Weniger Geld für Millionen Hinterbliebene
Fast jede zweite Witwenrente in Deutschland wird gekürzt
In Deutschland werden rund 5,2 Millionen gesetzliche Hinterbliebenenrenten an Witwer und Witwen ausgezahlt. Doch fast die Hälfte von ihnen hat letztes Jahr weniger Geld bekommen. Wir erklären, warum das so ist und wer überhaupt Witwenrente erhält.
Von Markus Brauer
Im Jahr 2023 wurden laut der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) rund 4,5 Millionen Witwenrenten und 700.000 Witwerrenten gezahlt. Mehr als 46 Prozent der gesetzlichen Hinterbliebenenrenten, die am 1. Juli 2023 monatlich ausgezahlt wurden, waren teilweise gekürzt. Der Grund: Die Witwen und Witwer hatten neben der Hinterbliebenenrente noch weitere Einkünfte.
Warum werden Witwen-und Witwerrenten gekürzt?
Das geht aus aktuellen Analysen der Bundesregierung hervor, die jetzt im Rentenversicherungsbericht 2024 (Anhang, Übersicht 9) veröffentlicht wurden. Demnach enthalten rund 2,3 Millionen der Renten, welche die DRV an hinterbliebene Ehe- und Lebenspartner zahlt, wegen Anrechnung von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen einen sogenannten Ruhensbetrag.
- Zur Info: Der Begriff Ruhensbetrag stammt aus der Beamtenversorgung. Durch die sogenannte Ruhensregelung soll ein doppelter Bezug von staatlichen Geldern vermieden werden. Der Ruhensbetrag wird ermittelt, indem das Gesamteinkommen (in diesem Fall Witwen-/Witwerrente) und das anrechenbare Einkommen der Höchstgrenze der Witwenrente gegenübergestellt wird. Ist das Gesamteinkommen höher als die Höchstgrenze, ruht die Witwenrente in Höhe des übersteigenden Betrags.
Wie hoch ist die nicht gekürzte Witwenrente?
Die rund 2,3 Millionen Hinterbliebenenrenten, die nicht gekürzt wurden, hatten laut dem Online-Portal ihre-vorsorge.de eine durchschnittliche Netto-Höhe von 811 Euro. „Aus den knapp zwei Millionen Renten ‚mit Ruhensbetrag‘ wurden im Schnitt monatlich 615 Euro ausgezahlt, 172 Euro ‚ruhten‘.“
Alle Hinterbliebenenrenten zusammen kamen auf eine durchschnittliche Netto-Höhe von 728 Euro. Etwa drei Viertel aller ausgezahlten Witwen- und Witwerrenten flossen demnach an Hinterbliebene in den alten Bundesländern, ein Viertel nach Ostdeutschland.
Wann wurde der Freibetrag erhöht?
Wie die Deutsche Rentenversicherung erklärt, wurden die Einkommensgrenzen für Menschen, die eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, im Juli 2024 um rund 45 Euro erhöht. Der Freibetrag liegt seitdem nicht mehr bei 992,64 Euro, sondern bei 1038,05 Euro netto pro Monat.
Für Hinterbliebene mit Kindern erhöhte sich der Freibetrag je Kind um 220,19 Euro. Einkommen, die über diesem Freibetrag liegen, werden nach einem gesetzlich festgelegten Verfahren zu 40 Prozent angerechnet.
In den ersten drei Kalendermonaten nach dem Tod eines Verstorbenen, dem sogenannten Sterbevierteljahr, wird kein Einkommen auf die Hinterbliebenenrente angerechnet.
Wer hat Anspruch auf Hinterbliebenenrente?
Stirbt der Ehepartner, wird es für Hinterbliebene finanziell oft eng. Dann greift der Staat ein. „Grundsätzlich haben Hinterbliebene Anspruch darauf, wenn sie bis zum Tod des Ehepartners mindestens ein Jahr miteinander verheiratet waren“, erklärt der Experte für Alterssicherung, Samuel Beuttler-Bohn. Gleiches gelte für eingetragene Lebenspartnerschaften.
„Stirbt der Ehepartner aber beispielsweise bei einem Unfall, besteht auch bei kürzerer Ehedauer ein Rentenanspruch.“ Außerdem muss der Ehepartner die Mindestversicherungszeit von fünf Jahren erfüllt haben und der Hinterbliebene darf nicht wieder geheiratet haben.
Steht auch Geschiedenen Witwenrente zu?
Auch Geschiedenen kann im Ausnahmefall eine Hinterbliebenenrente zustehen. „Einen Anspruch kann es für Scheidungen vor dem Juli 1977 geben“, betont Katja Braubach von der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Dafür muss man im letzten Jahr vor dem Tod des Ex-Partners zumindest einen Unterhaltsanspruch gehabt haben.
Erfolgte die Scheidung nach dem Juli 1977, könne dagegen eine Erziehungsrente aus der eigenen Versicherung gezahlt werden, sofern der Hinterbliebene selbst die Mindestversicherungszeit von 60 Monaten erfüllt und ein Kind unter 18 Jahren erzieht.
Wann beginnt die Witwenrente?
Die Witwenrente beginnt Beuttler-Bohn zufolge mit dem Todestag, sofern der Verstorbene noch keine eigene Rente bezogen hatte. Wurde bereits eine Rente bezogen, kann die Deutsche Rentenversicherung dem noch lebenden Partner die Rente des verstorbenen Ehepartners in den ersten drei Monaten in voller Höhe auszahlen.
Auf Antrag können die drei Renten sogar als Vorschuss, also in einer Summe, ausgezahlt werden. Dieser ist innerhalb eines Monats nach Eintritt des Todes beim Renten-Service der Deutschen Post zu stellen. Oft übernähmen das bereits die Beerdigungsinstitute, so Braubach.
„Die Antragsfrist bei Witwenrenten dauert vom Todestag an zwölf Monate“, erklärt Samuel Beuttler-Bohn. In diesem Zeitraum beantragte Hinterbliebenenrenten werden auch rückwirkend ausbezahlt. „Wird der Antrag später gestellt, beginnt die Rente erst ab dem Antragsmonat und kann nicht rückwirkend gezahlt werden.“
Wie stark unterscheiden sich Witwenrenten?
Witwen und Witwer dürfen weiterhin arbeiten gehen. Überschreitet das eigene Nettoeinkommen aber eine bestimmte Grenze, wird die Witwen- oder Witwerrente ab dem vierten Monat gekürzt.
Finanziell kann sich die Witwenrente stark unterscheiden. „Je nach Alter können Hinterbliebene Anspruch auf eine ‚kleine‘ oder ‚große‘ Witwenrente haben“, erläutert Beuttler-Bohn. Eine „kleine“ bekommen Hinterbliebene, die jünger als 47 Jahre alt sind, nicht erwerbsgemindert sind und kein Kind erziehen.
„Diese beträgt grundsätzlich 25 Prozent der Rente, die der Ehepartner zum Zeitpunkt des Todes bezogen hätte.“ Sie wird höchstens zwei Jahre nach dem Tod gezahlt. „Haben Witwen vor 2002 geheiratet und ist ein Ehepartner vor dem 2. Januar 1962 geboren, gilt das sogenannte ‚alte Recht’ und die Witwen bekommen die kleine Witwenrente unbegrenzt.“
Welche Kriterien müssen eine „große“ Witwenrente erfüllt sein?
Um die „große“ Witwenrente beanspruchen zu können, müssen Hinterbliebene laut Beuttler-Bohn eines der folgenden Kriterien erfüllen: Sie müssen entweder aktuell mindestens 46 Jahre und 11 Monate alt sein, erwerbsgemindert sein oder ein minderjähriges Kind erziehen. „Oder sie kümmern sich um ein behindertes Kind.“
Dafür erhalten die Hinterbliebenen die große Witwenrente bis zum Lebensende. Sie beträgt 55 Prozent der Rente des Ehepartners. „Haben Witwen vor 2002 geheiratet und ist ein Ehepartner vor dem 2. Januar 1962 geboren, gilt das ‚alte Recht’ und es sind 60 Prozent.“