Deutschland-Studie
Fast jeder Zweite erlebt Altersdiskriminierung
Ob im Job oder bei der medizinischen Versorgung: Sowohl jüngere als auch ältere Menschen berichten über Benachteiligungen. Die Antidiskriminierungsbeauftragte sieht die Politik in der Pflicht.

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Die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman
Von red/dpa
Fast die Hälfte der Menschen in Deutschland über 16 Jahren hat schon mal Altersdiskriminierung erfahren. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GMS im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hervor. Laut der Erhebung gaben 45 Prozent der mehr als 2.000 Befragten an, aufgrund ihres Lebensalters benachteiligt worden zu sein. Altersdiskriminierung beruht auf der Annahme, dass Menschen bestimmte Fähigkeiten aufgrund ihres Alters entweder noch nicht oder nicht mehr besitzen.
Betroffen sind demnach sowohl jüngere als auch ältere Menschen. Am häufigsten berichteten 16- bis 44-Jährige von Ausgrenzung aufgrund ihres Alters: Hier gaben 52 Prozent der Befragten an, mindestens einmal eine solche Erfahrung gemacht zu haben. Bei den über 65-Jährigen waren es dagegen mit 35 Prozent deutlich weniger. Ein Befund, der nach Angaben der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, nicht bedeute, dass Menschen über 65 Jahren tatsächlich weniger Diskriminierung aufgrund ihres Alters erfahren würden.
Jüngere Menschen seien vielmehr sensibler und würden Diskriminierung eher als solche identifizieren, erklärte Ataman. Ältere hingegen hätten diskriminierendes Verhalten teils schon so sehr verinnerlicht und als „normal“ abgespeichert, dass sie Ausgrenzung in vielen Fällen gar nicht mehr als solche wahrnehmen würden. „Die meisten Menschen wehren sich nicht, wenn ihnen das passiert“, sagte Ataman.
Besonders häufig im Arbeitsleben
Der Bereich, in dem Altersdiskriminierung laut Studie am häufigsten vorkommt, ist das Arbeitsleben. 39 Prozent der Betroffenen über 45 Jahren gaben an, bei der Arbeit wegen ihres Alters ausgegrenzt worden zu sein. Dahinter folgten der Gesundheitsbereich (27 Prozent), Geschäfte und Dienstleistungen (24 Prozent) sowie der Wohnungsmarkt (22 Prozent). Hier gehe es etwa um Menschen, die ab einem bestimmten Alter keinen Job mehr bekämen oder keine Therapie gegen Depressionen - mit dem Argument, dass in ihrem Alter Depressionen „ja normal“ seien.
Forderung: Aktionsplan gegen Diskriminierung
„Altersdiskriminierung ist ein enorm großes Problem, vor allem am Arbeitsmarkt“, sagte Ataman. Sie kritisierte, dass bisherige Bundesregierungen das Thema weitgehend ignoriert hätten. Dies schade nicht nur den Menschen, sondern auch der Wirtschaft, betonte sie. Allein der Personal- und Fachkräftemangel koste Deutschland Milliarden. Das Land könne es sich nicht leisten, Menschen ab einem bestimmten Alter auszugrenzen.
„Wir brauchen jetzt einen Nationalen Aktionsplan gegen Diskriminierung und ein Verbot von Altersdiskriminierung im Grundgesetz“, forderte die Antidiskriminierungsbeauftragte. Bisher seien Menschen in Deutschland über das geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nur unzureichend vor Diskriminierung geschützt. Eine Reform des Gesetzes hat es in der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP nicht gegeben - auch wenn das Vorhaben im Koalitionsvertrag stand. Dringende Stellschrauben wären laut Ataman etwa längere Fristen für Betroffene, um sich gegen Diskriminierung zu wehren und weniger Ausnahmen vom Gesetz, etwa für Vermieter. „Das Gesetz ist so schwach, wie man es sich nur vorstellen kann“, beschrieb sie den jetzigen Zustand. Sie sei sich nicht sicher, ob es einer künftigen Bundesregierung gelingen werde, diesen Zustand zu ändern.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die betroffene Menschen rechtlich berät, hat nach eigenen Angaben seit 2006 mehr als 8.600 Beratungsfälle zu Altersdiskriminierung aufgenommen. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen dürfte den Angaben zufolge deutlich höher liegen.