Ärger um Abwasser

EU-Richtlinie gefährdet deutsche Medikamentenversorgung

Brüssel führt eine verbindliche vierte Klärstufe für Abwasser ein. Das kostet Milliarden. Die Pharmabranche und die Kosmetikindustrie sollen dafür zahlen. Das erhöht den Preisdruck auf Medikamente in Deutschland erheblich.

Die Abwasserreinigung soll gründlicher werden – auf Kosten der Pharma- und Kosmetikindustrie.

© dpa/Sebastian Gollnow

Die Abwasserreinigung soll gründlicher werden – auf Kosten der Pharma- und Kosmetikindustrie.

Von Norbert Wallet

Die deutsche Pharmabranche schlägt Alarm. Sie befürchtet, dass Medikamente in Deutschland teurer werden oder ganz vom Markt verschwinden könnten. Der Grund dafür ist auf den ersten Blick in jeder Hinsicht fernliegend: Es geht um die im November verabschiedete und bindend in nationales Recht zu überführende neue Abwasser-Richtlinie der EU.

Bisher werden Abwässer in einem dreistufigen Prozess geklärt: Nachdem grobe Feststoffe entfernt werden, eliminiert eine zweite, biologische Klärstufe Nährstoffe mittels Mikro-Organismen. In einer dritten Stufe werden weitere chemische Stoffe wie Stickstoffe oder Phosphate aus dem Wasser genommen. Die neue EU-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten nun zur Einführung einer vierten Stufe. Künftig sollen auch Mikroverunreinigungen wie Arzneimittelrückstände oder Reste kosmetischer Mittel ausgeschaltet werden.

Prozess bis 2045

Das bedeutet einen erheblichen Aufwand. Zunächst soll die vierte Stufe für Kläranlagen für mehr als 150 000 Einwohner und kleinere Anlagen in definierten Risikogebieten eingeführt werden. Die EU-Vorgabe führt zur Umrüstung von etwa 150 Großanlagen und weiteren 450 bis 600 Anlagen in den benannten Risikoregionen. Bis 2045 soll der Prozess vollständig abgeschlossen sein.

Aber was hat das mit den Medikamentenpreisen zu tun? Das Revolutionäre an den EU-Plänen ist die Einführung des Verursacher-Prinzips. 80 Prozent der Kosten sind von der Pharma- und der kosmetischen Industrie zu tragen. Die genaue Höhe der Kosten ist noch umstritten, aber klar ist, dass auf die Industrie erhebliche Belastungen zukommen werden. Während der Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU) von vier Milliarden Euro für 570 Klärwerke ausgeht, liegen die auf Hochrechnungen basierenden Befürchtungen der Pharmabranche bei mehr als dem Doppelten der VKU-Prognose.

Hersteller unter Druck

Das lässt dort alle Alarmglocken schrillen. Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbandes „Pharma Deutschland“, beschreibt die möglichen Folgen so: „Am meisten betroffen wären die patentfreien Generika, die in Deutschland rund 80 Prozent des Marktes ausmachen. Hier stehen die Hersteller aufgrund sehr niedriger Gewinnspannen ohnehin schon unter erheblichen Kostendruck.“ Jetzt die Branche einseitig mit den Kosten der vierten Klärstufe zu belasten wirke „wie ein Brandbeschleuniger“. Brakmann befürchtet, „dass Deutschland in der Folge Medikamente verlieren wird, da aufgrund des bei uns geltenden Preisdrucks für Generika die Hersteller keine Möglichkeit haben, die Preise an die neue Kostensituation anzupassen. Und das in einem ohnehin schon durch konstante Lieferengpässe gestressten Markt.“

Brakmann hält das EU-Modell des Verursacherprinzips nicht generell für ungerecht. Aber sie kritisiert eine einseitige Belastung der zwei Branchen. „Warum bleibt die Landwirtschaft draußen, warum werden andere Industrien nicht mit einbezogen? Auch dort kommt es zu Mikroverunreinigungen.“ Die Verteilung der Belastung durch die EU-Vorgaben sei „disproportional“. Sie müsse dringend auf mehrere Schultern verteilt werden.

„Auch Auswirkungen auf die Preise“

Dass die Sorgen berechtigt sind, zeigt die Reaktion des Bundesgesundheitsministeriums. In einer Stellungnahme wird eingeräumt, dass die erweiterte Herstellerverantwortung und die „damit einhergehenden Kosten auch Auswirkungen auf die Preise von Arzneimitteln haben werden“. Bei der Umsetzung der Richtlinie müssten die Auswirkungen der Kosten „mit Blick auf möglicherweise dadurch entstehende Mehrbelastungen der Krankenkassen in den Blick genommen werden“.

Nur ist das Gesundheitsministerium für die Richtlinie rein formal gar nicht zuständig. Das Umweltministerium führt hier die Geschäfte. Dort reagierte man auf Anfrage deutlich zurückhaltender. „Die Bedenken vor allem der Pharmabranche sind uns bekannt“, heißt es. „Bei sich abzeichnenden negativen Auswirkungen, insbesondere Lieferengpässen und Marktaustritten bei versorgungskritischen Arzneimitteln sowie bei relevanten Mehrbelastungen der Krankenkassenausgaben infolge der Richtlinie, erwarten wir von der EU-Kommission, dass sie zeitnah Maßnahmen ergreift, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen.“

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Erstellt:
28. November 2024, 14:24 Uhr

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