Erschließung ist noch nicht beschlossen

Unterschiedliche Auffassungen bei der Bürgerbeteiligung zum Neubaugebiet Brühl VI in Erbstetten. Planer und Verkehrsexperte favorisieren zwei Straßen durchs bestehende Wohngebiet für die Erschließung, Anwohner lehnen diese Variante ab.

Auf der grünen Wiese am westlichen Ortsrand von Erbstetten soll das Neubaugebiet Brühl VI entstehen. Eine Möglichkeit wäre die Erschließung über die Burgstaller Straße. Foto: W. Kuhnle

© Werner Kuhnle

Auf der grünen Wiese am westlichen Ortsrand von Erbstetten soll das Neubaugebiet Brühl VI entstehen. Eine Möglichkeit wäre die Erschließung über die Burgstaller Straße. Foto: W. Kuhnle

Von Renate Schweizer

BURGSTETTEN. Es ging um Brühl VI, das neue Baugebiet am westlichen Ortsrand von Erbstetten – Bürgerinformation als erster Teil eines längeren Prozesses der Bürgerbeteiligung stand auf der Agenda. Gleichzeitig aber Coronanotbremse: Bürgerinformation online also – Verwaltung und Planer in der Gemeindehalle vor der Kamera und die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Fragen zu Hause vor den Bildschirmen. Ob das wohl funktionieren würde?

Der zivilisatorische Firnis ist dünn im Jahr zwei der Pandemie, deshalb nannte eine der ersten Präsentationsfolien, die Inge Horn als beauftragter Moderationsprofi auflegte, die Spielregeln:

Wir gehen wertschätzend miteinander um.

Wir lassen uns gegenseitig ausreden.

Wir bleiben beim Thema.

Wir fassen uns kurz.

Ein wenig fühlte man sich wie einst im Konfirmandenunterricht – aber sei’s drum, die letzte chaotische Bürgerfragestunde saß allen noch in den Knochen.

Diesmal ging alles glatt. Mathias Hähnig vom Architekturbüro Hähnig/Gemmeke, dessen städtebaulicher Entwurf den Wettbewerb gewonnen hatte, stellte das Konzept ausführlich vor und erklärte, weshalb sich die Planer entschlossen hatten, das neue Baugebiet vom Ortskern her über die beiden Straßen Weirachstraße und Im Brühl zu erschließen und nicht, wie in der Ausschreibung eigentlich vorgesehen, von der Burgstaller Straße außerhalb des Dorfes. So würde sich das neue Baugebiet aus der Ortsstruktur heraus organisch entwickeln, habe eine sehr gute, auch fußläufige Anbindung an den alten Ortskern und man müsse nur wenig Erschließungsflächen neu versiegeln – das sei sowohl aus ökologischen als auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ideal.

Verkehrsexperte Uwe Frost von der Bernhard-Gruppe hatte eine zusätzliche voraussichtliche Belastung von 350 Fahrzeugen pro Tag errechnet – damit seien sämtliche Lärmschutzvorgaben „entspannt eingehalten“. Sicherheitshalber hatte man zum Vergleich noch die Alternativanbindung von der Burgstaller Straße ortsauswärts geprüft: Wenn ausschließlich die genutzt würde, sei es nachts sogar lauter.

Das klang so weit alles ganz logisch und einleuchtend. Die Städteplaner des im Wettbewerb unterlegenen Entwurfs hatten offenbar ganz genauso gedacht, denn auch sie hätten das Baugebiet über die beiden bestehenden Straßen Im Brühl und Weirachstraße erschlossen.

Die Einwohner Erbstettens sehen es anders. Klaus Jenne sprach für sie. 177 Personen hatten den Einwohnerantrag unterschrieben und ihr bestens präparierter Sprecher trug ihre Argumente vor: Bereits jetzt sei der Verkehrslärm durch den Durchfahrtsverkehr auf der Burgstaller Straße unerträglich. Durch das neue Baugebiet entstehe zusätzliche Verkehrsbelastung in den beiden vorgesehenen Anwohnerstraßen und auch auf der Burgstaller Straße, und zwar weit mehr als nur morgens und abends je 150 Fahrten: Rathaus, S-Bahn-Anschluss, Kita und Einkaufsmarkt, also die Hauptinfrastruktur der Gemeinde, befinden sich in Burgstall, aber jede einzelne Fahrt der neuen Nachbarn dorthin führt nach dem derzeitigen Plan durch den Erbstettener Ortskern.

Man habe sich zwar einen Kreisel auf der Höhe der Freibadkurve gewünscht, sei aber auch offen für eine Linksabbiegerspur – eine Feldwegstraße zum neuen Baugebiet existiere bereits und müsse nur ausgebaut werden. Eine womöglich geschwindigkeitsgesteuerte Bedarfsampel an dieser Stelle würde nicht nur einen sicheren Überweg zum Freibad schaffen, sondern zusätzlich noch den Verkehr herunterbremsen.

Der Feldweg muss sowieso ausgebaut werden, wie sich in der anschließenden Diskussion zwischen Bürgern und Planern herausstellte: Um den Baulastverkehr außerhalb der Wohnstraßen ins Neubaugebiet zu bringen, wird der Feldweg provisorisch ausgebaut und befestigt. Zahlreiche Bürger unterstützten Jennes Anliegen von zu Hause aus im Chat und vor der Kamera – da hatte die Moderatorin des Bürgerdialogs alle Hände voll zu tun, um niemanden zu übersehen oder zu „überklicken“. Der letzte Bürgerbeitrag kam von Melanie Andergassen: Sie bedankte sich ausdrücklich bei Bürgermeisterin Wiedersatz – es sei gut, dass die Sorgen der Anwohner gehört würden. Schade nur, wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass das Konzept längst feststeht. „Ich bitte um einen ehrlichen Dialog.“

Damit liegt der Ball im Feld der Gemeinde: Rathausteam und Gemeinderat müssen zeigen, dass dies keine Alibiveranstaltung war. Und die Planer haben Hausaufgaben zur Prüfung.

Am Mittwoch, 5. Mai, wird es eine Bürger- werkstatt zum Thema geben. Interessierte können sich bis Freitag, 23. April, anmelden. Bei mehr als 30 Anmeldungen entscheidet das Los über die Teilnahme an der Veran- staltung.

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Erstellt:
19. April 2021, 06:00 Uhr

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