Annalena Baerbock bei Caren Miosga
„Es gibt keinen Zauberstab in der Außenpolitik“
Außenministerin Baerbock widerspricht im ARD-Talk der Ansicht, dass sie trotz ihrer Pendeldiplomatie im Nahen Osten nichts für den Frieden erreicht habe. Und sie lädt Wagenknecht zu einer Reise in die Ukraine ein.
Von Christoph Link
Emotional mit einem Hinweis von Moderatorin Caren Miosga auf den Geburtstag von Annalena Baerbocks älterer Tochter am 7. Oktober – dem Tag des blutigen Hamas-Angriffs auf Israel vor einem Jahr – hat die ARD-Talkrunde am Sonntagabend in der ARD begonnen. Über weite Strecken drehte sich die Sendung um die Leitfrage, ob ein Krieg im Nahen Osten noch zu stoppen sei, und ob die deutsche Außenministerin nicht machtlos der Entwicklung zuschaue – aber auch dem Krieg in der Ukraine war ein Sendefenster gewidmet, und auch da wurde es gefühlsbetont. „Privates Glück, Krisen und Leid auf der Welt liegen eng beieinander“, berichtete Ministerin Baerbock, der Hauptgast der Sendung. Am 7. 0ktober 2023 sei man normal und freudig in den Alltag des Geburtstags ihrer Tochter gestartet, doch dann kamen die Nachrichten vom „schlimmsten Angriff auf Juden seit der Shoa“, so Baerbock. Sie fuhr nach Berlin zum Krisenstab. Später bei einer Israelreise kurz nach dem Anschlag sah sie Gräuelvideos über die Morde der Hamas und sprach mit einem Vater von zwei verschleppten Kindern: „Ich fragte mich, was würde ich von der Welt erwarten, wären das meine Töchter.“
„Mir brennt das Herz“
Eine die Gefühle zulassende Politik ist der grünen Außenminister hin und wieder vorgeworfen worden, bei Caren Miosga dementierte Baerbock das gar nicht, sondern schilderte auch aufwühlende Begegnungen mit Opfern des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Wenn sie das Leiden sehe auf ihren Reisen, „dann brennt mir manchmal das Herz, aber ich muss einen kühlen Kopf bewahren“.
Aber zurück zum Nahen Osten; lasse sich die Gewaltspirale dort überhaupt noch stoppen, wollte Caren Miosga wissen. Ein indirektes Nein formulierten die geladenen Experten – Guido Steinberg, ein Islamwissenschaftler und Daniel Gerlach, Chefredakteur von „Zenith – Zeitschrift für den Orient“. Israel werde auf die jüngsten Raketenangriffe des Iran mit einem noch größeren Gegenangriff als im April – als schon einmal Raketen flogen – reagieren, meinte Steinberg: Man diskutiere über Atom- und Ölanlagen sowie einzelne Politiker im Iran als Ziele. Dass der Iran derzeit eigentlich gar kein Interesse an einem Krieg habe, stoße in Israel derzeit auf „taube Ohren“, so Steinberg. Ähnlich äußerte sich Gerlach: „In Israel hat sich die Haltung durchgesetzt, ein Gegner, der Israel angreifen kann, wird es eines Tages auch tun.“
Baerbock widersprach dem nicht, aber zur Bewertung der „Signale“ (Miosga), dass der von Israel im Libanon getötete Hisbollah-Chef und Iran-Verbündete Nasrallah kurz vor seinem Tod eine Waffenruhe wollte, äußerte sie sich abweichend zum Publizisten Gerlach. Der hatte auf die Stichhaltigkeit der Hinweise von Nasrallahs Friedenswillen hingewiesen, „da ist nichts zusammen phantasiert worden“. Ministerin Baerbock hingegen meinte, Signale für Waffenruhen habe es auch im Gaza schon oft gegeben und dann sei es anders gekommen: „Wir wissen viele Dinge nicht komplett.“
Deutschland ohne Einfluss
Auch, was den Einfluss der deutschen Außenpolitik anbelangte, differierten Gerlach und Baerbock. Israel kümmere sich im Zweifelsfalle nicht einmal um die Forderungen der USA, noch weniger aber um Europa und Deutschland, meinte Gerlach. Die deutsche Außenpolitik habe „enorm an Einfluß verloren“. Im übrigen sei sie nicht konsequent im Nahen Osten, betone das Verteidigungsrecht von Israel, aber was sei denn „mit den Sicherheitsinteressen der Palästinenser im Gaza oder der Westbank?“ – die seien in die „zweite Reihe gestellt“: „Das merken die Menschen in der Region.“ Ministerin Baerbock reagierte da etwas kleinlaut: „Es ist nicht einfach, das Richtige zu tun. Wir müssen beide Perspektiven einnehmen.“ Für die Sicherheit des Staates Israel sei es im übrigen essenziell, wie der Libanon aufgestellt sei. Sie halte fest an ihrer von Israel kritisierten Aussage, dass eine Destabilisierung des Libanons auch Israels Sicherheit bedrohe. Zum humanitären Völkerrecht, für das sich Deutschland einsetze, gehöre im übrigen, dass humanitäre Hilfe – Lebensmittel und Wasser – in den Gazastreifen gelangten.
Neun Reisen nach Israel
Elf Reisen in die Region des Nahen Ostens und neun nach Israel hat Baerbock in den vergangenen zwölf Monaten unternommen. Aber hat es was gebracht? „Wie ohnmächtig sind Sie, Frau Baerbock?“ wollte Caren Miosga wissen. „Es gibt keinen Zauberstab in der Außenpolitik. Wir können Frieden nicht herbeizaubern“, entgegnete Baerbock. Aber man müsse vor Ort aktiv sein , kein Land allein könne etwas bewirken, aber Deutschland habe „schon Weichen gestellt“. Beispielsweise bei der Münchner Sicherheitskonferenz, wo – auf ihre Einladung - Schlüsselstaaten wie die USA, Großbritannien und Deutschland gemeinsam mit arabischen Staaten Absprachen trafen, um „Schlimmeres zu verhindern“.
Das habe es vorher so noch nie gegeben, meinte Baerbock, Vertrauen sei geschaffen worden. Eine konkrete Folge sei gewesen, dass von Jordanien und Saudi-Arabien im April iranische Drohnen in Anflug nach Israel abgefangen worden seien. Auch die jüngste gemeinsame Forderung der USA, Deutschlands, Frankreichs und arabischer Staaten am Rande der UN-Vollversammlung nach einer 21-tägigen Waffenruhe im Libanon sieht die Außenministerin als diplomatischen Erfolg. Tatsache ist aber auch, dass die Waffenruhe von Israel abgelehnt worden ist, da es eine Reorganisation der Hisbollah befürchtet.
Wie weit darf die Rakete?
Die Chance der Diplomatie war auch bei der Ukraine das Thema. „Putin hat Kanzler Scholz doch abblitzen lassen“, bemerkte Baerbock zum angepeilten Gespräch des Deutschen mit dem Russen. Ein Thema wäre gewesen, die ukrainische Infrastruktur vor russischen Angriffen zu schützen – was auch China verlange. Putin sei aber nicht mal zum Telefonat bereit, so Baerbock, „der denkt keinen Millimeter über Frieden nach“, der wolle die Ukraine „in Schutt und Asche legen“.
Man müsse die Ukraine weiter unterstützen, damit nicht 40 Millionen Ukrainer „brutaler Gewalt“ ausgesetzt seien. Ob die Unterstützung aber auch Angriffe auf „weitreichende Ziele“ in Russland umfasst, was Kanzler Scholz ausgeschlossen hatte, wollte Caren Miosga von der Außenministerin wissen. Es sei ja klar und Konsens, so die Antwort, dass eine russische Rakete nicht erst abgeschossen werden dürfe, wenn sie die ukrainische Grenz überschritten habe, das wäre fatal, sagte die Grünen-Politikerin.
Aber ob das jetzt zehn, 40 oder 200 Kilometer hinter der Grenze sei und was mit „weitreichend“ gemeint sei, dass wolle sie nicht öffentlich definieren. Weniger vage fielen Baerbocks Antworten auf Kurzfragen von Miosga aus: Als sie Gerhard Schröder (SPD), Altkanzler und „bei manchen ein Kreml-Lobbyist“ (Miosga), bei der Einheitsfeier in Schwerin in der ersten Reihe saß, da habe sie „geschluckt“, so Baerbock. Die Verhandlungsforderung im Ukrainekrieg, die drei ostdeutsche CDU-Politiker kürzlich in der FAZ verlangten, empfinde sie als „verwunderlich“. Und die ebenfalls friedenswillige Sahra Wagenknecht, Ex-Linke und BSW-Chefin, würde sie gern zu einer Reise in die Ukraine einladen, um ihr dort zu zeigen, wie „russische Bomben auf Kinderkrankenhäuser und Schulen fallen“.