Fund im galaktischen Zentrum der Milchstraße

Erster Doppelstern an einem Schwarzen Loch entdeckt

Astronomen haben erstmals ein Doppelsternsystem am zentralen Schwarzen Loch der Milchstraße entdeckt. Das junge, sich eng umkreisende Sternenpaar hält trotz der extremen Gezeitenkräfte zusammen. Das galt bisher als nahezu unmöglich.

Blick auf die kosmische Region, wo der Doppelstern im Zentrum der Milchstraße liegt, vom Very Large Telescope aus gesehen.

© G. Hüdepohl/dpa

Blick auf die kosmische Region, wo der Doppelstern im Zentrum der Milchstraße liegt, vom Very Large Telescope aus gesehen.

Von Markus Brauer

Die Entdeckung ist zugleich Zufall und Glücksfall: In der unmittelbaren Umgebung des großen Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße ist ein Forscherteam aus Deutschland und Tschechien auf einen Doppelstern gestoßen.

Solche Sternenpaare sind für sich genommen nichts Besonderes. Die meisten Sterne sind keine Einzelgänger, sondern bilden Paare oder sogar Mehrfachsysteme. Doch das jetzt aufgespürte Himmelsobjekt D9 ist der bislang einzige Doppelstern, der das supermassereiche Schwarze Loch auf einer engen Umlaufbahn umkreist, wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Communications“ schreiben.

#newpaper | A binary system in the S cluster close to the supermassive black hole Sagittarius A* Authors from @UniCologne, @MasarykUni, @MPIfR_Bonn, the Astronomical Institute of the CAS. Study ➡️ https://t.co/pTa0PXFGmn@NatureComms — Czech Academy of Sciences (@CzechAcademy) December 23, 2024

Allerdings wird das D9 getaufte Sternenpaar nicht lange überdauern: Schon in rund einer Million Jahre werden die beiden Jungsterne miteinander verschmelzen, wie das Team berichtet. Dies liefert wertvolle Hinweise auch auf andere noch rätselhafte Objekte nahe Sagittarius A*.

Sagittarius A* – Masse-Monster im Herzen der Milchstraße

Schwarze Löcher sind Objekte mit einer so starken Schwerkraft, dass nicht einmal Licht aus ihnen entkommen kann. Sie entstehen, wenn große Sterne mit der vielfachen Masse unserer Sonne am Ende ihrer Existenz als Supernova explodieren und der übrig gebliebene Sternenrest kollabiert.

Neben stellaren Schwarzen Löchern gibt es supermassereiche Exemplare, die in den Zentren der meisten Galaxien vermutet werden. Diese Schwarzen Löcher können die milliardenfache Masse unserer Sonne besitzen. Das massereichste ist Sagittarius A* im Zentrum der Milchstraße, das etwa vier Millionen Mal so viel Masse hat wie die Sonne und 27.000 Lichtjahre von der Erde entfernt ist.

Ereignishorizont von Sagittarius A*

Sagittarius A* ist jedoch nur über die um seine Ereignishorizont kreisenden Gase und seine Wirkung auf nahe Sterne nachweisbar. Seine enorme Gravitation beschleunigt die Sterne auf Rekordgeschwindigkeit und verzerrt ihr Licht. Auch neue Sterne dürften unter diesen Extrembedingungen eigentlich nicht entstehen, weil die dafür nötigen Gaswolken sofort zerrissen werden.

  • Zur Info: Als Ereignishorizont (auf Englisch: Event horizon) bezeichnen Wissenschaftler die Grenze um ein Schwarzes Loch, hinter die sich nicht blicken lässt, weil aus dem Bereich dahinter nichts, nicht einmal Licht, entkommen kann. Die Daten der Teleskope werden mit speziellen Supercomputern kombiniert, so dass sich ein gigantisches virtuelles Teleskop vom Durchmesser der Erde ergibt.

Extremer und hoch dynamischer Ort

Das Zentrum unserer Milchstraße ist ein extremer und hoch dynamischer Ort: Durch die enorme Gravitation des zentralen Schwarzen Lochs Sagittarius A* rasen die Sterne im zentralen S-Cluster mit Rekordtempo um das Schwarze Loch. Auch ihre Bahnen und ihr Licht sind durch relativistische Effekte verändert.

Lange galt es als nahezu unmöglich, das unter diesen Extrembedingungen neue Sterne entstehen. Ihre Ursprungswolken müssten auseinandergerissen werden, bevor sie zu Protosternen kollabieren können.

Doch 2023 entdeckten Astronomen um Florian Peißker von der Universität zu Köln gleich mehrere Protosterne in unmittelbar Nähe zu Sagittarius A*. Wie diese Jungsterne trotz der enormen Gravitation so nah am Schwarzen Loch entstehen konnten, ist noch ungeklärt.

Sternen-Duo am Schwarzen Loch

Jetzt haben Peißker und sein Team die nächste Entdeckung gemacht: einen jungen Doppelstern am Schwarzen Loch. Für ihre Studie hatten die Astronomen Objekte im S-Cluster nahe Sagittarius A* mit zwei hochauflösenden Spektrografen am Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte in Chile beobachtet.

Dabei stießen sie auf einen Stern, D9 getauft, der sich auffällig verhielt: Die spektrografischen Daten zeigten wiederkehrende Schwankungen in der Geschwindigkeit des Sterns.

„Ich dachte erst, meinen Analysen seien falsch“, erzählt Peißker. „Aber das spektroskopische Muster war über etwa 15 Jahre hinweg nachweisbar.“ Weitere Untersuchungen ergaben, dass es sich bei D9 nicht um einen, sondern um zwei einander umkreisende Sterne handelt. Das Sternenpaar besteht demnach aus einem massereicheren, rund 2,8 Sonnenmassen schweren Stern und einem kleineren Partner von nur rund 0,73 Sonnenmassen.

Von der Erde aus gesehen blicken wir fast direkt seitlich auf dieses Sternenpaar, was die Schwankungen im Lichtspektrum erklärt. „Damit war klar, dass es sich bei dieser Entdeckung tatsächlich um den ersten im S-Cluster beobachteten Doppelstern handelt“, berichtet Peißker.

Sterne sind noch im Entstehungsprozess

Damit haben die Astronomen erstmals ein Sternpaar in der Nähe eines supermassereichen Schwarzen Lochs nachgewiesen. Das beweist: Selbst in der extremen Umgebung dieser Schwerkraftgiganten können sich nicht nur neue Sterne, sondern sogar Doppelsternsysteme bilden.

Beide Sternenpartner von D9 sind allerdings noch sehr jung. „Das D9-System weist deutliche Anzeichen für die Anwesenheit von Gas und Staub um die Sterne herum auf“, erklärt Michal Zajaček. „Dies deutet darauf hin, dass es sich um ein sehr junges Sternsystem handeln könnte.“

Die Astronomen schätzen das Alter des Sternenduos auf rund 2,7 Millionen Jahre. Sie vermuten in dem schwereren Stern einen Herbig-Ae/Be-Stern – einen Protostern, der noch nicht dicht und schwer genug für die Zündung der Wasserstoff-Kernfusion ist.

  • Zur Info: Herbig-Ae/Be-Sterne sind bestimmte junge Sterne mit einem Alter von weniger als 10 Millionen Jahren. Ihre Masse liegt im Bereich von 2 bis 10 Sonnenmassen, und sie sind häufig in Gebieten mit erhöhter Sternentstehung anzutreffen.

Diese noch von dichtem Staub und Gasen verhüllten Jungsterne beziehen ihre Energie primär aus dem Einfallen großer Mengen von Materie. Den kleineren Jungstern klassifizieren die Astronomen als T-Tauri-Stern, einer masseärmeren Vorstufe der Herbig-Ae/Be-Sterne.

Verschmelzung schon in einer Million Jahren

Die Tage dieses jungen Sternenpaares sind gezählt. Noch umkreisen sich die beiden Protosterne im Abstand von rund 1,43 astronomischen Einheiten – das entspricht etwa dem Eineinhalbfachen der Entfernung Sonne-Erde. Dieser für zwei Sterne sehr geringe Abstand bewahrt sie davor, von den Gezeitenkräften des nahen Schwarzen Lochs auseinander gerissen zu werden. Aber die enormen Gezeitenkräfte von Sagittarius A* zerren an den Umlaufbahnen der beiden Sterne, deformieren sie und bringen sie einander näher.

Das bedeutet: In rund einer Million Jahre könnten die beiden Jungsterne miteinander verschmelzen. „In kosmischen Maßstäben haben wir nur ein kurzes Zeitfenster, um ein solches Doppelsternsystem zu beobachten – und uns ist es gelungen“, erläutert Emma Bordier von der Universität zu Köln. Das Team schätzt, dass Doppelsterne in dieser Extremumgebung nur wenig länger als einige Millionen Jahre überdauern können.

Erklärung für die mysteriösen G-Objekte?

Dieser kurze Zyklus von staubverhüllter Bildung und Verschmelzen dieser Doppelsterne könnte auch andere rätselhafte Objekte am Schwarzen Loch der Milchstraße erklären. Denn im S-Cluster haben Astronomen auch einige „Klumpen“ entdeckt, die Gas- und Staubwolken ähneln, sich aber wie Sterne verhalten.

Die Forscher vermuten, dass sich in diesen sogenannten G-Objekten ebenfalls junge Doppelsterne verbergen könnten, die kurz vor ihrer Verschmelzung stehen oder die bereits verschmolzen sind.

„D9 könnte ebenfalls bald verschmelzen und dann zu einem G-Objekt werden“, schreiben die Astronomen. „Dieses System bietet uns damit einen ersten Einblick in einen der möglichen Entwicklungswege der S-Sterne.“

Zum Artikel

Erstellt:
29. Dezember 2024, 09:00 Uhr
Aktualisiert:
29. Dezember 2024, 09:03 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen