Fasten? Eine Sache der Gewöhnung

Der muslimische Fastenmonat Ramadan dauert dieses Jahr vom 22. März bis zum 21. April. Doch wie erleben Gläubige, die einen körperlich anstrengenden Beruf haben, die Zeit ohne Essen und Trinken? Drei Fastende aus Backnang und der Umgebung schildern ihre Erfahrungen.

Erst wenn die Sonne untergeht, darf das Fasten gebrochen werden. Traditionell essen die Gläubigen, wie hier Ayse Haber, zuerst eine Dattel, dann ein gemeinsames Mahl. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Erst wenn die Sonne untergeht, darf das Fasten gebrochen werden. Traditionell essen die Gläubigen, wie hier Ayse Haber, zuerst eine Dattel, dann ein gemeinsames Mahl. Foto: Tobias Sellmaier

Von Melanie Maier

Backnang. Vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang weder essen noch trinken – für viele Muslima und Muslime ist das Jahr für Jahr im Fastenmonat Ramadan der Alltag. Aber wie geht das, wenn man einem körperlich anstrengenden Beruf nachgeht? Personen, die Schwerstarbeit verrichten, wie zum Beispiel Bauarbeiter oder Erntehelfer, sind eigentlich vom Fasten ausgenommen. Manche Gläubige mögen aber nicht auf das jährliche Ritual verzichten.

NAch ein paar Tagen wird das Fasten leichter

Ömer Sarikaya beispielsweise arbeitet als Schweißer bei einem Automobilhersteller. Und fastet trotzdem. Zu Beginn sei es schon ein bisschen schwierig, stundenlang am Fließband zu stehen ohne zu essen oder zu trinken, sagt er. Besonders das Trinken wegzulassen falle ihm anfangs schwer, fügt der 36-jährige Konstruktionsmechaniker aus Backnang hinzu. „Aber der Körper gewöhnt sich schnell daran. Nach zwei, drei Tagen ist es ganz einfach.“ Obwohl einige seiner Kollegen ebenfalls fasten, tauscht Ömer Sarikaya sich nicht groß mit ihnen aus. „Das ist einfach nicht nötig“, sagt er. Mit zwölf oder 13 Jahren hat er zum ersten Mal gefastet. Die Tradition weiterzuführen ist ihm sehr wichtig. „Der Ramadan ist für uns Muslime wie Weihnachten oder Ostern für Christen“, erklärt er.

Ähnlich sieht das auch Ayse Haber. „Der Ramadan ist eine der fünf Säulen des Islams, deshalb faste ich natürlich auch“, sagt sie. Die fünf Säulen des Islams, das sind die wichtigsten Regeln für gläubige Muslima und Muslime. Neben dem Fasten während des Ramadans gehören dazu außerdem noch das öffentliche Glaubensbekenntnis, das tägliche rituelle Gebet, die soziale Spende und die Wallfahrt nach Mekka.

Dort war die 57-jährige Backnangerin schon zweimal, einmal als normale Pilgerin und einmal als Krankenschwester. In einer ambulanten Krankenstation behandelte sie während des islamischen Opferfests Eid al-Adha zusammen mit Ärztinnen und Ärzten Quetschungen, Prellungen und Infektionskrankheiten. Bei der Umrundung der Kaaba, des zentralen Heiligtums des Islams im Innenhof der Heiligen Moschee in Mekka, kommt es immer wieder zu Verletzungen.

Mental ist das Fasten für viele anstrengender als körperlich

Jahrelang war Ayse Haber als Krankenschwester tätig. Später leitete sie einen Pflegedienst. Diesen hat sie mittlerweile aufgegeben, sie versorgt zu Hause ihren Mann und kümmert sich um die Familie. An das Fasten zu ihrer Zeit als Krankenschwester kann sie sich aber noch gut erinnern. „Das war damals schon sehr anstrengend“, sagt sie. „Vor allem, wenn ich Frühdienst hatte.“ Dann musste sie noch früher aufstehen als sonst, um vor der Arbeit wenigstens noch eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken. „Aber gut, man schafft alles. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, scherzt Ayse Haber und lacht. Körperlich habe ihr das Fasten damals weniger zugesetzt als mental. „Ab und zu hatte ich schon Konzentrationsmangel“, sagt sie. „Ich musste besonders gut hinschauen, damit jeder Patient das richtige Medikament bekommen hat. Aber es ist Gott sei Dank nie etwas passiert. Meine Kolleginnen haben mir geholfen.“

Auf die gemeinsame Pause verzichtete sie dennoch – sie wollte den anderen nicht beim Essen zuschauen. Damals war sie die einzige muslimische Krankenschwester im Krankenhaus. Außer ihr habe nur noch ein Oberarzt gefastet, berichtet Ayse Haber. „Er war Anästhesist und hat erzählt, dass ihn die Narkosegase in der Zeit mehr belasten.“

Der Verzicht kann psychisch herausfordernd sein

Was ihr selbst dieses Jahr das Fasten erschwert, ist der Heuschnupfen. „Dadurch, dass sich der Ramadan immer um zehn oder elf Tage verschiebt, erlebt jeder Mensch ihn im Lauf seines Lebens einmal im Hochsommer und einmal im tiefsten Winter“, erläutert Ayse Haber. Abgesehen davon seien die Temperaturen dieses Jahr zum Fasten aber sehr angenehm und die Sonne gehe auch nicht zu spät unter.

Merita Daferi kennt bislang nur den Winter und den Frühling als Fastenzeit. Die 33-jährige Altenpflegerin aus Nellmersbach nimmt seit drei Jahren am Ramadanfasten teil. Ihre Eltern waren aus dem Kosovo geflüchtet, als sie noch ein Kind war. „Damals standen einfach ganz andere Themen im Vordergrund“, erklärt sie. Vor fünf Jahren befasste sich ihr jüngerer Bruder zum ersten Mal damit, nun fastet auch der Vater.

Da Merita Daferi als Pflegedienstleitung hauptsächlich im Büro vor dem Computer sitzt, der Anteil an körperlicher Arbeit nicht mehr so hoch ist wie früher, ist der Verzicht für sie vor allem psychisch herausfordernd. „Kaffee ist normalerweise sehr wichtig für mich“, sagt sie. „Ich vermisse auch das morgendliche Kaffeekochen.“

Zum abendlichen Fastenbrechen trifft sich die ganze Familie

Vor dem Ramadan ertappe sie sich öfter einmal dabei, dass sie sich Sorgen mache, wie sie das Fasten durchhalten solle, räumt Merita Daferi ein. „Aber spätestens nach ein paar Tagen frage ich mich: Wieso habe ich mir so viele Gedanken gemacht?“ Was sie als anstrengend empfindet, ist das frühe Aufstehen. Eigentlich beginnt ihr Tag um 6 Uhr. Aktuell klingelt ihr Wecker aber eine Stunde früher, damit vor Sonnenaufgang noch Zeit für ein Birchermüsli und viel Flüssigkeit ist. „Ich versuche, nachts auf meine zweieinhalb bis drei Liter Wasser zu kommen“, sagt Merita Daferi. Tagsüber nichts zu trinken, sei für sie kein Problem. „Ich bin sowieso kein großer Trinker.“

Zum abendlichen Fastenbrechen trifft sie sich mit Familienmitgliedern, aber auch Freundinnen, die keine Muslima sind, lädt sie zum Iftār ein. Während bei Merita Daferi Suppen oder andere leichte Speisen auf dem Tisch stehen, verspeist Ayse Haber nach Sonnenuntergang ganz traditionell zuerst eine Dattel. „Wer gerade keine zur Hand hat, kann auch ein paar Salzkörner oder ein Glas Wasser zu sich nehmen, um die Mundflora zu unterstützen“, sagt sie.

Nach dem Fastenbrechen geht es in die Moschee

Jeden Abend kommt Ayse Haber mit der Familie zusammen. „Wir schauen alle auf die Uhr und warten genau auf die Sekunde, in der es mit dem Essen losgehen kann“, berichtet sie. „Das ist sehr schön, vor allem für die Kinder.“ Nach der Dattel wird eine Suppe gereicht, danach „das, wonach es uns den ganzen Tag schon gelüstet hat“, sagt Ayse Haber. Nach dem Essen macht sie sich auf den Weg in die Moschee, um zu beten.

Für Ömer Sarikaya beginnt der Iftār ein bisschen später als für die meisten anderen Muslima und Muslime. Da er Spätschicht hat, isst er nach seinem Feierabend um 21 Uhr nur einen Joghurt oder etwas Süßes und trinkt ein paar Schlucke Wasser, bevor er nach Hause fährt. Dort isst er mit seiner Familie richtig zu Abend.

Trotz seiner körperlich anstrengenden Arbeit hätte Ömer Sarikaya kein Problem damit, noch ein paar Tage länger zu fasten als bis zum 21. April. Aber wie Merita Daferi und Ayse Haber freut auch er sich schon auf das Zuckerfest, mit dem der Ramadan jedes Jahr endet. „Auch die Kinder freuen sich schon sehr darauf“, so der dreifache Vater. Merita Daferi findet es „auch irgendwie schade“, dass diese besondere Zeit im Jahr bald wieder vorbeigeht. „Die Fastenzeit tut gut, weil man einen Monat lang seinen Glauben und die Familie in den Mittelpunkt stellt“, sagt sie.

Was passiert im Fastenmonat Ramadan?

Koran Der Ramadan (Arabisch für „heißer Monat“) ist der Fastenmonat der Muslima und Muslime und der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. Nach islamischer Auffassung wurde in diesem Monat der Koran herabgesandt.

Fasten Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang verzichten Gläubige auf Essen und Trinken. Untersagt sind außerdem Rauchen, Geschlechtsverkehr, aber auch üble Nachrede und schlechtes Verhalten. Die Zeit des Fastens soll mit Gebeten, dem Lesen des Korans sowie Besuchen der Moschee verbracht werden. Darüber hinaus soll für wohltätige Zwecke gespendet werden.

Ausnahmen Schwangere, Stillende, menstruierende Frauen, Kranke, Alte, Reisende, Kinder und Menschen, die harte körperliche Arbeit verrichten, sind vom Fasten ausgenommen.

Zeitpunkt Jedes Jahr verschiebt sich der Anfang des Ramadans um etwa zwei Wochen. 2023 dauert der Fastenmonat vom Abend des 22. März bis zum Abend des 21. April.

Zuckerfest Im Anschluss wird das Fest des Fastenbrechens gefeiert (auf Türkisch „Ramazan Bayramı“, auf Arabisch „Eid al-Fitr“, auf Deutsch „Zuckerfest“). Es gilt als eines der wichtigsten muslimischen Feste. Die Festivitäten dauern zwei bis drei Tage.

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Erstellt:
18. April 2023, 06:00 Uhr

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