuchte öffentliche Einrichtungen. Einblick in ein längst vergangenes Kapitel der Stuttgarter Stadtgeschichte.

Von Uwe Bogen

Stuttgart - Alles musste sittsam bleiben. Wer nach dem Krieg im Markusbad, das sich in einem Hinterhaus an der Filderstraße befand, ein „Doppelbad“ buchen wollte, um mit Begleitung einen Raum mit zwei Wannen hinter sich abzuschließen, musste den Personalausweis vorzeigen. Darin erinnert sich Gaby Elsäßer genau, wie sie im Internetportal unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album schreibt. Und sie weiß auch noch ganz genau: „Im Untergeschoss des Hauses der Familie Kärcher befand sich eine Lohn-Wäscherei.“ Oben wurden Menschen sauber, unten wurden ihre Kleider gereinigt.   Vor 20 Jahren endete in Stuttgart die Ära dieser Badekultur.

Quer durch die Stadt gab es etliche Wannenbäder, da viele Wohnungen noch kein eigenes Bad besaßen. Mehr als ein Waschbecken war für viele in Stuttgart in dieser Zeit Luxus. In den öffentlichen und privaten Badeanstalten hingen an den Türen zur Wanne meist Uhren. Die Nachfrage war groß, der Wechsel wurde kontrolliert. Alle 30 Minuten hieß es: Wasser raus, die Badefrau wischt, Wasser rein. Nach dem Krieg war die halbe Stunde in oft fensterlosen, weiß gekachelten Nasszelle für Zehntausende ein Genuss, Labsal für Leib und Seele. In die Wanne, wie toll! Eine dieser Badefrauen war Liselotte Preußer. Vor 20 Jahren, als in Stuttgart das letzte Wannenbad geschlossen wurde, sagte sie unserer Zeitung: Unzählige Dreckränder der Stahlbäder habe sie weggewischt, aber die Grenzen ihrer Hilfsbereitschaft stets klar abgesteckt. „Den Buckel muss sich jeder schon selbst schrubben“, lautete eine ihrer gängigen Redensarten.

Als Liselotte Preußer 1961 in Hedelfingen anfing, zahlte man 2,40 Mark für die Wanne, 70 Pfennig für die Brause, ein Zehnerle für die Waage. „Zu mir sind alle gekommen“, sagt die Badefrau unserer Zeitung, „aus allen Schichten.“

Für viele galt einmal die Woche: Badetag! Öfter kam kaum jemand. „Unter der Woche hat’s das Waschbecken daheim getan.“ Früher, davon war die Badefrau Preußer überzeugt, seien die Leute nicht weniger reinlich gewesen als heute. Das tägliche Duschen sei doch gar nicht gesund für die Haut, sagte sie.

In den 60er Jahren brauchte man Geduld. „Samstags hatten wir hundert Gäste für fünf Wannen“, erinnerte sich Liselotte Preußer, „da saßen die Leute auf der Holzbank und mussten erst mal warten.“ Und wehe, einer blieb mal länger als eine halbe Stunde in der Kabine! Gleich wurde protestiert, und man klopfte an die Tür. In dringenden Fällen musste die Badefrau aufschließen. Bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1990 ist das im Dienst von Frau Preußer nur einmal geschehen. Ein älterer Mann kam nicht mehr aus der Wanne, hatte bald schon eine Stunde darin gelegen. Von allein habe er sich nicht melden wollen, es sei ihm peinlich gewesen.

Das Gesetz von Angebot und Nachfrage galt auch hier. Als es in vielen Betrieben Duschen gab, kamen immer weniger Menschen zu den Wannenbädern. 1990 mussten etwa die Einrichtungen in Hedelfingen und im Leonhardsviertel schließen. Ende 2004 war auch das Leo-Vetter-Bad dran, als letztes Wannenbad-Angebot in Stuttgart. Im Internet-Portal des Stuttgart-Album erinnert sich Marion Renz: „Meine Oma hatte in Wangen unter der Sporthalle der Wilhelmschule ein Wannenbad und legte immer Äpfel auf die Kessel. So roch es überall nach Bratapfel.“ Gabi Lapehn schreibt: „Im Stadtbad Heslach konnte man den Badezusatz an der Kasse kaufen. Das waren runde große Tabletten, es gab Fichtennadel. Ich kann man sich so gut daran erinnern, weil ich damals an der Kasse helfen durfte.“

Anneliese Leibinger weist darauf hin: „Wannenbäder gab es früher auch in Gablenberg, direkt neben der Kirche. In den 1970ern wurden sie umgebaut in eine medizinische Bäderpraxis.“ An das 1930 eröffnete und 1990 geschlossene Leonhardsbad im Leonhardsviertel erinnern sich etliche User des Stuttgart-Albums. „Meine Mutter nahm uns vier Kinder Ende der 1960er mangels einer eigenen Wanne jede Woche zu den Zinkwannen des Leonhardsbads mit“, schreibt Frank Wild. Und Nikolaus Uttas weiß noch, dass man dort 70 Pfennig für eine Wanne bezahlte – alles sei nach Geschlechtern getrennt gewesen. Wenn Menschen heute Entspannung suchen, gehen sie nicht mehr in Wannenbäder, sondern ins Day Spa oder in die Sauna.

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Erstellt:
26. Dezember 2024, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
27. Dezember 2024, 21:59 Uhr

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