Firmenübergabe ist kein Selbstläufer

Familienunternehmen Banken sehen sich als Sparringspartner für alle Fragen rund um die Nachfolge – Förderprogramme gefragt

Übergang - Kreditinstitute sind schon in der frühen Phase der Nachfolgeüberlegungen als Moderator sowie Berater von Firmen gefragt. Sie kennen die Stolpersteine und haben ein Expertennetzwerk

Stuttgart Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Als Florent Baudouin im Januar 2017 die Firma Kaiser Sitzmöbel in Wendlingen übernahm, kam er aus einer anderen Branche und hatte nur drei Monate mit dem Altinhaber zusammen gearbeitet. „Ich wollte mein eigener Chef sein“, beschreibt der 50-Jährige seine Motivation.

Geholfen hat ihm, dass er als Vertriebsleiter viele Jahre Verantwortung getragen hatte – in der Spielwarenbranche und zuletzt in der Modebranche. Nun ging es um die Entwicklung und Produktion von Stapelstühlen und Klapptischen. „Ich kann mich mit den Produkten sehr gut identifizieren“, sagt der gebürtige Franzose, der seit Jahren im Schwabenland zuhause ist.

Viele Firmen finden keinen Nachfolger. Baudouin sah darin seine Chance. Heute, mit bald zweieinhalb Jahren Erfahrung als Inhaber und Geschäftsführer, ermutigt er andere, ebenfalls „die Komfortzone zu ­verlassen und ein Unternehmen zu übernehmen“. Fünf Jahre hat Baudouin ­Ausschau nach einer passenden Firma gehalten. Er sei eher zufällig auf Kaiser Sitzmöbel gestoßen, einem Familienunternehmen mit heute 2,5 Millionen Euro Umsatz und 14 Mitarbeitern, erzählt er. Als es ernst wurde, war professionelle Hilfe wichtig, sagt Baudouin: Steuerberater, Anwalt, der Berater vom RKW und nicht zuletzt Banken, denen man vertraut.

Noch immer werden Unternehmen am häufigsten innerhalb der Familie übergeben, doch der Trend nimmt ab. Nicht immer ist ein geeigneter Nachfolger vorhanden, und nicht immer wollen diese ins Familienunternehmen einsteigen. Banken sehen sich bei diesen strategischen Überlegungen als Sparringspartner für ihre Unternehmerkunden. „Durch unsere Vertrauensposition, die sich über Jahre entwickelt hat, können wir auch sehr persönliche Dinge wie die Unternehmensnachfolge diskutieren und bewerten“, sagt Norwin Graf Leutrum von Ertingen, Vorstandsmitglied der BW-Bank. „Als neutrale Stelle haben wir möglicherweise einen anderen Blick auf das Unternehmen und auf die Kinder.“ Die Ausgangslage sei unterschiedlich, sagt Graf Leutrum – je nachdem, ob es sich um einen Handwerksbetrieb handelt oder um ein mittelständisches Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Umsatz, das neue Perspektiven im Markt sucht, oder um ein Handelsunternehmen, dessen Geschäftsmodell etwa durch Internethandel in Frage gestellt wird.

Bei größeren Unternehmen stelle sich die Frage, wie die verschiedenen Familienstränge oder Gesellschafter das Thema sehen und ob die Meinung dazu abgestimmt ist, sagt Heiko Then, Leiter des Firmenkundengeschäfts der Hypo-Vereinsbank (HVB) im westlichen Baden-Württemberg. „Ein entscheidendes Kriterium“ bei allen Nachfolgeüberlegungen „ist für mich der Familienfrieden.“ Sei der nicht gewahrt, bestehe die Gefahr, dass ein Verkauf kippt oder ein Nachfolger scheitert.

Aus diesem Grund ist sehr wichtig, dass ein Unternehmer oder eine Unternehmerin bestimmte Pflöcke einschlägt und diese frühzeitig gegenüber der Familie und gegebenenfalls den Gesellschaftern kommuniziert, unterstreicht auch Matthias Jasse, Leiter Family Office von HSBC Deutschland: „Als Bank sehen wir uns in der Rolle des Moderators, der hilft, den Familienfrieden zu sichern.“

Die finanzielle Begleitung des Übergangs ist nur ein Aspekt bei der Nachfolge, sagt BW-Bank-Vorstand Graf Leutrum. „Wenn wir ein Familienunternehmen länger begleiten, sehen wir die Stärken und Entwicklungsfelder und spiegeln das dem Unternehmer wider.“ Dazu gehöre auch, die Risiken zu benennen, wenn beispielsweise alles im Unternehmen auf eine Person zugeschnitten und keine zweite Führungsebene aufgebaut ist. In solchen Fällen drohen bei einem Verkauf, Kunden- und Lieferantenverbindungen wegzufallen.

Die Unternehmer hätten oft klare Vorstellungen, wie sie ihre Nachfolge regeln wollen, sagt Jasse, sie wüssten aber nicht, wie sie diese umsetzen können und welche Stolpersteine möglich sind. Häufig gibt es „Optimierungspotenzial“, weil etwa eine Scheidung ansteht, eine Krankheit oder ein Todesfall einmal gefasste Pläne zunichtemachen, oder weil Kinder sich umorientieren.

Die wichtigste Regel ist, früh anzufangen, sich mit der Unternehmensnachfolge zu beschäftigen, rät Then. Die Komplexität des Vorhabens werde gern unterschätzt. Der Prozess nehme Jahre in Anspruch, oft gehe es einen Schritt voran, dann stockt es wieder. „Es ist sicher kein Fehler, bereits mit Mitte 50 in die Planung einzusteigen“, sagt L-Bank-Chef Axel Nawrath und verweist auf die Förderprogramme seines Instituts: Seit 2015 wurden in den Darlehensprogrammen der L-Bank mehr als 4500 Unternehmensübernahmen mit einem Kreditvolumen von 1,1 Milliarden Euro gefördert.

Auch viele Ärzte oder Apotheker möchten, dass ihr Lebenswerk weitergeführt wird – durch einen Nachfolger aus der Familie oder extern. Als Spezialinstitut kann die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (Apobank) auf ein umfangreiches Expertennetzwerk aus dem Heilberufe-Segment zurückgreifen. Ein Selbstläufer ist eine Übergabe nicht. „Junge Ärzte haben heutzutage oft gewisse Vorbehalte und sehen vor allem das finanzielle Risiko. Zudem ist ihnen die Work-Life-Balance wichtig“, sagt Klaus-Jürgen Bayer, Filialleiter der Apobank in Stuttgart. Die Bank kann als Coach auf diese Themen eingehen und Datenmaterial zur Verfügung stellen, um jungen Ärzten Mut zu machen. Heilberufler können auf das Existenzgründerportal der Apobank zugreifen, das Tipps und Tools wie etwa den Praxiswert-Schätzer parat hält.

Banken begleiten Unternehmer auch in der Umsetzungsphase: bei der Finanzierung, bei einer Beteiligungslösung, bei der Investorensuche, bei der Kaufpreisfindung. Und sie beraten bei der Anlage des Vermögens. Hier geht es vor allem darum, wie die Familie abgesichert wird. Nicht selten sucht der Alt-Unternehmer ein neues Unternehmen, in dem er sich mit einer Minderheitsbeteiligung engagieren kann, sagt HSBC-Banker Jasse.

Die Zeichen stehen unverändert günstig für den Verkauf eines Unternehmens, meint der BW-Banker Graf Leutrum: „Es gibt eine hohe Nachfrage seitens Investoren, anderen Familienunternehmen oder Konzernen, die über einen Zukauf ihr Geschäftsmodell erweitern wollen.“

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Erstellt:
16. April 2019, 03:12 Uhr

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