Sturz in Damaskus
EU nimmt Kontakt zu Islamisten in Syrien auf
Die siegreichen syrischen Rebellen stehen auf der Terrorliste der Europäischen Union. Dennoch will Brüssel mit ihrer Hilfe das Land stabilisieren.
Von Knut Krohn
Kaja Kallas hat sich einen Namen als Unterstützerin der Ukraine im Krieg gegen Russland gemacht. Doch nun muss sich die neue EU-Außenbeauftragte in den ersten Tagen ihrer Amtszeit vor allem um den Nahen Osten kümmern. Doch die Estin beweist auch auf diesem Gebiet ihre bekannte Durchsetzungsfähigkeit. So kündigte Kallas am Rande eines Außenministertreffens in Brüssel an, dass die EU den Diplomaten Michael Ohnmacht nach Syrien schicken werde, um dort erste Kontakte mit der neuen islamistischen Führung zu knüpfen. Der Deutsche werde noch am Montag in Damaskus eintreffen, hieß es. Die EU könne „kein Vakuum“ in Syrien zulassen, erklärte Kaja Kallas die schnelle Entscheidung.
Die Außenminister mahnen zur Vorsicht
Die EU hatte nach eigenen Angaben bis zuletzt keinen Kontakt zur islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die durch ihren militärischen Vormarsch maßgeblich für den Sturz von Machthaber Baschar al-Assad verantwortlich war. Die Gruppierung und mit ihr verbundene Personen stehen auch weiter auf der Terrorliste der Vereinten Nationen und sind mit EU-Sanktionen belegt. Am Rand des Ministertreffens hieß es, dass es eine Aufhebung der Strafmaßnahmen nur geben könne, wenn mit der HTS wirklich positive politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu sehen seien. Derzeit dürfen der Gruppe zum Beispiel keine Gelder oder andere wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt. Personen sind zudem auch von Reiseverboten betroffen.
Luxemburgs Außenminister Xavier Bettel mahnte zur Vorsicht und unterstrich bei dem Treffen in Brüssel, es sei zu früh, die Miliz von der Sanktionsliste zu nehmen. „Es sind keine Engel“, sagte er. Vielmehr handele sich um frühere Terroristen, die sich vom Terrornetzwerk Al-Kaida abgespalten hätten. Mehrere EU-Außenminister machten deutlich, dass sie von den neuen Machthabern in Damaskus, die einen geordneten politischen Übergang versprochen haben, mehr als nur Lippenbekenntnisse erwarten. Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot betonte, dass vor allem die Rechte der Minderheiten in Syrien respektiert werden müssten. Dazu zählt er etwa Kurden und Christen. Zudem müsse eine künftige Regierung die Rechte von Frauen achten.
Viele Anfragen von westlichen Staaten
In diesen Tagen werden die neuen Machthaber in Damaskus offensichtlich mit Anfragen von westlichen Regierungen geradezu überhäuft. Die USA und Großbritannien haben eingeräumt, sich bereits unmittelbar nach dem Sturz des syrischen Diktators um erste Kontakte zu den neuen Machthabern bemüht zu haben. Frankreich hat angekündigt, dass eine Delegation aus Paris am Dienstag in Damaskus eintreffen werde. Nach Angaben aus Berlin vom Montag bereitet auch die Bundesregierung eine direkte Kontaktaufnahme zur neuen islamistischen Führung in Syrien vor. Es sei für die deutsche Diplomatie „einer der wichtigsten Punkte“, nach dem Umsturz in Syrien die „Präsenz vor Ort und die Gesprächskanäle“ auszubauen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts.
Europa hofft auf Rückkehr der Flüchtlinge
Viele EU-Staaten hoffen nach dem Ende des Diktators Assad, dass die meisten Syrien-Flüchtlinge freiwillig in ihre Heimat zurückkehren oder dorthin abgeschoben werden können. In der EU leben weit mehr als eine Million Menschen aus dem Bürgerkriegsland. Bisher glaubt allerdings kaum jemand an eine schnelle Beruhigung der Lage in Syrien. Auch Kaja Kallas räumte kürzlich ein, es gebe berechtigte Bedenken hinsichtlich der Risiken konfessionell motivierter Gewalt, des Wiederauflebens von Extremismus und eines Regierungsvakuums.
Die EU-Außenbeauftragte warnt immer wieder vor einer Destabilisierung Syriens und betont, das Land dürfe kein zweites Irak, Libyen oder Afghanistan werden. Ein zentrales Ziel der EU sei es, eine neue Flüchtlingskrise zu vermeiden. Darüber hinaus müsse die Unabhängigkeit und Souveränität Syriens gewahrt bleiben, betonte Kallas mit Blick auf das israelische Vorrücken in die Pufferzone auf den Golanhöhen sowie das Vorgehen der Türkei gegen Kurden im Grenzgebiet zu Syrien.