Feminismus muss man sich nicht abschminken

Viel Make-up im Gesicht hat nichts mit Grips im Kopf zu tun – schon gar nicht mit Emanzipation

„Es gibt zwei Mädchenlager in der Klasse – die Normalen und die Geschminkten.“ Der Satz fiel bei einem Elternabend in den 80er Jahren an einem Gymnasium in Stuttgart. Die Mutter einer 13-Jährigen sprach das aus, was bis heute Bestand in vielen Köpfen hat: Wer sich schminkt, unterwirft sich dem Schönheitsdiktat und gibt vor, etwas zu sein, was man nicht ist.

Junge Frauen schminken sich heutzutage im Vergleich zu den 1980ern noch früher und noch mehr, heißt es in Studien. Von Debatten über unrealistische Schönheitsideale und feministischen Bewegungen wie #metoo scheinbar unbeeindruckt, machen Profis in Internetvideos vor, wie man sich perfekt schminkt. Die Schönheit hat einen hohen Stellenwert. Das zeigt auch die neue Studie der Malisa-Stiftung der Schauspielerin Maria Furtwängler und ihrer Tochter Lisa. Darin heißt es, Jugendliche orientierten sich bei der Bearbeitung ihrer Bilder an den Schönheitsstandards, die ihnen von den Stars in den sozialen Medien vermittelt werden. Wer Heidi Klum auf Instagram folgt, hellt auf Bildern mit hoher Wahrscheinlichkeit die eigenen Zähne auf. Und 100 Prozent der Mädchen, die der Schönheitsexpertin Dagi Bee im Internet folgen, „optimieren ihre Haut“.

Es gibt kritische Stimmen, die behaupten, dass die Beschäftigung mit dem eigenen Äußeren unemanzipiert sei. So fordert zum Beispiel die Feministin Charlotte Roche ihre Geschlechtsgenossinnen auf, weniger auf Make-up und mehr auf Natürlichkeit zu setzen. Unter Hashtags wie #nofilter oder #wokeuplikethis zeigen sich Stars wie die US-Sängerin Alicia Keys ungeschminkt und prangern den Make-up-Zwang an.

Dabei sind die Botschaften, die ein geschöntes Äußeres aussenden, stets abhängig von den gesellschaftlichen Umständen. Nagellack galt Anfang des 20. Jahrhunderts als frivol, in den 60ern trugen ihn vorwiegend Sekretärinnen, in den 70ern die Reichen und Schönen. Mittlerweile trägt man ihn in allen Gesellschaftsschichten, ob Feministin oder Teenager. Charlotte Roche & Co. könnte man dagegen vorwerfen, in alten Stereotypen zu verharren.

Solche Denkmuster führen dazu, dass viele Mädchen und Frauen meinen, sich für ihre äußere Optimierung rechtfertigen zu müssen. „Ich bin Feministin und schminke mich trotzdem gerne“ heißt es in Online-Foren. Es wird argumentiert, dass die Beschäftigung mit dem Äußeren nichts mit der Einstellung zu tun habe und man es nur für sich selbst tue. Aber man muss sich nichts vormachen: Niemand macht sich nur für sich selbst schön. Sich-schön-Machen bedeutet Identitätssicherung. Und die entsteht auch im Blick der anderen. Genau da liegt der Knackpunkt. Solange man glaubt, sich für eine persönliche Entscheidung rechtfertigen zu müssen, die nichts mit einem falsch verstandenen Feminismus zu tun hat, stimmt irgendetwas nicht. Und das hat mit dem Blick der anderen, dem stereotypen Denken zu tun. Schließlich wabern nach wie vor reaktionäre Glaubenssätze wie „Wer einen Minirock trägt, fordert Anzüglichkeiten heraus“ durch manchen Kopf.

Der Gebrauch von Wimperntusche und Puder hat nichts mit Gleichberechtigung zu tun. Ebenso wenig wie eine dicke Schicht Schminke mit Unterwerfung. Im Gegenteil. Persönlichkeiten wie Nina Hagen, Madonna oder Lady Gaga sind nicht nur stark geschminkt, sie haben gezeigt: Wer gesellschaftliche Klischees gegen den Strich bürstet, gewinnt Freiheit, Autonomie und Stärke. Besorgte Mütter von „normalen“ oder „geschminkten“ Töchtern können beruhigt sein: Die Make-up-Masse hat mit der Gehirnmasse nichts zu tun.

simone.hoehn@stzn.de

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Erstellt:
8. Februar 2019, 03:14 Uhr

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