Stuttgarter Herzchirurgin über Vorurteile
Exotin im OP
Nora Göbel aus dem Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart ist eine der wenigen Herzchirurginnen in Deutschland. In der Medizin brauchen Frauen mehr Förderung, sagt die 42-Jährige und erklärt, wie sie den Hürden in ihrer Laufbahn begegnet ist.

© Kathrin Gralla Der Rote Drache Fotografie/Kathrin Gralla
„The future is female“ – die Zukunft gehört den Frauen. Das ist der Leitspruch der Herzchirurgin Nora Göbel.
Von Regine Warth
Nora Göbel hat Visite. Fünf Patienten will sie sich heute noch einmal ansehen, die sie wenige Tage zuvor auf dem Operationstisch hatte: zwei Männer mit schweren Herzinfarkten, zwei Frauen mit einem Aneurysma und ein weiterer Mann, dessen Herzkranzgefäße so verengt waren, dass die Chirurgin ihm mehrere Bypässe setzen musste. Nun sitzt der 60-Jährige recht munter am Tisch in seinem Krankenzimmer. „Es geht Ihnen gut, das freut mich“, begrüßt ihn Göbel. Ja, er fühle sich fit, sagt er – die Erleichterung ist ihm anzusehen.
Als Chirurgin verspürt sie keine Macht, sondern Verantwortung
Es war eine anstrengende Woche, das gibt Nora Göbel unumwunden zu. Stundenlang hat sie am Operationstisch gestanden, haarfeine Gefäße repariert, Risse in Aortenwänden geflickt und Herzen wieder zum Schlagen gebracht. „Das fordert, aber macht Spaß“, sagt sie. Seit 15 Jahren ist die Oberärztin am Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) in Stuttgart in der Herz- und Gefäßchirurgie tätig, inzwischen leitet die 42-Jährige das Aortenzentrum der Klinik.
Eine Aufgabe, die ihr liegt: den Körper als Gesamtwerk zu begreifen, sich bewusst zu sein, was jeder Eingriff, jeder Schnitt, jede Naht für Konsequenzen auf die Gesundheit des Patienten hat. So mancher ihrer Kollegen verbindet dieses Gefühl mit Macht. Nora Göbel verspürt dabei vor allem Demut: „Diese Verantwortung, die da in meinen Händen liegt, ist ein Geschenk – und eine Bürde.“
Frauen operieren mit weniger Komplikationen
Nora Göbel weiß, dass sie in ihrem Beruf eine Exotin ist: Die Chirurgie ist statistisch gesehen noch immer eine Männerdomäne. Dabei operieren Frauen Studien zufolge mit weniger Komplikationen und besseren Ergebnissen. Auch zeigte sich, dass Patienten bei weiblicher Besetzung im Operationssaal eine höhere Überlebensrate haben. Und doch sind von den rund 41 000 Chirurgen in Deutschland nur etwa 24 Prozent weiblich. In leitenden Funktionen sind Chirurginnen sogar noch seltener.
Es ist ein Problem, dass sich durch fast alle Fachbereiche der Medizin zieht, heißt es seitens des Deutschen Ärztinnenbunds (DÄB). Seit dem Jahr 2016 wird der „Medical Women on Top“ erhoben – eine Analyse, in der die Anzahl der Klinikdirektorinnen in den wesentlichen klinischen Fächern an deutschen Universitätskliniken untersucht wird. Seit damals ist der Anteil an Chefärztinnen nur leicht angestiegen; er stagniert bei 13 Prozent. Auch Oberarztstellen sind häufiger in Männerhand. Nur 37 Prozent davon sind mit Ärztinnen besetzt. Und das, obwohl mehr als 60 Prozent der Medizinstudierenden weiblich sind.
Frauen im OP müssen sich oft Sprüche anhören
Bis Ende des Studiums in Freiburg war es für Nora Göbel gar keine Frage, dass Frauen und Männer sich in der Medizin auf Augenhöhe begegnen. „Ich war daher ziemlich überrascht, als mit dem Einstieg in den Beruf im OP und außerhalb plötzlich mit harten Bandagen gekämpft wurde.“ So musste sie sich als Assistenzärztin etwa stärker dafür einsetzen, bei der OP-Planung berücksichtigt zu werden als ihre männlichen Kollegen. Und es gab Sprüche wie „Frauen haben in der Chirurgie nichts verloren“ – „Es gibt noch immer Ärzte, die davon überzeugt sind, “, sagt Göbel. Wegen der langen OP-Zeiten etwa, und einem schwer planbaren Dienstschluss. Das sei für Frauen, die eine Familie gründen wollen, doch nicht geeignet.
Den Vorurteilen begegnete Nora Göbel mit Fleiß – nicht nur im Operationssaal, sondern auch bei ihrer Forschungsarbeit. „Mir war es stets wichtig, mich auch wissenschaftlich einzubringen.“ Als sie beispielsweise der Frage nachging, welche operative Methode beim Einsetzen einer Aortenklappe risikoärmer für den Patienten ist – mittels minimalinvasivem Verfahren oder per Eingriff am offenen Brustkorb – bekam Göbel im Jahr 2023 den Hans Georg Borst-Preis.
Nicht nur operieren, sondern auch forschen
Inzwischen betreut sie am RBK mehrere Studien gleichzeitig – etwa die Untersuchung über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Überwachung von Patienten auf der Intensivstation. „Es gibt zudem eine Langzeitstudie darüber, welche OP-Verfahren bei Patienten mit einem Aortenriss geeignet sind, um den Betroffenen möglichst Spätfolgen oder weitere Eingriffe zu ersparen“, sagt Göbel. Indes läuft seit Januar auch eine Forschungsarbeit zur Früherkennung von Aneurysmen, also Aussackungen der Hauptschlagader.
„Die Arbeit bestimmt mein Leben“, sagt Nora Göbel ganz bewusst. Sie hat von einigen Kolleginnen gehört, denen der Spagat zwischen Familie und Beruf zu groß war, die dann auch von dem angestrebten Ziel der Chirurgie abkamen. Das hat auch damit zu tun, wie mit schwangeren Ärztinnen in Kliniken umgegangen wird, heißt es seitens des DÄB: Zwar sind für Schwangere die Hürden zur Weiterarbeit im OP niederer geworden. Doch viele kämpfen immer noch darum, mit Verkündung der Schwangerschaft kein Beschäftigungsverbot zu bekommen.
Mutterschutz-Siegel um schwangere Ärztinnen besser zu fördern
Seit 2022 vergibt der DÄB ein Mutterschutz-Siegel für Klinikabteilungen und ärztliche Praxen, die positiv herausstechen, weil sie schwangeren Ärztinnen gute Möglichkeiten bieten, sicher weiterzuarbeiten. Für das Jahr 2025 haben bislang bundesweit fünf Einrichtungen dieses Siegel erhalten. In Baden-Württemberg ist noch keine Klinik oder Praxis genannt.
„Der Wandel vollzieht sich eben nur langsam“, sagt Göbel. „Es braucht mehr Förderung.“ Und damit meint sie nicht nur die Mentorinnenprogramme des DÄB für junge Medizinerinnen, um sich besser zu vernetzen. „Die Machtpositionen sind hauptsächlich von Männern besetzt.“ Aus dieser Gruppe müsse man Förderer rekrutieren, die Ärztinnen auf ihrem Karriereweg begleiten. Göbel blickt auf die Uhr. Gleich hat sie ein Seminar mit Medizinstudierenden aus Tübingen. Dann geht es an die OP-Planung für die nächsten Tage. Hinter ihrem Schreibtisch hängt ein Druck mit dem Titel „The future ist female“ – die Zukunft gehört den Frauen.